Erneut wurde eine verdeckte Ermittlerin in der Hamburger radikalen Linken enttarnt

Ein Flop für die Ermittlerin

Innerhalb von 18 Monaten wurde zum dritten Mal eine verdeckte Ermittlerin in der radikalen Linken in Hamburg enttarnt. Die Polizei bleibt wortkarg, die Hamburger Opposition fordert Aufklärung.

»Wir hatten hier eine Antifa-Jugendgruppe mit politischen Diskussionsrunden und Infoveranstaltungen, da wollte sie gerne aktiv mitmachen«, erinnerte sich Jan Stubben im Gespräch mit der Bergedorfer Zeitung. Der Sprecher des selbstverwalteten Jugendzentrums »Unser Haus« in Hamburgs östlichstem Bezirk erfuhr bereits Monate vor der Enttarnung der verdeckten Ermittlerin (VE), die sich als »Astrid Schütt« ausgab, dass Astrid O. im Auftrag des Staatsschutzes des Landeskriminalamts die linke Szene heimlich ausforschen sollte. Denn im Rahmen einer offensichtlich gründlichen Recherche trug eine Gruppe auch Informationen darüber zusammen, wie die Ermittlerin im »Café Flop« des Jugendzentrums »Unser Haus« erste Verbindungen in die linke Szene geknüpft hatte. Die Recherchegruppe enttarnte bereits die VE Iris P. und Maria B. nach dem Ende ihrer Einsätze, hat mittlerweile also einige Routine im Entlarven von Undercover-Polizistinnen. Iris P. alias »Iris Schneider« war von 2001 bis 2006 in Hamburg tätig, Maria B. alias »Maria Block« von 2008 bis 2012. Astrid O. ist die dritte VE, die innerhalb von 18 Monaten im Nachhinein enttarnt wurde.
Das »Café Flop« ist ein von Jugendlichen gern genutzter Ort. Die 24jährige Polizistin suchte dort gezielt den Kontakt zur Antifa-Jugendgruppe. Als diese sich zerstritt, verlagerte Astrid O. zusammen mit einigen Jugendlichen ihre Aktivitäten nach Altona und organisierte dort mit anderen das ab Oktober 2008 regelmäßig stattfindende Antifa-Jugendcafé »Mafalda« in einem Wohnprojekt. Bis zur Beendigung ihrer verdeckten Operation im April 2013 wurde sie auf weitere Ziele angesetzt, so auch auf das linke Zentrum Rote Flora und die dort bestehende Antirepressionsgruppe. Astrid O. gründete Ende 2009 mit einigen Jugendlichen die mittlerweile nicht mehr bestehende antifaschistische Gruppe »Nella Faccia«. »Entscheidend hierbei war die relative Unerfahrenheit an politischer Organisation der gesamten Gruppenmitglieder«, so die Recherchegruppe in ihrem Dossier. »Nella Faccia« habe, mit Ausnahme von O., »aus jungen Personen« bestanden, die »im Umgang mit Sicherheit in politischen Strukturen ungeübt waren«. Jugendliche zu observieren, die sich gegen Nazis wehren, gelang der Staatsschützerin in mehreren Gruppen.
Antje Möller, die innenpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Grünen, wurde im Urlaub von der Enttarnung der verdeckten Ermittlerin »Astrid Schütt« überrascht. »Der Vorwurf lautet ja, dass die Beamtin zur Lageaufklärung in die Organisation eines Antifa-Cafés vor allem für Jugendliche eingeschleust wurde«, so Möller im Gespräch mit der Jungle World. »Das wäre für mich ein besonders kritischer Teil des Auftrags. Wenn Jugendliche aus polizeilicher Sicht auffällig werden, sind die Erziehungsberechtigten zu kontaktieren.« In der rot-grünen Koalitionsregierung Hamburgs gibt es offensichtlich Gesprächsbedarf. »Es muss zu einer Aufklärung des Einsatzes kommen«, sagt Möller, »dafür ist der Innenausschuss der richtige, um nicht zu sagen bewährte Ort.«
Auch Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion »Die Linke« in der Hamburgischen Bürgerschaft, kritisiert das polizeiliche Vorgehen. »Die Polizei setzt nach eigenen Angaben, so in der Sitzung des Innenausschusses vom 5. November 2015, keine verdeckt ermittelnde Beamtinnen in rechten und rechtsextremen Strukturen ein«, sagt sie, »und zwar weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit, also auch nicht in den Hochzeiten des militanten Rechtsextremismus in Hamburg.« Geht es um den Antifaschismus, würden dagegen schon Jugendgruppen observiert. Auch Schneider fordert Aufklärung im Innenausschuss.
»Der Einsatz von VE dient real der Ausforschung linker Strukturen und Aktivitäten«, konstatiert ein Aktivist aus der Roten Flora im Gespräch mit der Jungle World. »Aber beim offiziellen Grund für den Einsatz von VE – zur Ermittlung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr – gab es noch nie Ergebnisse.« Seit 27 Jahren gab es kein Ermittlungsverfahren gegen Personen aus der Roten Flora wegen geplanter oder in die Tat umgesetzter Aktivitäten. Der polizeiliche Auftrag der Aufklärung und Prävention von Verbrechen steht auch im Widerspruch zur mehrjährigen Dauer des Einsatzes und der konkreten Observation.
Die Polizeiführung gibt sich wortkarg angesichts der erneuten Enttarnung. »Eine Hamburger Polizeibeamtin ist betroffen«, bestätigt Polizeisprecher Timo Zill nur. »Die LKA-Beamtin Astrid O. war von Ende 2006 bis April 2013 in verschiedenen Zusammenhängen unter dem Decknamen ›Astrid Schütt‹ in der linken Szene in Hamburg aktiv«, schreibt die Recherchegruppe in ihrem Dossier. Im April 2013 zog sie sich unter dem Vorwand, in Italien in einem Restaurant professionelles Kochen lernen zu wollen, aus den politischen Gruppen zurück.
Die Recherchegruppe trug Informationen zusammen, über die sich Mitglieder aus verschiedenen Gruppen zuvor nicht ausgetauscht hatten: »Sie stellte damals auffallend viele Fragen und war in ihren Zusammenhängen mit Abstand die Älteste, was insbesondere im Rahmen des ›Café Mafalda‹ (Jugendcafé) auffällig war.« Mit 24 Jahren für die autonome Szene nicht besonders jung, sei es auffällig gewesen, dass sie sich hauptsächlich in der Jugendantifa betätigte. Auch dass Astrid O. »einen Tonfa bei sich zu Hause herumliegen hatte«, also einen Nahkampfknüppel der Polizei, und »versiert in Kampfsport war, obwohl sie angab, kein Interesse daran zu haben«, sei auffällig gewesen. »Diesen Unklarheiten wurde damals aber leider nicht ausreichend nachgegangen.« Die Recherchegruppe plädiert aber nicht dafür, einen Spitzelverdacht überzubewerten. Vielmehr empfiehlt sie eine verbindliche, faire und über einzelne Gruppen hinausgehende transparente Klärung eines Verdachts.
»Auf die verschiedenen Spektren der radikalen Linken in Hamburg sind bestimmt vier oder fünf VE gleichzeitig angesetzt«, vermutet der Aktivist aus der Roten Flora, »etwa auf die B5, die Ultras von St. Pauli, die Flora, die Antira-Aktiven, die Antifas«. Vor drei Jahren enttarnten die Antiimperialisten der B5 ebenfalls einen VE, das sektiererische Publikum des politischen Zentrums auf St. Pauli leistete dazu aber kaum öffentliche Aufklärung. Das war wenig hilfreich für andere Linke, da die Undercover-Einsätze häufig auf das langfristige Aufbauen von Vertrauen angelegt sind und VE zwischen linken Gruppen hin und her wechseln können.
»VE, die derzeit soziale Bewegungen ausspionieren, werden ja erst in ein paar Jahren enttarnt – wenn überhaupt«, sagt Tina Fritsche vom Centro Sociale im Karolinenviertel der Jungle World. »Ich wünschte, es ginge schneller, aber die Ermittlungsgruppe macht eine solide, belastbare und seriöse Arbeit, vor allem mit Blick auf das Rote-Flora-Umfeld – und das geht nur mit Zeit, Sorgfalt und Geduld.« Fritsche vermutet ebenfalls, dass weitere VE im Einsatz sind. Ziele gebe es genug: »Von ›Recht auf Stadt‹ über die Initiative Refugees Welcome Karo’viertel, kirchliche Gruppen und gewerkschaftliche Jugendorganisationen bis hin zur Kleiderkammer für Geflüchtete.« Aber sie betont auch, dass Abschottung keine Lösung sei: »Weiterhin offene Strukturen – unbedingt. Genau das ist auch der Schutz.« Auch der Aktivist der Roten Flora betont: »Offene Strukturen sind wichtig, es kommen ja zum Glück nicht nur VE so in die Flora rein.« Dann lacht er. Hamburgs radikale Linke lässt sich offensichtlich von Polizeispitzeln nicht in die Paranoia treiben.