Soll man zum Fusion-Festival fahren?

Deutschlands größtes Plenum

Die Fusion in Lärz ist ein Festival für urbane Durchschnittslinke, die sich beim Feiern ein bisschen subversiv vorkommen.

Die Fusion ist ein Versprechen: »Ferienkommunismus« nennen die Veranstalter das Festival. Dabei geht es freilich nicht um realsozialistisches Elend, sondern um die kurzfristige Schaffung einer Parallelgesellschaft, »zwanglos und unkontrolliert«. Also praktisch Woodstock, nur dass heute, so will es der Zeitgeist, elektronische Musik läuft. Sich allein am Begriff des »Ferienkommunismus« aufzuhängen, der freilich mit einem Augenzwinkern gelesen werden muss, wäre zu einfach. Es ist offensichtlich, dass ein mit Nato-Draht umzäuntes Gelände, für dessen Betreten man Monate zuvor einen Haufen Geld hinblättern muss, nicht sehr viel mit Kommunismus zu tun haben kann.
Auch wenn man es auf das Festivalgelände geschafft hat – ob mit einer dreistelligen Summe weniger auf dem Konto oder einer nur noch einstelligen Anzahl unverletzter Finger an den Händen –, findet dort wenig statt, was Freude bereitet. Wer will schon zwischen Dreadlock- und Batikhippies auf der Ulrike-Meinhof-Straße im Trommelkreis sitzen und fragen, ob noch jemand ein langes Blättchen hat? Gut, die Ulrike-Meinhof-Straße kann man umgehen, weil sie direkt an einer Bühne liegt, auf der nur Trance läuft, aber all jenen Gestalten, deretwegen man allerlei Hausprojekte, Plena und Bauwagenplätze meidet, tummeln sich überall auf dem alten sowjetischen Militärflugplatz im ostdeutschen Niemandsland. Da ist kein Entkommen: Es ist das größte Plenum Deutschlands. Und Plena sind nicht gerade dafür bekannt, Freiräume zu sein.
Die Fusion ist auch das Friedrichshain-Kreuzberg unter den Festivals: ein Statement. Wer irgendwie links ist und was auf sich hält, fährt hin. Die Fusion war schon immer das, was sie ist: ein Festival für Durchschnittslinke. Nicht mehr und nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Statt Bratwurstbuden gibt es halt veganes Essen, statt aggressiven Besäufnissen LSD, das auch den härtesten Stalinisten zu einem unerträglich harmoniebedürftigen Blumenpflücker macht. Damit wäre das Emanzipationspotential erschöpfend erörtert: Vier Tage lang Blumen pflücken tut immerhin niemandem weh. Im Jahr 2013 gab es auf dem Festivalgelände sogar eine Solidaritätsdemonstration für Flüchtlinge im Stil des schwarzen Blocks. Dies ist als Äquivalent zu Polonaisen auf herkömmlichen Festivals zu begreifen. Das hat zwar den Flüchtlingen nicht geholfen, das schlechte Gewissen der ewigen Aktivisten wurde aber sicher befriedigt.
Und eben weil die Fusion nur ein Festival für Durchschnittslinke ist, hat man dort auch noch mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen, die Festivals so mit sich bringen: Ewige Schlangen vor Dixi-Klos, undichte Zelte, schlechter Schlaf. Und der Schlamm erst! Ein Festival ist immer der frei gewählte Ausnahmezustand. Der Gang zur Dusche fällt weg und der zur Toilette wird zum puren Abenteuer. Statt Zähne zu putzen, trinkt man Pfeffi, um in der Vorbereitung auf schlechten Sex mit Fremden immerhin noch einen frischen Atem vortäuschen zu können. Viel weniger Luxus geht eigentlich nicht. Darin mag auch der Reiz liegen, denn offenbar hat die Verdammung von Luxus Konjunktur. Hier offenbart sich, dass Festivals im Allgemeinen und die Fusion im Besonderen nur eine archaische Aufhebung der Bürgerlichkeit darstellen. Statt einen »Verein freier Menschen« erwartet einen das Unbehagen in der Zivilisation in Reinform. Ist das Festival vorbei, erkennen die selbsternannten »Fusionisten« einander auch nach der Rückkehr in den bürgerlichen Normalzustand an ihren Festivalbändchen. Durch den verschwörerischen Blick auf das Handgelenk konstituiert sich eine wissende Gemeinde, die sich über ihre Erlebnisse gerade so austauscht, als ginge es um die Zeit im Schützengraben.
Sicher: Mit den richtigen Leuten kann man auch auf der Fusion Spaß haben. Raucht man morgens den ersten Joint, kann man über das viele Elend auch hinwegsehen – oder, noch besser, lachen. Aber mit dieser Strategie kann auch so manch anderes ertragen. So sehr man denjenigen, die zur Lohnarbeit gezwungen sind, auch eine Pause gönnen mag, ist alles, was nach vier Tagen Ausnahmezustand bleibt, der MDMA-Kater und die Erinnerung da­ran, dass der Kommunismus halt doch nicht real ist. Und das Bändchen am Arm, als Ausweis der Subversion.