Das Champions-League-Finale zwischen Real und Atletico Madrid

Imperium versus Emporkömmling

Real und Atlético Madrid spielen im Finale der Champions League. Die Unterschiede zwischen den Vereinen lassen sich allein schon in ihren Museen erkennen.

Es dürfte eine ganz besondere Veranstaltung werden, am Samstag, den 28. Mai, in Mailand. Mit Real und Atlético stehen sich zwei Teams aus derselben Stadt im Finale der Champions League gegenüber, in dem immer noch der begehrteste, wichtigste und sportlich höchstwertige Titel, der weltweit im professionellen Clubfußball vergeben wird. Das Champions-League-Finale ist, wenn man die europäische und die amerikanische Sportwelt miteinander vergleichen möchte, das Äquivalent zum Super Bowl: schlicht das größte Sportspektakel.
Viermal bereits haben sich in der Champions League beziehungsweise ihrem Vorgänger, dem Europokal der Landesmeister, in den vergangenen 60 Jahren Teams aus dem gleichen Land im Finale gegenübergestanden. Auch schon aus Spanien, als im Jahr 2000 Real Madrid den FC Valencia besiegte.
Doch ein einziges Mal erst waren es Teams aus einer Stadt: vor zwei Jahren Real und Atlético. Und nun sind es erneut die beiden Vereine. Der zweite Showdown in zwei Jahren muss überraschen, schaut man sich die Fülle exzellenter Fußballclubs in Europa an: FC Barcelona, Bayern München, Borussia Dortmund, Paris Saint-Germain; oder die großen Teams aus der englischen Premier League: Manchester United, Liverpool FC, Chelsea, Arsenal, Manchester City.
Als die beiden Clubs vor zwei Jahren zum ersten Mal das Champions-League-Finale zu einem »Derbi madrileño« machten, übernahm zunächst in der ersten Halbzeit Atlético die Führung, als Diego Godín in der 36. Minute traf. Die gab man für den Rest der regulären Spielzeit nicht mehr ab. Erst in der 93. Minute, in der Nachspielzeit also, gelang es Sergio Ramos, Real in die Verlängerung zu retten. Gareth Bale, Marcelo und – durch einen Elfmeter – Cristiano Ronaldo konnten das Spiel zu einem 4:1-Sieg drehen. Doch Real Madrids damalige remontada ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Atlético bei der diesjährigen Neuauflage auf Revanche drängt.
Real vs. Atlético verweist nicht auf die eine Stärke der einen Stadt Madrid. Die Unterschiede zwischen den Clubs könnten nicht größer sein, und das Finale vor zwei Jahren hat sie deutlich zu Tage gefördert. Getrennt werden sie von weitaus mehr als nur dem Fluss Manzanares, in dessen Norden das Real-Stadion, in dessen Süden das Atlético-Stadion liegt.
Real ist ein Fußballimperium, das am Samstag um seinen elften europäischen Titel spielt. In den letzten zehn der 13 Finals, die Real bestritt, hat der Club gewonnen.
Ganz anders Atlético: ein Fußball-Emporkömmling, der gerade zweimal in europäischen Finals stand und beide Male verlor. Das erste in den siebziger Jahren, das zweite 2014, die Niederlage gegen Real in der Verlängerung. Entsprechend hat für Atlético der mögliche erste Titel, die primera, ein ganz anderes Gewicht als eine undecima für das diesbezüglich erprobte Real. Von den anderen denkbaren Fußballtiteln und Möglichkeiten, fußballerische Größe anzuzeigen, ganz abgesehen: nationale Meisterschaften, Pokalsiege, Wert und Erfolge der Spieler – Real übertrifft Atlético in jeder Hinsicht.
Als ob das nicht schon genügen würde, übertrifft Real Atlético außerhalb des Platzes noch stärker, denn gerade der Unterschied in der kulturellen, sozialen, symbolischen und historischen Bedeutung zwischen beiden Vereinen könnte nicht größer sein. Reals königliche Existenz drückt sich eben nicht nur in den fußballerischen Erfolgen aus, sondern wird im Clubnamen und in der Königskrone verkörpert, die im Clubwappen zu sehen ist.
Ein Blick in die beiden Vereinsmuseen lohnt sich. Bei Real betritt der Besucher zunächst den Trophäenraum. Im Katalog wird der angepriesen als das »Zimmer des besten Clubs der Welt«. Es braucht gar nicht diesen Raum mit seinen unendlich vielen Pokalen und Schalen, um zu spüren, dass dieser Verein von königlicher Herkunft ist. Der Trophäenraum ist ein langer, enger Schlauch, der sich unendlich zu ziehen scheint. Kleine Abzweige ehren die Großen des Klubs: Alfredo di Stefano, Raúl, Cristiano Ronaldo, aber auch die Basketballabteilung des Vereins. Sie alle können es nicht aufnehmen mit dem größten und hellsten Zimmer, das der Besucher betreten kann: die Sammlung der zehn Champions-Lea­gue-Pokale. An der Wand kann man den Satz lesen: »Der Europapokal wäre sinnlos ohne Real Madrid.«
Die Botschaft ist klar: Dem Verein genügt es nicht, seine Erfolge zu zeigen; vielmehr will er beweisen, dass es den Fußball und seine Geschichte nicht gäbe, wenn da nicht ein Verein namens Real Madrid existierte. Der Zweck des Museums ist eindeutig, kein Besucher kann ihn übersehen: Es gibt keine bessere Mannschaft auf Erden als Real Madrid.
Das ist überheblich, arrogant, sicher, aber: Es deckt sich mit dem Urteil, das vor geraumer Zeit von dem Wirtschaftsmagazin Forbes gefällt wurde. Real Madrid gilt ihm als das zweitwertvollste Sportunternehmen der Welt. Teurer als der langjährige Marktführer Manchester United, teurer als das große amerikanische Baseballteam New York Yankees und nur knapp hinter den Footballern der Dallas Cowboys platziert.
Auch im Museum von Atlético finden sich Trophäen, Erinnerungen an große Mannschaften und Videos, die an die Highlights der Vereinsgeschichte erinnern. Doch der Ton ist auffallend anders. So gibt es einen Raum mit einer »Art-Leti«-Zone, in der Sänger, Künstler und andere Prominente gewürdigt werden, die den Klub unterstützen. Aus Lautsprecherboxen erklingen die Gesänge der Fans, und es gibt Räume, in denen sich die Besucher alte Anzeigen anschauen können, mit denen der Verein in der Vergangenheit für sich geworben hatte.
Am beeindruckendsten ist aber wohl der Teil des Atlético-Museums, der »Produktionszone« genannt wird: Hier konzentriert sich alles auf das Herz der Stadt Madrid, auf die Arbeit, die die Menschen leisten. Ein altes Madrider Schuhgeschäft etwa oder eine Wohnung, von der man einen Blick auf das alte Atlético-Stadion hat. Diese »Produktionszone« des Museums soll die Anstrengungen der Arbeiter und Arbeiterinnen in Erinnerung rufen, zugleich positioniert sie den Verein eindeutig vor diesem sozialen Hintergrund – ein Club der Arbeiterklasse, moderner formuliert, ein Verein der einfachen Menschen. Das steht in deutlichem Kontrast zu dem royalen und edlen Image, das sich Real Madrid verpasst hat.
Die Museen und ihre Macher entwarfen sehr sorgfältig ein bestimmtes Bild der jeweiligen Clubs. Doch das Verhalten der Fans passt erstaunlich gut zu diesen Darstellungen. Atléticos kleines und beinahe intimes Stadion, das Vicente Calderón, wird durch die Gesänge der treuen, stolzen, manchmal übermütigen und in jedem Fall phantasievollen Fans mit Leben gefüllt. Ganz anders die Real-Anhänger auf der anderen Seite des Flusses: Sie gerieren sich wirklich königlich oder höfisch; im ehrwürdigen Estadio Santiago Bernabeu wird bestenfalls missbilligend gemurmelt, wenn das Team den Erwartungen einmal nicht entspricht.
Das Vereinslied von Real Madrid hat auch überhaupt nichts mit den ausgelassenen Gesängen der Atlético-Fans zu tun: Seine Anleihen an eine Opernarie erzwingen förmlich aufmerksames Zuhören. Wer bei diesem Lied mitgrölt, so die unterschwellige Botschaft, würde nur das royale Image von Real Madrid beschädigen.
Am Samstagabend stehen jeweils elf Spieler eines Madrider Klubs auf dem Rasen des Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadions, um das Finale der Champions League auszuspielen. Es ist mehr als nur ein Stadtderby, mehr als nur Atléticos Chance, seine Niederlage von 2014 in der Nachspielzeit zu rächen, ja sogar mehr als ein Fußballspiel, bei dem einige der besten Stars dieses Sports zu sehen sein werden. Was das Champions-League-Finale in diesem Jahr so bedeutend macht, sind die kulturellen, politischen und sportlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Vereinen.
Jennifer Herstein und Andrei S. Markovits sind Politologen an der University of Michigan in Ann Arbor.