Von Bauhaus zu Billy. Eine Kulturgeschichte des Möbeldesigns

Die Dialektik des Wohnens

Kann man eigentlich überhaupt noch wohnen? Über Einrichtung und Ausrichtung, eine Kulturgeschichte des Möbeldesigns.

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Der mittlerweile zum Sinnspruch linksliberaler Befindlichkeit herabgesunkene Satz bezog sich auf Erfahrungen, die sein Autor, Theodor W. Adorno, in den USA machte, dem Land, das ihm Zuflucht und Rettung vor dem Nationalsozialismus gewährte. Gemeint sind damit indes Erfahrungen des Privaten: Der Satz beschließt einen Aphorismus in den »Minima Moralia«, den Adorno mit einem ebenso drastischen Befund eröffnet: »Wie es mit dem Privatleben heute bestellt ist, zeigt sein Schauplatz an. Eigentlich kann man überhaupt nicht mehr wohnen.« (»Es lässt sich privat nicht mehr richtig leben«, soll Adorno in einer ersten Fassung des Aphorismus formuliert haben.)
Eine Fotografie aus den dreißiger Jahren zeigt Adorno an einem Schreibtisch, genauer: an einem gediegenen, rustikalen sogenannten Sekretär. Er sitzt vor dem gemütlichen Möbel und hat sein Gesicht der Kamera zugewendet. Die Aufnahme stammt aus Oxford. Auch in den USA versuchen Adorno, Horkheimer, Marcuse und die anderen von dieser bürgerlichen Wohnkultur, die noch mit humanistischen Idealen verknüpft ist, etwas zu retten. In New York, dann in Kalifornien liegen wie in Frankfurt die Spitzendeckchen auf dem Edelholz-Esstisch, die kalifornische Sonne wird durch schwere Gardinen draußengehalten; auch Hausangestellte gehörten zum humanistischen Lebensideal, hätte man sich welche leisten können – dieser Teil der »Dialektik der Aufklärung« wäre mit einer ziemlichen Staubschicht überzogen gewesen.
Mithin geht es gerade in den USA sachlicher zu, wo – abgesehen von der ebenfalls hierher emigrierten europäischen Gestaltungs-Avantgarde – eigene Traditionen des Möbelbaus, zum Teil mit religiösem Puritanismus, zum Teil mit dem Brauchbarkeitsideal von Arts & Crafts verbunden werden.
Die modernen Möbel, die jetzt in den illustrierten Magazinen annonciert werden, sind bequem und abwaschbar, formschön und funktional. Werbefilme der Industrie, die etwa auf Weltausstellungen wie der in New York 1939 mit großem Erfolg gezeigt werden, propagieren eine mit Chic und Style möblierte Welt, in der Wohnen, Design, Funktion und Form miteinander und ineinander so verschmelzen, dass das Wohnen selbst zur Funktion, ja zum Design wird. Seine Form findet das nicht mehr im großbürgerlichen Interieur des 19. Jahrhunderts (eine Nachbildung des feudalen Lebens vergangener Zeiten), sondern in einer nunmehr allgemein gewordenen Angestelltenkultur, die in ihren – ökonomisch auf Leistung, konsumistisch auf Vergnügen ausgerichteten – Lebensentwürfen merkwürdig zwischen sozialer Mobilität und individueller Immobilität changiert, und zwar beides gekoppelt ans Eigentum, an den Privatbesitz, mit dem man sich dann identifiziert: »Wohnen« heißt demnach, bewegliche Dinge in unbewegliche Dinge stellen, Möbel in Immobilien zu platzieren.
Das möblierte Leben
Insofern widerspricht es allerdings dem damaligen Zeitgeist, dass man »eigentlich überhaupt nicht mehr wohnen« könne, wie Adorno schreibt. Orientiert am american way of life wird die gesellschaftliche Ausrichtung des Einzelnen über die Einrichtung seiner Wohnung vermittelt. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts belebt eine allgemeine Idee des Wohnens, verknüpft sie mit der politischen Idee des Individuums, möbliert das Privatleben, das im richtigen Arrangement der Möbel dann öffentlich zur Schau gestellt werden kann: »Schöner Wohnen« heißt das dann. Als Collage aus US-amerikanischen Illustrierten- und Reklamebildern klebt Richard Hamilton 1956 ein Bild zusammen, das ein mit Couchgarnitur, Zierpflanze, Stehlampe und Fernsehschrank ausstaffiertes Wohnzimmer zeigt; das Bild beantwortet die als Titel gestellte Frage: »Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?« Zwei Personen bestimmen das Zentrum der Collage: ein halbnackt posierender Bodybuilder und ein ebenfalls halbnackt posierendes Pin-Up-Model. Tatsächlich bilden sie einen Kontrast zur »muffigen Interessengemeinschaft der Familie«, die die »traditionellen Wohnungen, in denen wir groß geworden sind«, so unerträglich macht, wie Adorno schreibt; gleichwohl fällt es auch schwer, das, was die beiden, Mann und Frau (die übrigens ohne jede Beziehung oder Bezogenheit zueinander zu stehen scheinen), in ihrem different und appealing home gerade machen, »Wohnen« zu nennen: Sie sind wie die Möbel um sie herum bloß Ausstellungsstücke, Reklame für einen Wohnraum, der ihnen selbst gegenüber unwirtlich bleibt. Eben das ist die Dialektik des Wohnens, und seine Ideologie, die sich im Zerfall des Privaten kristallisiert – und mit als Design verbrämten Möbeln zugestellt wird.
Die Möbel des 20. Jahrhunderts sind funktional wie funktionell, nicht nur in Hinblick auf ihre Gebrauchszwecke und die an diese angepassten Vorstellungen von Wohnen (Dekoration im Einklang mit Nutzen) gestaltet; es sind vor allem Möbel, die vollständig nach rationalen wie rationellen Kriterien der kapitalistischen Produktion hergestellt und vertrieben werden; Fordismus und Taylorismus haben ihre Spuren an jedem Stuhl und Tisch hinterlassen, nicht nur an den klassischen Bauhaus-Möbeln lässt sich nachvollziehen, was standardisierte Verfahren für Vorteile bringen. Fortan passen Möbel wie in einem Baukastensystem in die vorgeplanten Räume; Sitzhöhe, Schraub- und Steckverbindungen, Lackierungen und sonstige Beschichtungen entsprechen Normen, sind patentrechtlich oder im Design geschützt.
Ohnehin entsteht nach dem Ersten Weltkrieg mit der rasanten Entfaltung der modernen Konsumgesellschaft ein Markt für Möbel und Wohnaccessoires. Die gerade erst von staatlicher Politik entdeckte Wohnungsfrage, also der Umbau und Abriss von Armuts- und Elendsquartieren in den Metropolen, geht nun zusammen mit einer neuen Idee von Verbesserung der Lebensweise, die an die möblierte Komfortwohnung der jetzt flächendeckend entstehenden Stadtrandgebiete gekoppelt ist.
Menschen und Ware
Möbel sind nun auch Gegenstände, um die sich die Hausfrau sorgend kümmert, Gegenstände, die immer auch Objektivierungen von dem darstellen, was man jetzt in den USA als »world highest standard of living« proklamiert. Wie Nut und Feder passen Lebensstandard und Funktionsstandards zusammen. Alles wird mit einem Lächeln vorgeführt, ganz gleich, ob es die Schrankwand ist, die Hausbar, die Waschmaschine, der Ausziehtisch oder das Telefongerät. Marcuse schreibt später im »Eindimensionalen Menschen« (1964): »Die Menschen erkennen sich in ihren Waren wieder; sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi- Empfänger, ihrem Küchengerät.«
Marx nimmt bekanntlich am Anfang der »Kritik der politischen Ökonomie« als Bild für den Reichtum der modernen, kapitalistischen Gesellschaft die »ungeheure Warensammlung«. Zu überprüfen wäre die These, ob nicht gerade mit den Möbeln diese Warensammlung ihre Ungeheuerlichkeit verliert – weil Menschen sich an die Waren gewöhnen, sofern sie mit ihnen wohnen. Überprüft werden könnte die These an den siebziger Jahren: Die zwar mit der Ölkrise etc. ökonomisch erschütterten, dennoch aber in der Aus- und Einrichtung des Alltagslebens prosperierenden Siebziger sind immerhin das Jahrzehnt, in dem der soziale Wohnungsbau boomt, und mit ihm die großen Möbelhäuser, Discount-Anbieter nach dem Modell des Supermarktes, aus dem Boden schießen. Konterkariert wird das Leben und Wohnen in diesem Jahrzehnt allerdings auch von einer Stärkung des individuellen Geschmacks. Die massenproduzierten Möbel bedienen postmodern alle Epochen; und wer das Passende nicht findet, geht in den Baumarkt und verfeinert selbst nach Gusto: Kunsthandwerkliches kehrt jetzt in der Hobby- und Heimwerkerideologie wieder.
Dass in dieser Weise sich selbst einzurichten eine Bewegung vom Wohnen als bloßes Zur-Schau-Stellen zum Leben – »Das bin ich!« – bedeutet, nutzen heute Möbelhäuser wie Ikea und Poco Domäne gleichermaßen. Der Beliebigkeit der ordinären Wohnkultur sind dabei keine Grenzen gesetzt; versucht ein Unternehmen wie Ikea in seiner Ausstellungsfläche realistisch zu bleiben und bietet Simulationen, wie man mit Billy-Regalen und anderen Gegenständen mit reichlich Äs im Namen auch Kleinstwohnungen irgendwie groß erscheinen lassen kann, im Sinne von bis auf den letzten Zentimeter zugebaut, offerieren andere Möbelhäuser wie Poco, Roller oder Kraft auf Verkaufsflächen so groß wie Lagerhäuser Sofagarnituren, die treffend als »Wohnlandschaften« bezeichnet werden. Als Gemütlichkeitsphantasie, mit der die wenigen Quadratmeter, die man zum Leben hat, verstellt werden. Alles auf Ratenkauf, mit verstellbarer Kopfstütze und Ottomane, links oder rechts montierbar.