Homestory

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Einige Kolleginnen und Kollegen in der Jungle World haben sich im Laufe der Jahre das Rauchen abgewöhnt. Das ging selbstverständlich nur unter großen Mühen und Entbehrungen. Doch nun das: »Sitzen ist das neue Rauchen.« Den Slogan haben offenbar findige Ärzte geprägt, andere Mediziner, Krankenkassen, Gesundheitsheftchen und Ergotherapeuten plappern ihn seither eifrig nach. Eigentlich halb so wild, denn man könnte sich ja auf die erfreuliche Seite der Botschaft konzentrieren: Endlich wollen die unermüdlichen Lebensverbesserer einem nicht mehr den Genuss wohlschmeckender und berauschender Substanzen ausreden, sondern eine körperliche Tätigkeit, die wirklich nicht besonders beglückend ist. Im Gegenteil, sie ist geradezu tödlich, glaubt man den zahlreichen Warn- und Mahnschriften im Netz. Wer sein Leben lediglich absitzt, der holt sich Diabetes, schlaffe Muskeln, Rückenprobleme, Hämorrhoiden, zu viel Körperfett, Herzkreislauferkrankungen und Stoffwechselstörungen. Nicht zu vergessen: Krebs, Krebs und nochmal Krebs, wobei sich Vielsitzerinnen und -sitzer besonders häufig Darmkrebs, Lungenkrebs und Gebärmutterschleimhautkrebs einfangen. Es ist also geradezu ein Wunder, dass die Redakteurinnen und Redakteure der Jungle World nicht reihenweise im Leichensack in den Feierabend fahren. Denn zu ihren überragenden Kernkompetenzen gehört zweifellos das Sitzen, das tägliche, stundenlange, stupide Sitzen. Doch wie könnte ihnen geholfen werden? Da fällt den Schlaumeiern aus der medizinischen Abteilung nicht allzu viel ein. Auch noch so viel Sport könne die Schäden durch das Sitzen nicht ausgleichen, wollen sie herausgefunden haben. Also gibt es nur eines: weniger sitzen. Allerdings ist das mobile Redaktionssystem, mit dem man eine Zeitungsausgabe auch auf ausgedehnten Waldspaziergängen fertigstellen kann, noch nicht erfunden. Sitzen wird bis auf Weiteres zur Tätigkeit der Redakteurinnen und Redakteure der Jungle World gehören. Sitzen ist also Arbeit. Wenn aber Arbeit Sitzen ist, Sitzen wiederum das neue Rauchen und Rauchen eine möglichst sofort zu verbannende Gefahr für Leib und Leben, dann sollte auch der Schluss erlaubt sein: Arbeit ist eine möglichst sofort zu verbannende Gefahr für Leib und Leben. Solange aber kein Lebensverbesserer mit dem dringlichsten aller Slogans, »Arbeit ist das neue Rauchen«, von sich reden macht, darf man der Zunft weiterhin kritisch gegenüberstehen. Oder -sitzen.