Die Ergebnisse der Leipziger „Mitte Sudie“ 2016

Wie rechts ist die Mitte?

Alle zwei Jahre untersuchen Wissenschaftler der Universität Leipzig autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Ihre neue Studie ist die erste ausführliche empirische Abfrage von rechten Einstellungsmustern nach der »Flüchtlingskrise«. Konservative stören sich besonders am Begriff der »enthemmten Mitte«.

»Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Die Leipziger Mitte-Studie 2016« – so heißt die Untersuchung, die am Mittwoch vergangener Woche auf der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Anders als bei den vorangegangenen Leipziger Studien zwischen 2006 und 2012, als die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Kooperationspartner war, sind erstmals die der Linkspartei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), die grün orientierte Heinrich-Böll-Stiftung und die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung die Finanziers der Untersuchung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat seit 2014 eine eigene »Mitte-Studie«. Diese wird mit dem Bielefelder Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld erstellt. Das IKG unter Wilhelm Heitmeyer und dessen Nachfolger Andreas Zick hatte das Analysemodell »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« (GMF) entwickelt. Das IKG brachte den jährlichen Forschungsbericht »Deutsche Zustände« heraus. Die neue FES-Studie trug 2014 den Namen »Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014« und hat explizit das GMF-Analysemodell integriert. Noch in diesem Jahr soll auch eine weitere IKG-Studie veröffentlicht werden.
Mit der Förderung der Leipziger »Mitte«-Forscher um Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler ist den drei neuen Geldgebern ein – nicht nur – medialer Coup gelungen. Schaute man am Tag nach der Bundespressekonferenz in den Pressespiegel der RLS, gab es kein größeres deutsches Medium, das nicht berichtet hatte. Sonst wird die Forschungs- und Bildungsarbeit der drei kleineren politischen Stiftungen fast nur im eigenen Milieu wahrgenommen.
Die vorgestellten Ergebnisse der »Enthemmte Mitte«-Studie schwanken zwischen gruselig, erwartbar und kleinen Hoffnungsschimmern. Das Positive zuerst: Demokratische Milieus sind zahlenmäßig seit zehn Jahren auf dem Vormarsch, autoritäre Milieus auf dem Rückzug. So wurden im Jahr 2006 nur 37 Prozent den demokratischen Milieus zugerechnet, 2016 dagegen waren es 60 Prozent. Die antidemokratisch-autoritären Milieus hingegen sind im selben Zeitraum von 42 auf 26 Prozent geschrumpft. Über 90 Prozent finden »Demokratie als Idee« grundsätzlich gut. Selbst hier gab es noch leichte Steigerungen über die Jahre.
Unter Demokratie werden allerdings in der Bevölkerung sehr unterschiedliche Konzepte subsumiert. Hier wäre für zukünftige »Mitte-Studien« genaueres Fragen angebracht. Lehnen doch beispielsweise viele Pegida-Anhänger die Politik Angela Merkels als »undemokratisch« und »diktatorisch« ab. In seiner scheinbar demokratischen Legitimation und in seinen Politikvorstellungen unterscheidet sich der für Deutschland relativ neue bewegungsförmige Rechtspopulismus vom klassischen Rechtsextremismus, wie er im Standardbogen der Leipziger »Mitte-Studie« abgefragt wird. Insgesamt erreichen klare, als rechtsextrem definierte Einstellungsmerkmale wie etwa ein positiver Bezug auf den Nationalsozialismus geringere Werte. Gleiches gilt für »Ausländerfeindlichkeit«. So verzeichneten die Leipziger Wissenschaftler zwischen 2012 und 2014 erstmals eine rapide Abnahme der »Ausländerfeindlichkeit«. Diese habe, bei phasenweise leichter Stagnation, von 2002 bis 2014 kontinuierlich abgenommen.
Dafür zögen »nun bestimmte Gruppen den Hass besonders auf sich«. Muslime, Asylsuchende sowie Sinti und Roma seien inzwischen »in einem viel stärkeren Maß von Vorurteilen« betroffen, als die Gruppe der Migranten insgesamt es vorher erlebte.
Erwartbar war, dass es einen Zusammenhang zwischen Bildungsabschlüssen und extrem rechten Einstellungen gibt. So haben Befragte, die als Bildungsabschluss mindestens Abitur angaben, deutlich seltener rechtsextremen Aussagen zugestimmt. Besonders klar wurde der Unterschied beim Merkmal »Ausländerfeindlichkeit«. So gelten knapp neun Prozent der Menschen mit Abitur und höheren Abschlüssen allgemein als ausländerfeindlich, während es bei Befragten mit niedrigem oder gar keinem Schulabschluss 23,5 Prozent sind. Diese Gruppen nehmen vermutlich – mehr oder weniger gut begründet – Migranten als direkte ökonomische Konkurrenten wahr.
Ebenfalls nicht überraschend ist die Verteilung von Ungleichwertigkeitsideologien und Geschlecht. Männer sind für rechtsextreme Einstellung in allen Dimensionen anfälliger. Besonders bei der Ausländerfeindlichkeit und beim Chauvinismus kommen allerdings auch die Frauen auf hohe Werte: Mit knapp 19 Prozent sind sie fast so ausländerfeindlich wie Männer (22 Prozent). Mit gut 14 Prozent wird auch der »Chauvinismus« (im Sinne von aggressiver Nationalismus) von Frauen nicht unwesentlich mitgetragen (Männer: 20 Prozent).
Auf der politischen Ebene ist es nicht verwunderlich, dass die AfD als Wähler Menschen mit rechtsextremen Einstellungen anzieht, die vorher noch bürgerliche oder sogar linke Parteien gewählt haben. Durch die sogenannte Flüchtlingskrise gelingt es der AfD, anders als der NPD all die Jahre zuvor, diese Leute für sich zu aktivieren. Trotz diverser antirassistischer Kampagnen und kostspieliger Bildungsarbeit bei den Gewerkschaften sind übrigens bei deren Basis extrem rechte Einstellungen stärker vertreten als bei Nichtgewerkschaftsmitgliedern. Besonders deutlich ist der Unterschied bei den Merkmalen »Befürwortung einer Diktatur« und »Ausländerfeindlich« von Gewerkschaftsmitglied zu »kein Gewerkschaftsmitglied«.
Konservativen gefällt die Leipziger Untersuchung nicht. »FAZ zerlegt ziemlich cool die Mittestudie«, freute sich die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder auf Twitter. Anlass war ein Kommentar des FAZ-Redakteurs Jasper von Altenbockum. Unter dem Titel »Die enthemmten Wissenschaftler« unterstellte er den Leipziger Sozialforschern, zu Unrecht die Mitte der Gesellschaft als »enthemmt« zu bezeichnen. So sei die, in seinen Augen, geringe Anzahl von Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, Nazis also, gerade Zeichen dafür, dass man es in der Mitte eben nicht mit »enthemmten« Menschen zu tun habe. Ins gleiche Horn stieß im Deutschlandfunk der antikommunistische »Extremismusforscher« Klaus Schroeder vom »Forschungsverbund SED-Staat«. Auch er kritisierte die Fragen zu Rassismus und Gewalt, die durch ihre Formulierungen zu hohe Werte produzierten. Schroeder bezeichnete die Studie als »sehr interessengeleitet«, ihr Titel sei »völlig überzeichnet«. Wichtiger sei, über den diktatorischen Charakter der DDR aufzuklären – »damit nicht eine neue rechtsextreme Partei, ausgehend vom Osten« stärker werde.