Wasserknappheit in Mexiko

Erfrischung nötig

Trinkwasser ist in Mexiko ein knappes Gut, zudem ist es längst nicht immer genießbar. Gemäß der Verfassung hat die Bevölkerung aber ein Recht auf eine adäquate Wasserversorgung.

Chicoasén ist eine Kleinstadt im Zentrum von Chiapas. Der Ort mit 5 000 Einwohnern liegt nördlich der Verwaltungsmetropole Tuxtla Gutiérrez und nicht weit vom Nationalpark »Cañón del Sumidero« entfernt, der für seinen spektakulären 262 Meter hohen Wasserfall bekannt ist. Die Bauern der Region klagen jedoch über Wassermangel. »Früher war es einfach, unsere Felder zu bewässern, wir leben ja zwischen zwei Armen des Río Grijalva. Heute ist das anders, denn die Staudämme haben uns vom Wasser abgeschnitten«, erklärt Avisaín Solís López. Der 72jährige ist der Sprecher des ejido von Chicoasén. Ejidos sind kollektiv bewirtschaftete Flächen kommunalen Landes in Mexiko. Solís López ist mit diesem Modell der gemeinsamen Bewirtschaftung aufgewachsen und vertritt die Interessen des Kollektivs nach außen. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde der erste Staudamm eingeweiht; Anfang 2018 ist die Einweihung von Chicoasén II geplant und wie schon beim Bau des ersten Staudamms wird die Gemeinde einige Hundert Hektar kommunales Land verlieren. »Dafür fordern wir von den Betreibern Ausgleichsflächen. Doch unsere Forderungen werden ignoriert und wir werden kriminalisiert«, klagt Solís López. »234 Hektar unserer Fläche soll der Stausee dann überschwemmen und wir müssen sehen, wo wir unseren Mais und die Bohnen anbauen«, sagt er, seine Tochter Claudia Rubi Solís und sein Sohn Humberto nicken zustimmend. Sie haben ihren Vater an diesem Tag nach San Cristóbal de las Casas zum Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas begleitet, denn 2009 wurde er entführt und misshandelt. Doch aufgeben will er nicht und so hat er sich an das Menschenrechts­zentrum gewandt. Nun kümmert sich ein Anwalt um die Belange des Kollektivs aus Chicoasén. Derartige Landkonflikte gebe es oft in Chiapas, so der Direktor des Zentrums, Pedro Faro Navarro. Er wirft den staatlichen Institutionen vor, Land nur als Ware zu betrachten und kollektives und kommunales Eigentum nicht zu achten. Nicht anders liegen die Dinge beim Wasser; die Zahl der Konflikte darum nimmt nicht nur in Chiapas, sondern auch in anderen an Wasser reichen Regionen Mexikos wie in Guerrero oder Oaxaca zu. In Chiapas generieren die fünf großen Staudämme am Río Grijalva fast 50 Prozent des in Mexiko konsumierten Stroms. Weitere Wasserkraftwerke wie »La Parota« sind in Guerrero nahe der alten Touristenmetropole Acapulco geplant, und auch dort ist die lokale Bevölkerung nie gefragt worden, ob sie mit den Großprojekten einverstanden ist. Das aber ist vorgeschrieben, denn Mexiko hat die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet und sich verpflichtet, das Recht indigener Gemeinden auf vorherige Befragung zu achten. Doch tatsächlich setzt sich das staatliche Elektrizitätsunternehmen Comisión Federal de Electricidad (CFE) darüber hinweg, wie das Beispiel Chicoasén zeigt. Auch in Guerrero gibt es solche Konflikte. Dort begleiten Freiwillige der Internationalen Friedensbrigaden (PBI) Menschen wie Celsa Valdovinos Ríos. Sie gehört der Umweltorganisation »Mujeres ecológicas« an, die sich gegen den illegalen Holzeinschlag wehrt, um den Wasserhaushalt der Region zu erhalten. »Ein Problem ist, dass dort, wo die meisten Menschen leben, nicht sonderlich viel Wasser zur Verfügung steht«, sagt der Wasserexperte der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt (Unam), Jorge Alberto Arriaga. So befinden sich 60 Prozent der Wasservorkommen im Süden des Landes in Chiapas, Guerrero und Oaxaca. 70 Prozent der mexikanischen Bevölkerung lebt jedoch in ariden und semiariden Regionen, wozu auch die wichtigsten Industrieregionen von Mexiko-Stadt, Puebla und Guadalajara gehören. Das führt dazu, dass nach Mexiko-Stadt bereits Wasser aus dem Nachbarstaat Hidalgo gepumpt wird. Zudem werde immer tiefer gebohrt, um Grundwasser nach oben zu fördern, kritisiert der promovierte Ingenieur Arriaga. Er ist an der größten Universität Mexikos für die Nationale Beobachtungsstelle für das Recht auf Wasser verantwortlich und berät auch Kleinstädte bei der Entwicklung von nachhaltigen Wasserkonzepten. Die Unam engagiert sich seit Jahrzehnten für einen anderen Umgang mit Wasser. Auf dem Campus hat sie ein eigenes Wasserversorgungssystem aufgebaut, das über drei eigene Brunnen, zwei moderne Kläranlagen und ein transparentes Kontrollsystem verfügt. Das Modell soll Vorbild sein für den Umgang mit Wasser in Mexiko. Das Wasser müsste öfter genutzt werden, bis dato wird es meist nur einmal genutzt und dann entsorgt. Die Verwaltung von Mexiko-Stadt baut etwa einen gigantischen unterirdischen Kanal, der das Abwasser Richtung Meer leiten soll. Diesen Umgang kritisiert der 29jährige Arriaga: »Wasseraufbereitung ist eher die Ausnahme als die Regel, aber genau das kann sich Mexiko nicht mehr leisten, denn es gibt einerseits ein Grundrecht auf Wasser, andererseits größer werdende Versorgungsprobleme.« Das Grundrecht auf Wasser wurde 2012 während der Amtszeit von Felipe Calderón (2006–2012) in die Verfassung aufgenommen. »Was es allerdings nicht gibt«, so Arriaga, »sind konkrete Bestimmungen, wie das Grundrecht in der Realität umgesetzt wird.« Diese Bestimmungen hätten eigentlich ein Jahr nach Erlass des Grundrechts fixiert werden müssen, aber das ist nicht passiert. In Mexiko wird die Umsetzung von Gesetzen durch Korruption und den wenig effektiven Justizapparat häufig verschleppt. Die Versorgung ist daher vielerorts mangelhaft. In Mexiko-Stadt gibt es einige Bezirke, die rund um die Uhr mit Wasser versorgt werden, etwa die Hälfte der Haushalte bekommt jedoch nur unregelmäßig welches. Ein weiteres Problem ist, dass bis zu 40 Prozent des Leitungswassers aufgrund undichter Rohre versickern. In manchen Bezirken kommt das Wasser nur tageweise aus dem Hahn, in anderen müssen die Menschen per Tankwagen mit Wasser versorgt werden. Das Wasser hat nicht immer eine gute Qualität, wie eine Studie der Unam über Iztapalapa, einen von 16 Verwaltungsbezirken der Hauptstadt, belegt. Dort leben 600 000 Menschen, die unkontrolliert zugezogen sind, so dass die städtische Infrastruktur schlecht ausgebaut ist. Eine Folge ist, dass in vielen Vierteln die Haushalte keinen Wasseranschluss haben – im Großraum Mexiko-Stadt betrifft das 1,3 der 22 Millionen Einwohner – und von privaten Tankwagen versorgt werden, deren Wasser der Studie zufolge zuweilen schwarz oder beige ist, modrig riecht und teilweise nach Eisen schmeckt. Diese Wasserqualität reiche maximal für die Körperhygiene und zum Putzen, aber nicht für den Verzehr. Die Studie der Unam kommt zu dem Schluss, dass das in der Verfassung verbriefte Grundrecht in Iztapalapa verletzt wird. Von dieser mangelnden Wasserqualität profitieren die Getränkekonzerne. Auf die größten fünf Unternehmen, Coca-Cola, Pepsi Co., Nestlé, Danone und Dr. Pepper Snapple, entfallen 84,4 Prozent des mexikanischen Mineralwassermarkts. Auf diesem wurden 2014 fast zwölf Milliarden US-Dollar umgesetzt. Mexiko zählt zu einem der attraktivsten Märkte weltweit, der Pro-Kopf-Konsum von Mineralwasser liegt in Mexiko-Stadt bei 390 Litern im Jahr, im Landesdurchschnitt sind es 243 Liter. Für die Wasser abfüllenden Unternehmen ist das ein gutes Geschäft, denn sie pumpen das Wasser oftmals fast umsonst aus den besten Quellen des Landes ab. So hat Coca-Cola 2003 für die Lizenz zur Versorgung seiner Getränkefabrik nahe San Cristóbal de las Casas umgerechnet gerade einmal 25 000 Euro gezahlt – einmalig. Seitdem pumpt die Getränkefabrik täglich 750 000 Liter Quellwasser ab, obwohl die lokalen Gemeinden mehrfach über knapper werdendes Wasser in ihren Brunnen klagten. Es ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen in Mexiko. Die Unam und die nationale Bewegung »Agua para todos« (Wasser für alle) wollen diese Verhältnisse ändern. Ein Etappenerfolg war die im vergangenen Jahr erfolgte Ablehnung der Novelle des Wassergesetzes. Offiziell zielte sie auf einen effizienteren Umgang mit Wasserreserven; so sollten den Mexikanerinnen und Mexikanern künftig 50 Liter Wasser täglich zur Verfügung stehen – deutlich weniger als der Durchschnittsverbrauch von 202 Litern täglich. Doch die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes fürchteten auch eine weitere Privatisierung des Wassersektors und steigende Verbraucherpreise. Das Parlament hat das Vorhaben wegen des großen Widerstands vor der im März 2015 geplanten Abstimmung vorerst ausgesetzt.