Die Filmkünstlerin Ida Lupino

Rollentausch am Set

Eine Filmreihe im Berliner Arsenal widmet sich der Produzentin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin Ida Lupino.

Während sich die meisten Hollywood-Stars am Set zu Tode langweilten, nutzte die Schauspielerin Ida Lupino die endlose Warterei dafür, die ­Regie- und Kameraarbeit zu beobachten. Sie hatte die besten Lehrer: Filmemacher wie Allan Dwan, Henry Hathaway, Raoul Walsh, Nicholas Ray und Charles Vidor. Lupino, 1918 als Tochter eines Schauspielerpaares in London geboren und 1933 von England in die USA übergesiedelt, galt in Hollywood unter anderem durch ihre Rollen in den von Raoul Walsh gedrehten Filmen wie »They Drive By Night« (1949), »High Sierra« (1941) und »The Man I Love« (1947) als Spe­zialistin für die Verkörperung der Schurkin, der Gangsterbraut und der Neurotikerin. Sie selbst nannte sich einmal »poor man’s Bette Davis«, da ihr oft Rollen angeboten wurden, die ihre berühmte Kollegin abgelehnt hatte.
Doch auch Lupino war wählerisch. Als sie das Warner-Brothers-Studio suspendierte, weil sie eine Rolle abgelehnt hatte, setzte sie ihr selbstorganisiertes Filmstudium fort, arbeitete sich ins Handwerk ein und schrieb Drehbücher. Für Lupino begann ­damit ein neues Kapitel ihrer beruflichen Laufbahn, am Rand von Hollywood und in einer Multifunktion als Regisseurin, Produzentin, Autorin und Schauspielerin. Mit ihrem damaligen Ehemann, dem Produzenten Collier Young, gründete sie die Produktionsfirma Emerald Productions, aus der 1949 »The Filmakers« wurde (mit einem »m«). In nur sieben Jahren produzierten sie zehn Filme, in fünf dieser Filme führte ­Lupino Regie. Als die Firma 1953 am Ende war, fand Lupino im Fern­sehen ein neues Arbeitsfeld – so inzenierte sie etwa zwei Episoden von »Alfred Hitchcock Presents« und als einzige Frau eine Folge der legendären Mystery- und Scifi-Serie »The Twilight Zone«.
Lupinos Beitrag als bedeutende Autorin des B-Movie-Kinos ist weit­gehend vergessen; erst seit einigen Jahren ist das Interesse an ihrem Werk neu erwacht. Nachdem die Viennale im vergangenen Jahr eine Werkschau ausrichtete, zeigt nun das Berliner Kino Arsenal fünf ihrer ­Regiearbeiten und weitere Filme mit ihr als Darstellerin, darunter die ­Walsh-Filme und Don Siegels »Private Hell 36« (1954), ein von Filmakers produzierter Noir.
Für eine Frau war im Hollywood der fünfziger Jahre das Regiefach absolut nicht vorgesehen, trotz einiger weniger Pionierinnen wie etwa Dorothy Arzner. Lupino, die sich öffentlich vom Feminismus distanzierte, ­erklärte ihren Wechsel ins Regiefach gerne in Form einer Anekdote: Bei der ersten Filmakers-Produktion »Not Wanted« (1949), einem Drama über ein schwangeres Mädchen, sei sie kurzfristig eingesprungen, als Regisseur Elmer Clifton nach wenigen Drehtagen schwer erkrankte – angeblich übernahm sie aus Kostengründen selbst die Regie. Ihr Name wird in den Regie-Credits zwar nicht genannt, doch Lupinos Signatur ist hier schon deutlich sichtbar: ein empathischer Blick für Figuren im gesellschaftlichen Abseits verbunden mit einem leicht appellativen Tonfall, die Mischung aus einem eher trockenen Realismus und dem exzessiven Vokabular des Melodrams, ein Faible für Noir-Atmosphäre auch bei sozialkritischen Stoffen.
Die Filme der Filmakers waren für ihre realitätsnahe, sozialkritische Ausrichtung bekannt: ungewollte Schwangerschaft, Bigamie, Vergewaltigung – Themen, die den großen Studios Angst machten. Auch ihr dokumentarischer Stil, Ergebnis von knappen Budgets und kurzen Drehzeiten, setzte sie von den Produktionen der Industrie ab. Lupino drehte auf den Straßen von Los Angeles, in der kalifornischen Wüste, in einem Rehabilitations-Zentrum. Mit ­»Never Fear« (1949) realisierte sie ihre erste Regiearbeit unter eigenem Namen – ein Film über Liebe, Hoffnung und Körperarbeit, in dem sie ihre Polio-Erkrankung als Teenager verarbeitete. Es folgten »Outrage« (1950), die mit großem Einfühlungsvermögen ­erzählte Geschichte eines Vergewaltigungsopfers (das Wort »Vergewal­tigung« wird natürlich nie ausgesprochen und auch andere explizite ­Benennungen fielen dem Hays Code zum Opfer) und das Sportdrama »Hard, Fast and Beautiful« (1951). Erneut stehen Frauenfiguren im Zentrum: ein Tennistalent und seine verbissene Mutter, die ihre Tochter zum Erfolg treibt, um ihren eigenen sozialen Aufstieg zu sichern.
Wenn es zu diesem Zeitpunkt ­vielleicht nahelag, Lupino eine besondere, spezifisch »weibliche« Sensi­bilität in der Gestaltung und Inszenierung von Frauenfiguren nachzusagen, brachte »Mother«, wie sie von ihren Crewmitgliedern liebevoll genannt wurde (als Alternative zu »Loops«, »Loop« oder »Lupie«) mit dem nächsten Werk diese Einschätzung gehörig ins Wanken. »This is the true story of a man and a gun and a car«, heißt es in der ein­leitenden Texttafel zu dem reinen Männerfilm »The Hitch-Hiker« (1953). Der finstere Krimi um einen psychopathischen Killer entwickelt seine Kraft durch ein kontrastreiches Lichtkonzept, Schroffheit und Reduktion. Mann, Auto und Knarre tauchen im Film als eine zyklisch wiederkehrende bildmotivische Reihung auf. Auf hintergründige Weise zeichnet Lupino mit den Figuren zweier gekidnappter Ehemänner das Bild ­einer angeschlagenen Männlichkeit – ein Thema, das in »The Bigamist« (1953) stark in den Vordergrund rückt.
Bigamie ist nicht unbedingt ein ­typisches Verbrechen im Film Noir, und doch folgt Lupino hier auf den ersten Blick ganz den Mustern des Genres, um sie an den entscheidenden Stellen komplett zu verändern: Anstelle des hundscoolen Noir-Protagonisten setzt Lupino auf einen ­soften, passiven Mann in der Krise. Seine Ehefrau braucht ihn nicht, sie geht selber arbeiten und sie mag ­ihren Job richtig gerne – sie vertreibt Kühlaggregate. Dass Collier Youngs neue Frau Joan Fontaine an der Seite von Lupino die Rolle von Ehefrau Nummer eins spielte, sorgte bei der Veröffentlichung des Films für erheblichen Wirbel. Dabei war diese schlagzeilentaugliche personelle Verwicklung sicherlich nicht das eigentlich Interessante. Lupino bricht in diesem Film, in dem sie sich das einzige Mal als Schauspielerin selbst inszenierte (als Ehefrau Nummer zwei) mit großem Selbstverständnis die in Filmen der Fünfziger geltende Geschlechterordnung, derzufolge die Männer arbeiten und versorgen, während die Frauen sie unterstützen. Zudem nahm sie mit einer Szene beiläufig zur Hollywood-Welt Stellung. Um ihre Einsamkeit zu verscheuchen, unternehmen »der Bigamist« Harry und die Kellnerin ­Phyllis eine Bustour durch die Hollywood Hills. Während die Mitreisenden von ihren Fensterplätzen aus die Anwesen von Celebrities wie Clark Gable und Barbara Stanwyck bestaunen, schließt Phyllis die Augen. Es ist nicht ihre Welt.
Schauspielerin, Produzentin, Regisseurin: Ida Lupino. Bis 30. Juli im Kino Arsenal, Berlin