Ledige Frauen werden in China stigmatisiert

Dating unter Druck

Über 27 Jahre alt, Städterin mit Hochschulabschluss, aber unver­hei­ratet: In Chinas sozialen Medien werden solche »übriggebliebenen Frauen« (»shengnü«) stigmatisiert. Doch in letzter Zeit regt sich Widerstand gegen diese Haltung und auch gegen den gesellschaftlichen Druck, heiraten zu müssen.

Frauen haben in China eigentlich auf dem Heiratsmarkt einen riesigen Vorteil gegenüber Männern. Sie können hohe materielle Anforderungen an den zukünftigen Partner stellen. Gutaussehend, groß, wohlhabend, Besitz von Eigentumswohnung und Auto sowie Universitätsabschluss sind als Auswahlkriterien in den städtischen Mittelschichten weitverbreitet. Denn das Land hat ein gewaltiges Problem mit dem demographischen Ungleichgewicht der Geschlechter. Die Ein-Kind-Politik führte seit 1980 zur gezielten Abtreibung weiblicher Föten, gerade auf dem Land, da Söhne bevorzugt werden. Diese haben nun als Erwachsene Schwierigkeiten, Ehefrauen zu finden. Derzeit soll es 20 Millionen mehr Männer als Frauen in der Bevölkerung unter 30 Jahren geben. Bis 2020 wird der Männerüberschuss den Schätzungen der chinesischen Regierung zufolge auf über 33 Millionen steigen. Dieses Geschlechterungleichgewicht war auch offiziell eine der Begründungen, warum im Januar eine Zwei-Kind-Politik eingeführt wurde.
In der chinesischen Gesellschaft gibt es immer noch großen Druck, eine heterosexuelle Ehe einzugehen und Kinder zu bekommen. Das durchschnittliche Heiratsalter liegt in China bei 25 Jahren. Dass Millionen von Männern keine Familien gründen können, wird von der chinesischen Regierung als Gefahr für die Stabilität des Landes gesehen. Zunahme von Kriminalität, Prostitution und Frauenhandel werden als Folgen befürchtet. »Nackte Stöcke« (guangun) werden vor allem die ländlichen Junggesellen genannt, die zu arm sind, um eine Ehefrau finden zu können. Der generelle Frauenmangel auf dem Heiratsmarkt führt auch zu skurrilen Vorschlägen. Xie Zoushi, Professor an der Zhejiang-Universität, riet ernsthaft, dass sich besser mehrere arme Männer eine Ehefrau teilen sollten, als lebenslang Junggesellen zu bleiben. Dafür erntete er einen medialen Shitstorm.
Interessanterweise wird in den sozialen Medien aber nicht über die »nackten Stöcke« heiß diskutiert, sondern über die »übriggebliebenen Frauen«. Zahlenmäßig ist das die viel kleinere Gruppe. »Übriggebliebene Frauen« fänden keinen Mann, da sie zu verwöhnt, zu eingebildet seien und zu hohe Ansprüche hätten. Wer lange Single bliebe, könnte sich einem »unmoralischen Lebenswandel« hingegeben haben. Diesen Frauen wird vorgeworfen, sie hätten zu lange gewartet, den passenden Ehemann zu finden. Die »guten Männer« seien schon vergeben, aber die eigene jugendliche Schönheit vergehe. So lauten die Zuschreibungen, die nicht nur von Bloggern, sondern auch vom staatlichen Frauenverband und der Nachrichtenagentur Xinhua verbreitet werden. Seit 2007 befindet sich der Begriff »übriggebliebene Frauen« sogar in offiziellen Lexika.
Was den Heiratsmarkt betrifft, sind die »übriggebliebenen Frauen« Opfer ihrer eigenen wirtschaftlichen und akademischen Erfolge. Viele Männer wollen keine Frau heiraten, die einen besseren Bildungsabschluss oder ein höheres Einkommen als sie selbst hat. Ein neues Sprichwort sagt daher: »In China gibt es drei Geschlechter: Männer, Frauen und Frauen mit Doktortitel.« Die »nackten Stöcke« aus den Dörfern kommen für die allermeisten städtischen Frauen als Ehepartner ohnehin nicht in Frage. In China suchen sich zwar die jungen Menschen heutzutage ihre Partner selbst aus, die Zustimmung der Eltern ist aber immer noch wichtig. Ein Heiraten »nach unten« trifft häufig auf den erbitterten Widerstand der Familie der Frau. Gleichzeitig üben Eltern, Verwandte und Kollegen großen Druck aus, das Single-Leben zu beenden, und organisieren Dates.
Eine Möglichkeit, sich dem zu entziehen, ist, westliche Ausländer zu heiraten, in deren Augen chinesische Frauen Ende 20 nicht als »zu alt« gelten. Diese Wahl wird aber nicht immer von den Eltern der Frau unterstützt. Eine weitere Möglichkeit, den Druck für einige Jahre zu reduzieren, ist, ein Studium im Ausland zu absolvieren. Die Mehrheit der 400 000 chinesischen Studierenden im Ausland ist weiblich. Dem Gerede über die »übriggebliebenen Frauen« können die jungen Chinesinnen aber auch dort nicht entkommen, falls sie in den chinesischen sozialen Medien aktiv sind.
Kinder ohne Eheschließung zu bekommen, ist in China illegal. Im Rahmen der staatlichen Familienplanung bekommen nur verheiratete Paare eine Geburtserlaubnis. Menschen ohne Kinder werden von der Mehrheitsgesellschaft als »unvollkommen« betrachtet. Bereits der konfuzianische Philosoph Menzius sagte, dass es die schlimmste Form von Pietätlosigkeit gegenüber den eigenen Eltern sei, keine Nachkommen zu zeugen. Die Kommunistische Partei erkannte Kinderlosigkeit nie als wertvollen Beitrag zur Reduzierung des Bevölkerungswachstums an. Da nur noch Teile der städtischen Bevölkerung in das staatliche Rentensystem eingebunden sind, droht zudem bei Kinderlosigkeit die Altersarmut. Für ein lebenslanges Single-Dasein ist in den chinesischen Metropolen ein hohes Einkommen erforderlich.
Um den Druck auf die »übriggebliebenen Frauen« zu erhöhen, doch noch zu heiraten und Kinder zu bekommen, kursieren in den sozialen Netzwerken massenweise Warnungen, dass bei Geburten im Alter von über 30 Jahren die körperliche und geistige Gesundheit des Kindes auf dem Spiel stünde. Der chinesische Staat hat ohnehin die eugenetische Vision, die »Qualität« (suzhi) der Bevölkerung zu verbessern. Gerade die gebildeten Frauen der städtischen Mittelschicht verfügen aus dieser Sicht über die materiellen und intellektuellen Ressourcen, um die »Qualität« der Heranwachsenden zu erhöhen. Generell sollen diese Frauen nach der Geburt länger zu Hause zu bleiben. Während für die Hausarbeit und die Betreuung der Kinder weiterhin in der Regel die Hausangestellten und Großeltern zuständig sind, wird die Mama mit Universitätsabschluss für den intellektuellen Teil der Erziehung gebraucht. Gut ausgebildete Frauen, die gar nicht erst heiraten wollen, verweigern sich damit dem eugenischen Projekt des Staats und werden auch deshalb für ihren »Egoismus« angegriffen.
Die allgemeine Erwartungshaltung ist so stark, dass auch die große Mehrzahl homosexueller Menschen eine Ehe mit einem andersgeschlechtlichen Partner eingeht und Kinder zeugt. Für die Frauen von schwulen Männern gibt es ein neues Wort, tongqi, eine Kombination aus »Genosse« (im Sinne von Schwuler) und »Ehefrau«. Diese Frauen wissen oft nicht über die sexuelle Orientierung ihres Mannes Bescheid. Heterosexuelle Ehemänner von lesbischen Frauen werden dagegen weniger als Opfer wahrgenommen.
Feministinnen haben in sozialen Medien und auch auf Plakatwänden in Städten eine Kampagne gegen »Zwangsheiraten« sowie die Stigmatisierung der »übriggebliebenen Frauen« gestartet. An Eltern wird appelliert, die Entscheidungen ihrer Kinder zu akzeptieren. Für großes Aufsehen sorgte ein emotionales Video, dass gegen die Diskriminierung von unverheirateten Frauen Stellung bezog. Es stellte sich am Ende heraus, dass es Teil einer Werbekampagne einer japanischen Kosmetikfirma war. Damit wurden die »übriggebliebenen Frauen« auch als zahlungskräftige Konsumentinnen entdeckt.