die erste Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses

Die Konsensdemokratie klärt auf

Der Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit aufgenommen. Parteipolitische Interessen stehen dem Auftrag des Gremiums entgegen.

Mangelnden Ehrgeiz kann man den Mitgliedern nicht vorwerfen. Am 12. Juli tagte in nichtöffentlicher Sitzung zum ersten Mal der »Untersuchungsausschuss zu organisierter rechtsextremer Gewalt und Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)«, kurz der NSU-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags. Neben dem Beschluss der Geschäftsordnung diente die Sitzung vor allem der Annahme von mehr als 30 Beweisanträgen. In dieser Zahl spiegelt sich der ambitionierte Auftrag des Untersuchungsausschusses wieder. Dieser soll – so legt es zumindest der Einsetzungsbeschluss des Landtags fest – sehr umfassend die Beziehungen zwischen dem Brandenburger Verfassungsschutz und dem militanten Nazimilieu von Ku-Klux-Klan über »Blood & Honour« bis hin zur Rechtsrockszene beleuchten. Auch soll er feststellen, warum Brandenburger Behörden nach der Selbstenttarnung des NSU die Aufklärung des Komplexes nicht nennenswert unterstützten.
Große Aufmerksamkeit dürfte dabei der V-Mann »Piatto« erhalten, der für den Brandenburger Verfassungsschutz tätig war. Hinter diesem Decknamen verbarg sich der umtriebige und gewalttätige Neonazi Carsten Szczepanski, der die Verfassungsschützer frühzeitig über Versuche des NSU-Kerntrios informierte, sich zu bewaffnen. Allerdings sorgte der Geheimdienst dafür, dass diese Information für die polizeiliche Fahndung nach den drei Abgetauchten nicht genutzt werden konnte. Es stellt sich damit eine bedeutende Frage: Hätten Brandenburger Behörden die Mordserie verhindern können?
Doch das Augenmerk des Ausschusses soll nicht nur auf dem NSU liegen, sondern auch auf Gruppen wie der »Nationalen Bewegung«, die in den Jahren 2000 und 2001 eine bislang nicht aufgeklärte Serie von Anschlägen verübte, die an die Frühphase des NSU erinnert. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen sollen dem Einsetzungsbeschluss zufolge Konsequenzen gezogen werden für »die künftige Abwehr, Verfolgung und Aufklärung von Straftaten rechtsextremer Organisationen und Personen«, den Aufbau und »die demokratische und parlamentarische Kontrolle der jeweils betroffenen staatlichen Stellen«, die Stärkung der Zivilgesellschaft, die »Prävention von Rechtsextremismus« und die Verbesserung des Opferschutzes für tatsächliche und potentiell Betroffene.
Dieser umfassende Auftrag, der geradezu auf eine Debatte über die Legitimität geheimdienstlicher Tätigkeit in der rechtsextremen Szene zielt, überrascht, hatte doch die Regierungskoalition aus SPD und Linkspartei sich einer Aufklärung der Zusammenhänge zwischen dem Vorgehen des Brandenburger Verfassungsschutzes und den Taten des NSU lange und hartnäckig widersetzt. Erst als die Weigerung, sich mit dem Treiben des NSU auseinanderzusetzen, vor allem für die Linkspartei zu peinlich wurde und die oppositionelle CDU zusammen mit den Grünen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragte, sahen sich auch die Regierungsfraktionen gezwungen, der parlamentarischen Untersuchung zuzustimmen (Jungle World 13/2016). Konsequenterweise bekundete der Vorsitzende des Ausschusses, Holger Rupprecht (SPD), am Tag der konstituierenden Sitzung: »Versäumnisse sehe ich noch überhaupt nicht.«
Ob er bei dieser Auffassung bleiben wird, dürfte sich ab September zeigen, wenn der Ausschuss in öffentlichen Sitzungen seine reguläre Arbeit aufnimmt. In den Ausschuss, in dem die SPD mit drei Abgeordneten, CDU und Linkspartei mit je zwei und Grüne und AfD mit je einem vertreten sind, entsenden fast alle Fraktionen ausgewiesene Justiz- und Innenpolitiker, die durchaus einen Ruf zu verlieren haben. Diese sollen im Herbst von profilierten Rechtsextremismusexperten einen Überblick über die Entwicklung der Brandenburger Naziszene erhalten, bevor die eigentliche Arbeit des Ausschusses beginnt.
Dann wird sich auch zeigen, inwieweit Konflikte zwischen Regierung und Opposition sich auf den Ausschuss auswirken werden. Im für die Untersuchung relevanten Zeitraum regierte die SPD die meiste Zeit zusammen mit der zurzeit oppositionellen CDU, aber auch ein paar Jahre mit der Linkspartei. Letztere war über die Parlamentarische Kontrollkommission auch in ihrer Oppositionszeit in Entscheidungen über Spitzeleinsätze eingebunden und trug in der Brandenburger Konsensdemokratie viele Entscheidungen zur inneren Sicherheit mit. Alle drei großen Parteien dürften so gleichermaßen die sich widersprechenden Interessen haben, einerseits Vertreter der Konkurrenz bloßzustellen und andererseits das Handeln der Behörden insgesamt zu verharmlosen und zu legitimieren.
Unter diesen Bedingungen ist eine kritische externe Begleitung und Dokumentation der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses von erheblicher Bedeutung. Dies versucht die Initiative »NSU Watch Brandenburg – Hinter den Kulissen« zu leisten, die sich ungefähr gleichzeitig mit der Konstituierung des Untersuchungsausschusses der Öffentlichkeit vorstellte. Der zweite Teil des Namens ist eine Reminiszenz an eine Brandenburger Antifa-Zeitschrift der neunziger Jahre. Deren Autorinnen und Autoren trugen damals schon eine Vielzahl der Informationen zusammen, die nun nötig sind, um die Genese eines rechtterroristischen Milieus in Brandenburg zu rekonstruieren. Anlässlich der Vorstellung der Initiative sagte ein Vertreter: »Brandenburg ist unseres Wissens nach kein Tatland des NSU, sein Netzwerk reichte aber tief in die Brandenburger Naziszene hinein, inklusive diverser V-Leute. Wie diese Szene konstituiert war und welche Rolle der Verfassungsschutz spielte, muss deshalb dringend aufgeklärt werden.« Über die Rolle des Geheimdienstes macht sich die Gruppe keine Illusionen: »Der Verfassungsschutz war fast immer dabei. Das sind keine Verfehlungen einzelner Mitarbeiter, sondern dahinter steckt ein systematisches Fehlverhalten, das in der Logik geheimdienstlicher Arbeit steht.«
Im Gespräch mit der Jungle World wies eine weitere Vertreterin der Gruppe auf einen Gesichtspunkt hin: »Das ganze Thema NSU wird in Brandenburg hauptsächlich als Problem der Arbeit des Verfassungsschutzes diskutiert. Der mörderische Rassismus fällt dabei oft hinten runter. Wir wollen nicht, dass am Ende des Untersuchungsausschusses einfach nur versucht wird, die geheimdienstliche Arbeit zu optimieren.« So habe »NSU Watch Brandenburg – Hinter den Kulissen« eine ganz andere Absicht: »Unser Ziel ist eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie die rassistische Gewalt der neunziger Jahre die Verhältnisse im Land prägte und prägt und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.«