Der »Islamische Staat« in Afghanistan bekennt sich zu Anschlag auf Hazara

Konkurrenten für die Taliban

Der »Islamische Staat« versucht, sich mit Angriffen auf die schiitische Minderheit der Hazara in Afghanistan zu etablieren.

Am Samstag ereignete sich der schwerste Anschlag seit dem Ende der Taliban-Herrschaft in Kabul. Über 80 Menschen starben und mehr als 250 wurden verletzt, als ein Selbstmordkommando eine Demonstration von Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der ­Ha­zara in der afghanischen Hauptstadt attackierte. Die Demonstration war Teil einer in den vergangenen Monaten gewachsenen ­sozialen Protestbewegung der zwar nicht mehr rechtlich diskriminierten, aber im Alltag noch häufig von Rassismus betroffenen Hazara. Entstanden waren die friedlichen Proteste wegen der Strecken­änderung der transasiatischen Hochspannungsstromleitung Tutap, die ursprünglich durch zwei Hazara-Provinzen führen sollte und von der Entwicklungschancen erhofft wurden.
Die Attentäter brachten einen präparierten Eiscremewagen inmitten der Menschenmenge zur Explosion. Den afghanischen ­Sicherheitsbehörden zufolge hätte der Anschlag vermutlich noch weit mehr Opfer gefordert, wenn nicht die Zündung des zweiten Sprengsatzes versagt hätte. Ein weiterer Attentäter mit Sprengstoffweste sei erschossen worden, als er auf eine Gruppe von Frauen ­zurannte.
Kurz darauf bekannte sich der regionale Ableger des »Islamischen Staats« (IS) über die Nachrichtenplattform Amaq zu der Tat. Dass die Demonstration der Hazara, die mit fünf Millionen Menschen die drittgrößte Bevölkerungsgruppe Afghanistans sind und mehr­heitlich dem schiitischen Islam folgen, zum Ziel der sunnitischen Extremisten wurde, zeigt die perfide Strategie des IS, der sich über die gezielte Eskalation religiöser und ethnischer Spannungen profilieren will.
Denn in militärischer Hinsicht konnte der IS bisher in Afghanistan nur wenig erreichen, die Terrororganisation behauptet sich derzeit nur in ein paar Tälern im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Hier wird er sowohl von den afghanischen Sicherheitskräften und US-Drohnen als auch den afghanischen Taliban bekämpft. Unterstützt wird der IS jedoch von der seit Jahren in der Region aktiven Islamischen Bewegung Usbekistans und sunnitischen Extremisten aus Pakistan, wo seit Jahren größere Anschläge auf die schiitische Minderheit verübt werden. In Afghanistan lebten in den vergangenen 15 Jahren Sunniten und Anhänger schiitischer Glaubensrichtungen verhältnismäßig friedlich zusammen, abgesehen von einer Anschlagsserie 2011 sowie einigen Übergriffen und Entführungen.
Es mag zynisch wirken, dass die ebenfalls sunnitischen und mehrheitlich paschtunischen Taliban, unter deren Herrschaft die Hazara bis 2001 drangsaliert wurden, den Anschlag umgehend verurteilten. Schließlich kümmert es die Taliban wenig, wenn bei ihren Anschlägen auf Polizeistationen, Gerichte, das Parlament, Ministerien, Hotels oder Militärstützpunkte auch zahlreiche Zivilisten sterben. Jedoch erscheinen die Taliban seit einigen Jahren bemüht, keine ethnischen oder religiösen Konflikte zu eröffnen. Sie sehen sich vorrangig als Gegner der afghanischen Regierung und der internationalen Streitkräfte im Lande. So erscheint es logisch, dass der IS versucht, sich als extremer im Vorgehen gegen die als Ungläubige eingestuften Schiiten zu positionieren und die Binnenkonflikte anzuheizen.