»Entkriminalisierung ist das Mindeste«

Bärbel Knorr, Mitarbeiterin im Fachbereich Drogen und Strafvollzug der Deutschen Aids-Hilfe (DAH), sprach mit der Jungle World über die Folgen der herrschenden Drogrenpolitik.

Ein Hungerstreik von 47 drogenabhängigen Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg wurde vergangene Woche erfolglos beendet. Die Gefangenen hatten ein Methadonprogramm, bessere medizinische Versorgung und Telefone auf der Station gefordert. Bärbel Knorr, Mitarbeiterin im Fachbereich Drogen und Strafvollzug der Deutschen Aids-Hilfe (DAH), sprach mit der Jungle World über die Folgen der herrschenden Drogrenpolitik.

Warum gibt es für die Gefangenen keinen Zugang zu einem Substitutionsprogramm?
In Bayern wird die Behandlung mit Ersatzstoffen im Rahmen einer Therapie grundsätzlich abgelehnt und ist nur in wenigen Einzelfällen bei Kurzstrafen möglich. Auch wenn Abhängige schon jahrelang mit Methadon substituiert werden, wird ihnen der Zugang dazu nach Beginn der Haft verwehrt. Die Substitution wird einfach abgesetzt, was heftige Schmerzen für die Betroffenen zur Folge haben kann. Es muss endlich eine flächendeckende Behandlung von Suchtkranken im Strafvollzug geben, damit eine Schadensminimierung gewährleistet werden kann.
Die Forderungen der Gefangenen wurden nicht erfüllt, die Häftlinge zum Teil in andere Haftanstalten verlegt. Welche Folgen hat das?
Wir hatten keinerlei Kontakt zu den Gefangenen. Wir gehen davon aus, dass sie versuchen werden, ihre Drogen unter hohem Druck innerhalb der JVA zu besorgen. Dies führt meist auch zu einer hohen Verschuldung. Wenn Gefangene ihre Spritzen untereinander tauschen, führt dies zu einem dramatisch höherem Risiko einer HIV- oder Hepatitis-Ansteckung. Vor ein paar Jahren hat beispielsweise eine saubere Spritze in einer JVA in Nordrhein-Westfalen 30 Euro gekostet. Das können sich viele nicht leisten. Wir betreuen gerade einen ehemaligen Gefangenen, der während seiner sechsjährigen Haft in Bayern trotz Indikation nicht substituiert und so zum kalten Entzug gezwungen wurde. Davor war er bereits 18 Jahre lang im Methadonprogramm. Er hat sich durch alle Rechtsinstanzen geklagt, nun liegt seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und wir warten auf das Urteil.
Die DAH fordert neben der flächendeckenden Einführung von Drogenkonsumräumen auch eine kontrollierte Abgabe von bislang illegalen Substanzen. Wie soll eine Entkriminalisierung von Drogenkonsum den Tod von Drogenabhängigen verhindern?
Für einen selbstbestimmten und sicheren Umgang mit Drogen ist eine Entkriminalisierung das Mindeste. Die Gesundheit von Drogenkonsumenten lässt sich viel besser schützen, wenn es einen kontrollierten Zugang zu sauberen Substanzen gibt, die von geschulten Verkäufern im Fachhandel unter bestimmten Auflagen abgegeben werden. Durch eine Kriminalisierung wird eine medizinische Versorgung erschwert und die Stigmatisierung der Konsumenten verstärkt. Zudem gibt es zurzeit nicht in allen Bundesländern Konsumräume, in denen bei Überdosierungen schnelle Hilfe vor Ort wäre und Schutz vor Infektionen geboten würde, den es auf öffentlichen Plätzen oder in der eigenen Wohnung nicht gibt. Die Drogentoten sind also auch eine Folge der Repression. Strafverfolgung ist keine Lösung. Wir brauchen eine grundsätzliche Neuorientierung der Drogenpolitik bis hin zur Legalisierung.
Mit welchen Mitteln ließe sich die Zahl der Drogentoten aus Ihrer Sicht noch verringern?
Konsumenten sollten zum Zweck der Schadensminimierung ihre Drogen testen lassen dürfen und Substanzanalysen bei Apothekern vornehmen lassen können. Auch das Notfallmedikament Naloxon ist für Abhängige im entscheidenden Moment nicht verfügbar, obwohl es bei Atemlähmungen durch Überdosierungen Leben retten kann. Zudem sollten auch im Strafvollzug saubere Spritzen verfügbar sein.