die Serie »Stranger Things«

Variationen von Ringelshirts und Plusterfrisuren

Mit »Stranger Things« reist eine Miniserie ins Kino der Vergangenheit.

Unter dem Namen »Netflix Originals« vermarktet der US-amerikanische Video-on-­Demand-Anbieter Net­flix seine Eigenproduktionen, zu denen so genreprägende Serien wie »Orange Is the New Black« und »Hou­se of Cards« gehören. Die derzeit erfolgreichste Produktion aus eigenem Hause heißt »Stranger Things«, wurde vor etwa einem Monat auf der Plattform veröffentlicht und ist, anders als Markenname und Titel vermuten lassen, weder originell noch besonders seltsam.
Dass sich die ohne spektakuläre Werbekampagne angelaufene Mystery-Serie binnen kürzester Zeit zur meistgeklickten Online-Produktion des Sommers entwickelte, ist das Ergebnis eines in seiner Konsequenz herausragenden Rückgriffs auf das pophistorisch Bekannte und Vertraute. »Stranger Things« liefert einem klar umrissenen Zielpublikum eine wohlig-schaurige Mischung aus Nos­talgie und Schockmomenten, die selten überrascht, aber dennoch – auch durch die Wahl des Formats Mini­serie – funktioniert.
Zu Beginn der 1983 spielenden Erzählung verschwindet ein Junge aus der fiktiven Kleinstadt Hawkins im US-Bundesstaat Indiana. Schnell wird klar, dass eine Verbindung zum eingezäunten regierungsnahen Laboratorium im Wald besteht. Ein Mädchen mit übersinnlichen Kräften taucht auf, schleimige Kreaturen und sehr aggressive Monster werden gesichtet. Mike, Lucas und Dustin, die besten Freunde des Verschollenen, begeben sich heimlich auf die Suche nach dem Schüler. Acht Folgen lang kämpfen sie gegen Hausarrest, Kleinstadtfieslinge – und blutrünstige Dämonen.
Zum stereotypen Personal der Serie gehören außerdem ein einzelgängerischer Polizist mit Alkoholproblem, ein skrupelloser Wissenschaftler und die verzweifelte Mutter des gesuchten Kindes. Letztere, eine in ihrer Eindimensionalität undankbare Figur, wird von Winona Ryder mit viel physischem Einsatz gespielt. Ryder ist das einzige bekannte Gesicht der Serie, die vor allem von den Fähigkeiten ihrer jugendlichen Darsteller profitiert.
Die Freunde des verschwundenen Will werden als altkluge, aber loyale Clique inszeniert, die den mürrischen Ermittler Jim Hopper überzeugend nervt. Im Kontrast dazu spielt Millie Bobby Brown die androgyne Eleven als zerbrechliches, rätselhaftes Wesen voll stiller Entschlossenheit. Den Soundtrack zu den mysteriösen Ereignissen liefern pluckernde Synthesizer-Arpeggios und warme elektronische Flächen, die deutlich von Angelo Badalamentis Score für David Lynchs Ur-Mystery-Serie »Twin Peaks« inspiriert sind. In Kombination mit bewährten Elementen der Gruselfilmbildsprache – Taschenlampen im nebligen Wald, flackernde Glühbirnen, neonhelle Laborräume – entsteht so die Art von beklemmender Atmosphäre, die das Genre seit jeher prägt.
»Stranger Things« richtet sich in dieser Formelhaftigkeit primär an in den achtziger und frühen neunziger Jahren aufgewachsene Zuschauer, die die vielen Verweise auf Filme und Fernsehserien erkennen. Die Erfinder der Serie, die Zwillingsbrüder Matt und Ross Duffer, sind selbst 1984 geboren. Das Wirkungsprinzip des Horrorfilms als Spiel mit der Angst vor dem Einbruch des Unbekannten in den Alltag funktioniert bei »Stranger Things« nicht zuletzt deshalb so gut, weil die dargestellte Realität für das Publikum doppelt vertraut wirkt: als reale, wenn auch diffuse Kindheitserinnerung an die Achtziger und als Erinnerung an die familienfreundlichen Abenteuer- und Science-Fiction-Filme jener Zeit.
Zu den offensichtlichsten Vorlagen der Serie gehören Stephen Kings Romane und Drehbücher, vor allem die im fiktiven Castle Rock angesiedelten, die einst ganze Schulklassen mit dem präzise gearbeiteten Einschleichen des Grauens in das Familiäre faszinierten. »Akte X«, die 1993 angelaufene und im Rahmen des nie endenden Pop-Recyclings seit einiger Zeit wieder präsente Fernsehserie, funktionierte ähnlich, erweiterte das Spektrum des Unheimlichen aber immer mehr um Science-Fiction-Elemente und Verschwörungstheoretisches.
»Stranger Things« bedient sich bei beidem und fügt als Identifikationsangebot die Figur des präadoleszenten Nerds hinzu, genauer der männ­lichen Nerdclique. Mike, Dustin und Lucas sind die originalgetreu ausgestattete Wiederauflage der furchtlosen investigativen Kindergruppen aus »E.T.«, »The Goonies« und – wieder Stephen King – »Stand by Me«. Egal wie zusammengewürfelt jeder dieser Freundeskreise wirkt, sind die Kinder in ihrer Solidarität untereinander wichtige Bedeutungsträger in dieser Erscheinungsform des Jugendfilms und folglich auch von »Stranger Things«. Die Welt der Erwachsenen ist langweilig, korrupt, reglementiert, im schlimmsten Fall böse. Der märchenhafte Dualismus dieses Schemas funktioniert immer noch hervorragend – wer identifiziert sich nicht lieber mit den schlagfertigen Geeks auf Fahrrädern oder der kämpferisch-mysteriösen Eleven als mit den im bürgerlichen Alltag gefangenen Eltern, die dem Alter der meisten Zuschauer vermutlich viel näher sind?
Weil »Stranger Things« permanent kollektive Erinnerungen einer bestimmten Gesellschaftsgruppe zitiert, nachstellt oder überhaupt erst produziert, befriedigt die Serie das eskapistische Bedürfnis nach einer irgendwie übersichtlichen, unschuldigen Zeit. Das kann mitunter nerven. Irgendwann wirken die bis ins kleinste Detail durchgestylten Serienbilder mit ihren Variationen von gesteppten Jacken, Ringelshirts und Plusterfrisuren dann doch unglaubwürdig und man ist froh, wenn unerfreulichere Realitäten der achtziger Jahre zumindest am Rande erwähnt werden. Dennoch hat das überraschend altmodische Erzählen auch seine dramaturgischen Vorteile. Durch die Beschränkung auf acht Folgen (weniger wären auch denkbar gewesen), eine abgeschlossene Handlung und die weitestgehend lineare Narration gerät »Stranger Things« nicht in Gefahr, sich in allzu vielen Nebenhandlungen oder abs­trusen Mysterien zu verzetteln.
Das Genre des seriellen Dramas hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt – »Stranger Things« macht von den neuen Möglichkeiten nur sparsam Gebrauch. Andere Serien erzählen über Jahre andauernde, groß angelegte Geschichten und prägen mit facettenreichen, sich entwickelnden Charakteren das zeitgenössische serielle Erzählen im Fernsehen. Im Vergleich dazu bleibt »Stranger Things« simpel – hält damit aber auch den filmischen Vorlagen der achtziger Jahre die Treue, die nicht über staffelweise Erzählzeit verfügten.
Die Kombination aus Nostalgie, Schauder und dem unverhohlenen Zitierwahn ihrer Macher könnte »Stranger Things« selbst Kultstatus verleihen. In Webforen wie IMDB oder Reddit tauschen sich Tausende Fans der Serie über Referenzen aus und präsentieren selbstgestaltete Poster, Comics, Buch- und Videokassettenhüllen, die aussehen, als stammten sie tatsächlich aus einer Flohmarktkiste und wären nicht von einer vier Wochen alten Serie inspiriert. Weil »Stranger Things« seine eigene Geschichtlichkeit nur inszeniert, kann sich hier niemand um persönliche Erinnerungen betrogen fühlen. Wie empfindlich große Teile derselben Zielgruppe auf Remakes reagieren, zeigte zuletzt der geballte Hass, der der Neuverfilmung von »Ghostbusters« entgegenschlug, in der ein weibliches Team auf Geisterjagd geht. »Stranger Things« rüttelt nicht an den Konventionen und macht es sich mit seiner ironiefreien Anknüpfung an das 30 Jahre alte US-amerikanische Unterhaltungskino leichter. Großes, innovatives Fernsehen ist das nicht, in seiner Detailverliebtheit und ernst­gemeinten Bewunderung von prägenden Filmen, Büchern und Serien aber recht charmant und unterhaltsam.
Stranger Things (USA 2016).
Regie: The Duffer Brothers