der Dokumentarfilm »Krieg und Spiele«

Die fliegenden Augen des Todes

Der Dokumentarfilm »Krieg und Spiele« widmet sich ethischen Problemen der ferngesteuerten Kriegsführung, Künstlichen Intelligenz und Robotik. Fragen stellt die Regisseurin Karin Jurschick viele, Antworten werden wenige präsentiert.

Weich raunt eine Frauenstimme Suggestionen aus dem Off: »Fordert die totale Überwachung, fordert der Einsatz von Hightech archaische Gegenmittel heraus? Und wo endet dieses Kriegsspiel?« Zu sehen sind schwarze Punkte, die sich bewegen: 13 schwerbewaffnete Angreifer der Hamas, die versuchen, durch einen Tunnel unbemerkt nach Israel zu gelangen. Dass sie beobachtet werden, wissen sie nicht. Die Drohne der Israel Defense Forces kreist unsichtbar über ihnen und übermittelt selbst in der Dunkelheit zuverlässige Eindrücke des Geschehens. Aber sind Tunnel ein »archaisches Gegenmittel«? Haben Soldaten jemals aufgehört, durch Gräben zu robben?
Dass Bild und Kommentar bisweilen weit auseinander liegen, ist nur eine der Ungereimtheiten in Karin Jurschicks »Krieg und Spiele«. Dabei stellt die Regisseurin wichtige Fragen über die Rolle von Technologie in den Händen des Militärs.
Im Zentrum ihrer Dokumentation steht die ferngesteuerte Kriegführung: Es geht um Drohnen und die ethischen Fragen ihres Einsatzes. Angrenzende Themen wie Künstliche Intelligenz, Robotik und das Vertrauen moderner Gesellschaften in Maschinen werden gleich mitverhandelt. Jurschick, preisgekrönte Dokumentarfilmerin, Journalistin und Dozentin, hat sich viel vorgenommen. Und ihrem Film einen philosophisch orakelnden Beiklang verliehen: »Anstelle des Spielzeugs ist eine tödliche Waffe getreten. Ist sie unser Gott geworden?« heißt es zu Beginn des Films.
Dass mit der Lust am Spiel alles beginnt, ist selbstverständlich Humbug. Diesen Kniff verwendet Jurschick um der Dramaturgie willen. Sie ­beginnt mit Dietrich Oepke, einem ehemaligen DDR-Modellflugmeister. Er führt vor, wie viel Spaß es bereitet, einen ferngelenkten Quadrokopter, also einen vierrotorigen Hubschrauber, zu steuern und mit ihm zu fotografieren. Direkt danach besucht die Regisseurin Israel und trifft unter anderem auf David Harari. Als der ­Ingenieur gemeinsam mit seinen Kollegen Yair Dubester und Michael Shefer 1977 das erste unbemannte Flug­objekt für die israelische Armee entwickelte, war noch längst nicht daran zu denken, dass Drohnen in Miniatur einmal im Spielzeugwarenladen erhältlich sein würden.
Egal, dramaturgische Entscheidungen, zur Konstruktion von Spannung unerlässlich, spielen in jedem Dokumentarfilm eine Rolle. Viel wichtiger ist, dass die Regisseurin sich ihrem Gegenstand ohne Vor­behalte nähert. »Ich möchte in ein Land, das sich mental und oft genug auch konkret in einer Kriegssituation befindet«, kommentiert die Frauenstimme den Israel-Besuch. »Ich weiß nicht, was das bedeutet, ich weiß nur, dass es leicht ist, aus sicherer Distanz zu urteilen.«
Ungewöhnliche Einsichten in die Arbeitsweisen und Gedanken der ­Ingenieure werden geboten und man erfährt einiges über die militärischen Strategien, die in die Entwicklung von Drohnen einfließen. Harari und seine Kollegen, die sich »die drei Musketiere« nennen, loben ihr Werk. Schließlich habe es Menschenleben gerettet, auf beiden Seiten. Viele Missionen seien aufgrund der Luftaufklärung abgebrochen worden, da der Einsatz von Drohnen gezeigt habe, dass Zivilisten bei einem Militärschlag gefährdet worden wären.
Interessant ist auch der Besuch einer Schule, an der angehende Drohnenoperateure der israelischen Luftwaffe ausgebildet werden. Daniel Statman, Moralphilosoph an der Universität Haifa, erklärt den Rekruten den »Code of Conduct«, einen ethischen Verhaltenskodex im Umgang mit dem ferngesteuerten Töten, und versucht, diesen in die Theorie des gerechten Krieges einzubetten. Fesselnd ist auch die fotografische Ebene: Wie im Drohnenflug werden die verschiedenen Drehorte angesteuert, die illustrativen Bilder aus Laboren sind ungewöhnlich, die Kameraführung ist gekonnt.
Doch der Sog der Bilder kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film in der zweiten Hälfte seinen Fokus verliert. Das Thema Drohnen ist abgehakt, nun geht es um Technologie allgemein, es werden Ansätze aus der Forschung über Künstliche Intelligenz verhandelt sowie die automatische Steuerung von Waffensystemen. Oft kommen mehrheitlich die Apologeten technologischer Projekte zu Wort, »Krieg und Spiele« droht immer wieder zu einer Show technikaffiner Talking Heads zu werden.
Einer von ihnen ist Dave Anthony, Spielentwickler des Ego-Shooter-­Sequels »Call of Duty«, einem Videogame-Blockbuster, der Millionen Spieler weltweit begeistert. Anthony staunt, wie schnell die Realität die Fiktion einholt. Ende 2014 wurde er »Senior Fellow« bei Atlantic Coucil, einem renommierten Think Tank in Washington, und berät das Pentagon. In seinen Vorträgen spricht er über zukünftige Waffentechnologien.
Auch Herfried Münkler, der wahrscheinlich berühmteste Professor für Politikwissenschaft in Deutschland, kommt zu Wort. Seiner Meinung nach werde heute auf militärische Fernsteuerung statt auf Bodentruppen gesetzt, weil die sogenannten postheroischen Gesellschaften Opfer von Leib und Leben nicht mehr ohne weiteres akzeptierten.
Colonel Lawrence Wilkerson, der zuletzt Stabschef unter US-Außenminister Colin Powells war, kritisiert das gezielte Töten durch unbemannte Flugobjekte. Im Drohnenkrieg will er den Verlust soldatischer Tugenden erkennen – was auch immer darunter verstanden werden soll.
Nach Abstechern in die Bereiche Automation und Finanzmarkt wird der ferngesteuerte Krieg erst am Ende des Films wieder thematisiert. Jurschick ist zu Besuch bei Yvonne Hofstetter. Die Autorin des Bestsellers »Sie wissen alles«, eines Buches über Datennutzung und Überwachung, ist zugleich Geschäftsführerin eines Unternehmens für maschinelle Lernverfahren. Sie empfängt die Regisseurin in einem süddeutschen Reihenhaus. Während im Garten ein Rasenmähroboter seine Runden dreht, huscht drinnen ein Saugroboter umher und fährt stumpf gegen die Wand.
Hofstetter führt vor, wie ihr Computer Flugzeuge aus einer Wolke herausfiltert. Sie behauptet, ein selbstlernender Algorithmus »erkenne«, dass es sich um fliegende Objekte am Himmel handele. Jurschick ist fasziniert und lässt außer Acht, dass zwischen dem Auffinden und der Deutung einer Situation Welten liegen. Können Maschinen Situationen beurteilen, können sie abwägen und vielleicht sogar bessere Entscheidungen treffen als der Mensch?
Die Frage, wie Maschinen dazu gebracht werden können, dass sie ­Bedeutung tatsächlich verstehen und angemessen interpretieren, ohne vorher mit entsprechenden Daten gefüttert zu werden, bereitet den Entwicklern Künstlicher Intelligenz seit Anbeginn Schwierigkeiten. Jurschick akzeptiert die Behauptungen ihrer Protagonistin Yvonne Hofstetter trotzdem.
Jurschicks sympathische Unbefangenheit wird immer wieder vom andeutungsreichen Off-Kommentar konterkariert: »Alles beobachten, ­alles voraussehen: eine Logik, die den Krieg selbst nicht verhindert, vielleicht treibt sie ihn sogar hervor?« Philosophische Fragestellungen, die unbeantwortet bleiben und somit immer wieder ins Leere laufen. Eine Beschäftigung mit den sehr konkreten Umständen, die Menschen in Gefechtssituationen psychisch über­fordern – gelobt sei hier der Spielfilm »A War« des Regisseurs Tobias Lindholm, der sein Publikum mit einem ethischen Dilemma im Irak-Krieg konfrontiert (Jungle World 15/2016) –, spart »Krieg und Spiele« aus.
Während Jurschick die technologischen Aspekte ihres Themas mit ­großem Interesse bearbeitet, verzichtet sie darauf, deren gesellschaftliche Vermittlung zu untersuchen. »Gesellschaft und Technik sind seit dem ­Beginn des neueren Zeitalters so ineinander verflochten, dass die Frage nach der Priorität von Wirtschaft oder Technik an die mahnt, ob das Huhn oder das Ei zuerst dagewesen ist«, schrieb bereits Theodor W. Adorno. Weil Wissenschaften, Technologien, Wirtschaft und Militär eng miteinander verzahnt sind, spielt die Frage nach Machtverhältnissen – und sei es nur im Sinne von Verfügungsmacht – ebenso eine Rolle wie die nach der Wahrnehmung, die diese Verzahnung produziert.
Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie die Kybernetik nach ihren Erfolgen in der Militärentwicklung des Zweiten Weltkriegs als neue Universalwissenschaft dargestellt wurde. Plötzlich wurde inflationär vom Bild des Thermostaten ­gesprochen, der dem Ideal eines sich selbst regulierenden Organismus zu entsprechen schien und zugleich als Vorbild kommunikativer Prozesse dienen konnte. Wo einige Jahre zuvor noch von Beurteilung und Rücksprache die Rede war, sprach man nun allerorten vom Feedback.
Information, Kommunikation und Programmierbarkeit sind Schlüsselbegriffe der Kybernetik, die gerade in den Bereichen administrativer Überwachung und Militärtechnologie von Bedeutung sind, welche vom automatisierten Töten träumen. Wird diese Logik nicht ausreichend thematisiert, verpufft die Kritik an Einzeltechnologien. Immerhin hat »Krieg und Spiele« die optische Kraft, sich weiter mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Krieg und Spiele (D 2016). Buch und Regie: Karin Jurschick. Filmstart: 18. August