Die türkische Regierung erhöht den Druck auf Türkischstämmige in Deutschland

Erdogans Pegida

Die türkische Regierung verstärkt ihren Einfluss in Deutschland und den Druck auf hier lebende Türken und Deutschtürken immer mehr. Vor allem der Dachverband der Moscheevereine und die Union Europäisch-Türkischer Demokraten spielen dabei eine unrühmliche Rolle.

Zu Beginn der vergangenen Woche sorgte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einem Interview für einigen Wirbel. »Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln«, hatte sie den Ruhr Nachrichten gesagt. Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten. Eine »deutliche Mehrheit der Türkischstämmigen« fühle sich »unserem Land zugehörig«, entgegnete beispielsweise die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD). »Wir sollten daher diesen Menschen nicht pauschal Loyalitätskonflikte unterstellen.« Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, warf Merkel vor, »ohne Not eine gesamte Gruppe unter General­verdacht« zu stellen.
Auch aus der Türkei gab es Kritik. Mustafa Yeneroğlu etwa, der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, fand, die Kanzlerin gieße »Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten«. Die in ihrem Appell »enthaltene Unterstellung« sei »unbegründet und kontraproduktiv«.
Tatsächlich ist Merkels Äußerung insoweit unsinnig, als ein demokratischer Staat von seinen Bürgern zwar die Einhaltung konkreter Rechtsnormen verlangen kann, aber keine Treue- oder Ergebenheitsschwüre. Hinzu kommt, dass die Erwartung der Kanzlerin das genaue Spiegelbild jener Forderung ist, die der autokratische türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinerseits an die in Deutschland lebenden Türken gerichtet hat. Dass diese seinem Appell in großer Zahl folgen, ist allerdings in der Tat ein erhebliches Problem – aber nicht wegen der mangelnden Loyalität gegenüber Deutschland, sondern weil sie sich so sein nationalistisch-islamistisches Gedankengut zu eigen machen und gegen all jene zu Felde ziehen, die diese Ideologie nicht teilen. Und dabei spielen einige der sogenannten Migrantenverbände – zu denen Merkel »engen Kontakt« halten will, um für die Anliegen der Türkischstämmigen »ein offenes Ohr« zu zeigen – eine höchst unrühmliche Rolle.
Zu nennen ist hier in erster Linie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib. Sie ist in Deutschland ein eingetragener Verein und bildet den Dachverband von fast 900 Moscheevereinen, untersteht jedoch zugleich dem türkischen Amt für Religionsangelegenheiten Diyanet, das wiederum direkt dem türkischen Ministerpräsidenten in Ankara unterstellt ist. Nahezu alle Imame der Ditib-Gemeinden – derzeit sind es rund 1 000 – werden aus der Türkei entsandt und vom Diyanet bezahlt. An den Entscheidungen der Vereine und Landesverbände sind sie beteiligt. Die Mitglieder des Ditib-Vorstandes werden von einem Beirat vorgeschlagen, dem der Präsident des Diyanet vorsteht und zu dem überdies fünf Religionsattachés türkischer Konsulate in Deutschland gehören. »Mehr Steuerung türkischer Auslandsgemeinden durch den türkischen Staat ist kaum denkbar«, befand Joachim Wagner in der Welt zu Recht.
Die Ditib-Vorbeter stehen für einen orthodox-sunnitischen Islam, zu dem ein Absolutheitsanspruch gehört, wie ihn auch die AKP vertritt. In den Predigten lobpreisen die Imame das »Märtyrertum« und stehen auch dem Antisemitismus alles andere als ablehnend gegenüber. Nach der Satzung der Religionsbehörde darf die Ditib zwar keine politischen Ziele verfolgen, sondern muss sich auf religiöse, kulturelle und soziale beschränken. Doch immer häufiger organisieren ihre Gemeinden nicht nur Wallfahrten nach Mekka und Koranschulungen, sondern betätigen sich auch als Unterstützer, Wahlkampfhelfer und Sprachrohr für Erdo­ğan und seine AKP. Den Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, wundert das nicht. Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei habe die Religionsbehörde Diyanet in einer Woche »knapp 500 Mitarbeiter suspendiert«, sagte er. Das zeige, »wie auch in religiösen Fragen alle und alles auf die ideologische Linie Erdoğans konzentriert wird«. Die Ditib als deutscher Ableger des Diyanet sei davon »unmittelbar betroffen«.
Die Funktionäre des Verbands bestreiten gleichwohl, ein verlängerter Arm des türkischen Präsidenten zu sein. Der Ditib-Generalsekretär Bekir Alboğa behauptet: »Wir sind ein deutscher Dachverband und stehen in keiner Weise unter dem Einfluss der türkischen Regierung.« Dass die Ditib-Imame aus der Türkei entsandt und von der Religionsbehörde bezahlt werden, bedeute nicht, dass sie »unter den Fittichen des Staatspräsidenten stehen«. Man kooperiere zwar auf der theologischen Ebene mit der Türkei, halte sich aber von der Parteipolitik fern. »Ditib ist und bleibt politisch neutral«, sagt auch der Sprecher des Verbands, Zekeriya Altuğ, im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dennoch werde man sich »langfristig nach Alternativen in der Finanzierung umschauen«, um von der Türkei unabhängiger zu werden. Außerdem sollen, so Altuğ weiter, die Vorbeter in den Ditib-Gemeinden künftig aus Deutschland kommen und Deutsch als Muttersprache beherrschen.
In einigen Bundesländern, die mit der Ditib Verträge über den Islamunterricht an Schulen geschlossen haben oder in entsprechenden Verhandlungen mit der Organisation stehen, hegt man allerdings Zweifel an diesen Beteuerungen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat deshalb die Gespräche mit der Ditib und anderen islamischen Verbänden ausgesetzt. In Niedersachsen hat die rot-grüne Regierung den mit der Ditib geplanten Islamvertrag, der Regelungen zum islamischen Religionsunterricht einschließen sollte, aufgeschoben. In Hessen behält sich das Kultusministerium nach eigenem Bekunden vor, »Konsequenzen« zu ziehen und den Kooperationsvertrag mit der Ditib aufzuheben.
Die türkische Regierung hat aber nicht nur über den Dachverband der Moscheenvereine ihren Einfluss auf die in Deutschland lebenden Türkischstämmigen ausgebaut, sondern bedient sich auch anderer Möglichkeiten, um hierzulande für ihren nationalistisch-islamistischen Kurs zu werben und ihre Gegner zu bekämpfen. So zum Beispiel über die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), eine Lobbyorganisation der AKP in Europa, die maßgeblich an der Organisation von Großveranstaltungen für Erdoğan beteiligt ist und nach Kräften versucht, die im Ausland lebenden Türken im Sinne von Erdoğans Partei zu beeinflussen. Ali Ertan Toprak, der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland, sieht sogar eine »türkische Pegida« am Werk, eine Art »türkisches Gegenstück« zur deutschen Vereinigung »mit ganz ähnlicher Gesinnung«. Es gebe »professionelle Netzwerke« türkischer Aktivisten, die »Feindbilder predigen und Einschüchterungskampagnen durchführen«, sowie »Schlägertrupps, die bei Bedarf die ganz grobe Arbeit übernehmen«.
Auch der türkische Geheimdienst MİT hat seine Aktivitäten in Deutschland deutlich verstärkt. Deutsche Sicherheitspolitiker gehen mittlerweile davon aus, dass er nicht nur über eine große Zahl an hauptamtlichen Agenten verfügt, sondern auch über ein bundesweites Netz von rund 6 000 Informanten. Damit käme ein Zuträger auf 500 Bürger türkischer Herkunft. Das Parlamentarische Kontrollgremium verlangt deshalb von der Bundesregierung Aufklärung über die Tätigkeit dieser Behörde in Deutschland. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sagte, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Polizei müssten dringend ihre Kooperation mit der Türkei überprüfen.
Überdeutlich ist jedenfalls, dass die Einflussnahme der türkischen Regierung auf die Türkischstämmigen in Deutschland über jene Verbände, Organisationen und Einrichtungen, auf die die Bundesregierung im Sinne einer Kooperation und Integration setzt, bedrohliche Ausmaße angenommen hat und beängstigende Ergebnisse zeitigt – vor allem für jene Türken, die es nicht mit Erdoğan und seiner AKP halten. Hier liegt das Problem – und nicht in einer angeblich mangelnden Loyalität, wie Merkel sie beklagt.