Der Senat von SPD und Linkspartei in Berlin von 2002 bis 2011

Manchmal sparen sie wieder

Sind von einem Regierungswechsel in Berlin soziale Verbesserungen zu erwarten? Ein Blick zurück auf den von SPD und Linkspartei gebildeten Senat der Jahre 2002 bis 2011 zeigt, dass dies unwahrscheinlich ist.

In Berlin deutet vieles auf eine zukünftige Landesregierung aus SPD, Grünen und der Linkspartei hin. Vor allem in der ehemaligen PDS freut man sich schon darauf. Der Berliner Parteivorsitzende Klaus Lederer erklärte in den vergangenen Monaten mehrfach die Bereitschaft seiner Partei zu dieser Dreierkoalition. Und bereits im Februar hatte der Fraktionsvorsitzende Udo Wolf nach einem Treffen mit Bodo ­Ramelow die Übertragung des Thüringer Modells auf die Hauptstadt offensiv ­beworben. »Wir sind sehr detailliert vorbereitet auf eine Regierungsbeteiligung«, ließ er den Parteigenossen und der Öffentlichkeit mitteilen. Nach nur einer Legislaturperiode könnten die Linkspartei und ihr Personal also wieder an die Macht gelangen, die sie nach der Wahlniederlage von 2011 aufgeben mussten.
Dazu muss »Die Linke« aber auch die knapp zehnjährige Regierungsbetei­ligung, an deren Ende sich 195 000 der ursprünglich knapp 366 000 Wähler und ein Drittel der Mitglieder von der Partei verabschiedet hatten, im Nach­hinein als Erfolg darstellen. Im aktuellen Wahlprogramm liest sich das so: »Rot-Rot hat von 2002 bis 2011 den Landeshaushalt saniert. Diese Sanierungspolitik war hart und ging zuweilen über das Vertretbare hinaus. Sie sorgte jedoch dafür, dass politische Handlungsspielräume zurückgewonnen wurden.« Trotz des großen Stimmverlusts hatte die Linkspartei nach dem erfolgreichen Kampf um Spielräume auch neue Freunde gefunden. Bewundernd würdigte etwa die Zeit die Regierungspraxis. Unter dem Titel »Rot-Rot war gut für ein Jahrzehnt«, beschrieb damals Markus Horeld das »richtige Bündnis zur richtigen Zeit« als das »einzig vorstellbare, das einen solchen Sparkurs durchziehen und durchhalten konnte«. In ­jeder anderen Konstellation wären lang­anhaltende Proteste unausweichlich gewesen.
Geradezu visionär hatte die frisch gekürte Koalition 2002 ihre Arbeit aufgenommen. Eine ihrer ersten Initiativen war das sogenannte Risikoabschirmgesetz zur Absicherung der Fondseigner der Berliner Bankgesellschaft. Diese befand sich wegen Immobilienspekulationen in einer misslichen Lage, ihre Rettung kostete das Land Berlin letztlich fast 15 Milliarden Euro – ein Modell für die späteren europäischen Bankenrettungen. Weniger kreativ dagegen waren Maßnahmen, die die beiden sozialdemokratischen Parteien zur Sanierung des mit einem Schuldenberg von zu Beginn etwa 40 Milliarden Euro und einem stetigen Defizit belasteten Haushalts ergriffen. Entlassungen, Leistungskürzungen und Privatisierungen prägten das Vorgehen in einer Weise, wie sie bis dahin beispiellos in der bundesrepublikanischen Landespolitik ­gewesen war.
In der zehnjährigen Regierungszeit wurden über 35 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, was einem Anteil von mehr als 23 Prozent entsprach. 100 000 Wohnungen aus den landeseigenen Baugesellschaften wurden verkauft und die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Das unbestreitbare Glanzstück aber gelang dem Bürgermeister und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) und seinem sozialdemokratischen Kollegen in der Finanzverwaltung, Thilo Sarrazin (SPD). 2003 fädelten die beiden den Austritt Berlins aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ein, mit der eine Kürzung der Gehälter der Landesangestellten um bis zu zwölf Prozent einherging. Durch Ausgründungen von einzelnen Bereichen öffentlicher Betriebe, wie etwa bei der BVG und der Charité, konnten dann schließlich die Gehälter teilweise nochmals um bis zu zehn Prozent abgesenkt werden. Hinzu kamen die Erhöhungen von Gebühren, beispielsweise bei den kommunalen Kindertagesstätten, Eintrittserhöhungen in Schwimmbädern, die Aufhebung der Lehrmittelfreiheit in den Schulen, Reduzierungen der Pflegegeldzuschüsse, Kürzungen bei Jugendprojekten und Universitäten und die Aufhebung der Ladenschlusszeiten. Die Liste ließe sich noch erweitern.
Die Errungenschaften der Funktionäre der damaligen PDS und späteren Linkspartei waren kümmerlich. Die Schulreform des rot-roten Senats machte durch die Zusammenfassung von Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen aus der Drei- eine Zweigliedrigkeit – eventuell hatte sich der eine oder andere Politiker der Linkspartei ­dabei an seinen Marxismus-Leninismus-Lehrgang aus SED-Zeiten erinnert und wollte der Klassengesellschaft ihre adäquate Schulform geben. Der in der zweiten Wahlperiode geschaffene ­öffentliche Beschäftigungssektor ersetzte einen Teil der weggefallenen Stellen im öffentlichen Dienst durch schlechtbezahlte Jobs mit einer Bezahlung von höchstens 1 300 Euro brutto im Monat. Lediglich das 2009 im Rahmen des sogenannten Berlin-Passes eingeführte Sozialticket im Nahverkehr verblieb als Pluspunkt. Es war vorher allerdings im Zuge der Kürzungen bei der BVG abgeschafft worden – von der Regierung aus SPD und Linkspartei. Immerhin konnte sich die Landesregierung aber mit dem allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) aus dem Jahr 2008, das etwa die Über­wachung des öffentlichen Raumes und die Ortung von Mobiltelefonen legalisierte, bei Konservativen ein wenig beliebt machen.
Als SPD und CDU 2011 die Amtsgeschäfte übernahmen, waren die Schulden des Landes trotz der Sanierungs­politik auf 63 Milliarden Euro angewachsen. In seiner gerade erschienenen Bilanz von »Rot-Rot in Berlin« hat Harald Wolf dementsprechend die Regierungszeit zu einem »Modell ›normaler‹ kapitalistischer Entwicklung« erklärt. Damit wird vor allem deutlich, dass es in der Landespolitik neben dem Standortwettbewerb, der mit dem Mittel der Gewerbesteuer geführt wird, um Verwaltung geht – und um Posten für die Parteien. In nur wenigen anderen Bereichen beziehen Protagonisten, die keine besonderen Fähigkeiten mitbringen, so gute Gehälter. Die Parteien können sich zudem einen gigantischen Funktionärsapparat verschaffen. Deshalb werden die inhaltlich lachhaften Wahlkämpfe auch mit solcher Ernsthaftigkeit geführt. Daran sollte man denken, wenn SPD, Linkspartei und Grüne ihre Einigkeit derzeit ausgerechnet in der Aufstockung des öffent­lichen Dienstes und der Mietenpolitik beschwören. »Wir haben zu oft auf mildernde Umstände plädiert, statt uns zum Vorsatz zu bekennen«, gab Wolf 2004 der Berliner Morgenpost zu Protokoll. Welcher Vorsatz das ist, weiß man immerhin.