Über Roald Dahls schwarzen ¬Humor

Eine Spur von Grausamkeit

Am 13. September wäre der britische Autor Roald Dahl, ein dubioser Virutose des schwarzen Humors, 100 Jahre alt geworden.

Fast jeder kennt die Geschichte mit der Lammkeule. Die Gattin eines Polizisten, passionierte Hausfrau und seit kurzem schwanger, erfährt bei der abendlichen Heimkehr ihres Mannes überraschend, dass er sie verlassen will. Daraufhin erschlägt sie ihn mit einer gefrorenen Lammkeule, die sie für das Abendessen gekauft hat. Sie taut die Keule auf, schiebt sie in den Ofen, erledigt einige Einkäufe und kehrt in ihr Haus zurück, um den scheinbar von Eindringlingen erschlagenen Gatten zu finden. Dessen Kollegen, die umgehend eintreffen, um in dem Mordfall zu ermitteln, serviert sie die Keule, die sich die Beamten schmecken lassen, während sie rätseln, welche Waffe der Täter benutzt haben mag.
Alfred Hitchcock hat »Lamb to the Slaughter« 1958 für seine Fernseh-Kurzfilmreihe »Alfred Hitchcock Presents« adaptiert, geschrieben hatte sie 1953 der am 13. September 1916 in Wales als Kind norwegischer Eltern geborene Roald Dahl für Harper’s Magazine. Im selben Jahr war unter dem Titel »Someone Like You« eine Sammlung von Dahls Kurzgeschichten erschienen. Dahl avancierte in den fünfziger Jahren zum populärsten Autor im Bereich des schwarzen Humors, 1960 erschien mit »Kiss, Kiss« eine weitere Auswahl seiner Short Stories. Durch die Übersetzungen seiner Erzählungen (»Küsschen, Küsschen«, » … und noch ein Küsschen«), die in hoher Auflage im Rowohlt-Verlag erschienen, wurde Dahl zum Prototyp dessen, was Deutsche als charakteristisch für britische Komik ansehen: abseitig, eigenbrötlerisch und mit einer Vorliebe für die morbiden Seiten des Lebens. Neben »Lamb to the Slaughter« sind eine Reihe anderer Geschichten Dahls für diese Haltung emblematisch geworden. Zum Beispiel »The Landlady« von 1959, worin ein junger Mann an eine Bed-and-Breakfast-Wirtin gerät, die ihre Logiergäste zu vergiften und auszustopfen pflegt. Oder die ein Jahr später erschienene Erzählung »Pig« über das Waisenkind Lexington, das von seiner Tante vegetarisch erzogen wird, nach deren Tod dank der Erbschaft aber die Freuden des Fleischverzehrs kennenlernt und beim Besuch eines Schlachthauses von kannibalischen Metzgern zu Speisefleisch verarbeitet wird.
Gleichzeitig mit Dahl machten andere angloamerikanische Autoren als Verfasser schwarzhumoriger Kurzgeschichten Karriere, etwa der Brite John Collier mit seinen von den viktorianischen gothic novels inspirierten Short Stories, die auf Deutsch bei Rowohlt als »Mitternachtsblaue Geschichten« erschienen, oder der amerikanische Werbetexter Henry Slesar, dessen morbide Kriminalerzählungen bei Diogenes herauskamen. Auch der Amerikaner Stanley Ellin gehört mit seinen frühen Erzählungen in diesen Dunstkreis. Ellin, der seine Laufbahn früher als Dahl begann (seine Sammlung »The Speciality of the House« erschien bereits 1948), zählt mit seinem lakonischen Stil und seiner präzisen Phantasie zu den originellsten Exponenten des literarischen Makabrismus der fünfziger Jahre. Ohne die Förderung Hitchcocks, für dessen Fernsehsendung die meisten dieser Autoren mit mehreren Geschichten Vorlagen lieferten, hätte die Literatur des schwarzen Humors nicht annährend die gleiche Popularität erreicht.
Über die Gründe für den Aufstieg des schwarzen Humors zum Massenprodukt in den fünfziger Jahren ist selten nachgedacht worden. Dabei liegt auf der Hand, dass der literarische Makabrismus während jenes Jahrzehnts einen Formen- und Funktionswandel durchgemacht hat, der lange nachwirkte. Selbst die Karriere Georg Kreislers, der das Genre des makabren Liedes während des Exils in den Vereinigten Staaten kennengelernt und für seine Auftritte in Bars und Nachtclubs weiterentwickelt hat, wäre ohne diesen Funktionswandel anders verlaufen. Kreislers schwarzhumorige Lieder, am bekanntesten das vom »Taubenvergiften im Park«, die in den späten Fünfzigern in Österreich und der Bundesrepublik als anstößig wahrgenommen und teilweise zensiert worden sind, begründeten in den Sechzigern gerade seine Prominenz – zum Missfallen von Kreisler selbst, der darin eine Entpo­litisierung seiner künstlerischen Arbeit sah.
Im Grunde bestätigte die Begeisterung, die die Deutschen seit den Fünfzigern dem schwarzen Humor entgegenbrachten, was Kreisler in seinen makabren Gesängen diagnostizierte: dass im Volk der eben erst zwangsdemokratisierten Judenmörder die gemütliche Veralltäglichung von Barbarei und Inhumanität die Bemühung um deren Abschaffung ersetzt hatte. Wovor Kreisler die Leute schaudern machen wollte, das hatten sie längst masochistisch zu genießen und als reizvolle Abweichung vom bürgerlichen Alltag zu goutieren begonnen. Die Öffnung von Kunst und Alltagskultur gegenüber Erscheinungsformen des schlechten Geschmacks, wie heutige Kulturgeschichten sie der Bundesrepublik als Zeichen einer Pluralisierung der Lebensstile gutschreiben, hat die Massenkompatibilität des schwarzen Humors begünstigt. Nun konnte, was zuvor in Nischen der Schundliteratur und abgelegenen Sphären der Moderne seinen Ort hatte, munter in die Massenkultur diffundieren. Dort traf es auf ein aufnahmebereites Publikum, bei dem der Makabrismus Bedürfnisse stillte, die von den überkommenen Kunst- und Unterhaltungsformaten nicht befriedigt werden konnten.
Welche Bedürfnisse das waren, tritt am Beispiel von Dahl, dem über seinen Tod 1990 hinaus ungeschlagenen Bestseller unter den literarischen Makabristen, deutlich vor Augen. Der britische Schauspieler und Schriftsteller Noël Coward, selbst bekannt durch seine Neigung zur Exzentrizität, hat über Dahl geurteilt, dessen Geschichten seien zwar brillant, unglücklicherweise aber gebe es in allen »eine Spur von Grausamkeit und makabrer Widerwärtigkeit«, die die Lektüre verderbe. Dieses Urteil deutet an, dass Dahls Geschichten neben der dramaturgisch gelungenen Gestaltung des schlechten Geschmacks ein gleichsam tieferer schlechter Geschmack innewohnt, der die Werke korrumpiert. Es ist ­gerade dieser Gestus, der für Dahls Popularität mitverantwortlich ist. Die Vorgänger des schwarzen Humors in der angloamerikanischen Litera­tur lebten und schrieben in der Hochzeit der bürgerlichen Gesellschaft und bezogen ihre skandalisierende Wirkung daraus, deren unausgesprochene Geheimnisse auszuplaudern und doch in der sprachlichen Form Stil und Contenance jener Gesellschaft zu wahren.
Edgar Allan Poe, Mark Twain, Ambrose Bierce und Gilbert Keith Chesterton, die als Vorläufer der schwarzhumorigen Kurzgeschichte gelten können, zeichnen sich, bei allen Unterschieden in ihrer generationellen, sozialen und künstlerischen Prägung, dadurch aus, dass ihre Erzählungen die Dissonanz zwischen Morbidität und Formbewusstsein, anstößigem Inhalt und vollendetem Stil, als Gestaltungsprinzip ernst nehmen. Bei ihnen waren Traditionen der Moderne und des populären Erzählens, Unterhaltungsanspruch und ästhetisches Autonomiepostulat, noch gleichermaßen und ungetrennt gegenwärtig. Erst später traten beide Momente auseinander. André Breton vereinnahmte in seiner 1940 erschienenen »Anthologie de l’humour noir« den ästhetischen Makabrismus für die Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die schwarzhumorige Short Story als dessen kulturindustrielles Komplement. So imprägnierte das Nichtkanonisierte allmählich den Kanon, als Element der Moderne und Konsumobjekt der Alltagskultur: als veralltäglichter schlechter Geschmack.
Nicht der schlechte Geschmack selbst, sondern dessen Diffusion ins Repertoire bürgerlicher Gewohnheiten dürfte es gewesen sei, woran Coward sich in Dahls Geschichten gestoßen hat. Bei Dahl wird die makabre Pointe zur Routine und begibt sich, statt im Bruch mit Konventionen das Gespinst gesellschaftlicher Lügen zu durchbrechen, ins hämische Einverständnis mit dem Ressentiment. Statt den Bürgern, die in der alleinlebenden Jungfer weibliche Individualität als Unproduktivität verachten, diese Verachtung im Angstbild der Männerleichensammlerin zurückzuspiegeln, wird die ihre Gäste ausstopfende Landlady bei Dahl selbst zum Witz, den man mit Spannung erwartet, weil man für ihn bezahlt hat. In den Polizeibeamten, die im Plausch mit der Mörderin die Tatwaffe verspeisen, fasst sich die gängige Überzeugung zusammen, dass häusliche Zufriedenheit auf den Leichen gründet, die man im Keller hat. Dass das Szenario von »Lamb to the Slaughter« – mit einer profanierten Maria, die den Verrat des Kindsvaters rächt, indem sie ihn mit einer zweckentfremdeten Christus-Allegorie ermordet, die sie den Ermittlern zum Abendmahl serviert – sich wie eine Zote auf die Bibel liest, kommt dem antibürgerlichen Affekt eher entgegen, als ihn abzumildern.
So ist die Pointe, die einst den bürgerlichen Schein zerstörte, zum Wohlfühlangebot für an sich selbst irrewerdende Bürger verkümmert, die in ihr das Ressentiment gegen das eigene Milieu affirmieren. Deshalb hat der Physiker Douglas R. Hofstadter, der sich erinnert, durch Lektüre von Dahls »Pig« zum Vegetarismus bekehrt worden zu sein, die Erzählung richtig verstanden. Dass die westlich-kapitalistische Welt auf der Massenproduktion von Leichen beruht und sich in ihrem Umgang mit den Tieren ihre Haltung zu den Menschen spiegelt, solche in ihrem gedanklichen Zusammenhang triftigen Einsichten der Kritischen Theorie mutieren im kulturindustriell präformierten schwarzen Humor wie in der deutschen Ethik der Gegenwart zur Propaganda gegen die Zivilisation, die den Unterschied von Tier- und Menschenschlachthäusern eingeebnet habe. Wer solche Propaganda verinnerlicht hat, kann sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn der zum Fleischfresser degenerierte Lexington wie ein Mastschwein zur Schlachtbank geführt wird.
Da ist es nur konsequent, dass der New Yorker Anwalt Mr. Zuckermann, dessen Zuspruch Lexington in seiner Hinwendung zum Überfluss bestärkt, als kosmopolitischer Finanzjude ­gezeichnet ist, der Lexington von der durch die Tante verkörperten Familientradition abbringt. Zwar lässt sich das antijüdische Ressentiment bei Dahl ein Hintertürchen offen: Ist das Verbot von Schweinefleisch nicht wesentlicher Bestandteil jüdischer Speisegesetze, und verrät Mr. Zuckermann, wenn er Lexington zum Schlemmen ermuntert, nicht das Beste am Judentum? Doch dass sie noch den letzten Rest volksgebundener Tradition an die Zirkulationssphäre preisgäben und sich gerade durch solchen Selbstverrat als unheilbare Juden erwiesen, gehört selbst zu den wirkmächtigsten Gemeinplätzen des modernen Antisemitismus, der die Juden nicht wegen ihrer Religion oder Kultur diffamiert, sondern sie als jeder echten Kultur feindliche Gegenrasse für vogelfrei erklärt.
Das Ressentiment gegen Zirkulation und Konsum ist auch in Dahls Kinderbüchern allgegenwärtig, die trotz ihrer sadistischen Elemente, die eigentlich der deutschen Volkszensur hätten zum Opfer fallen müssen, hierzulande bis heute beliebt sind. In »Charlie and the Chocolate Factory« (»Charlie und die Schokoladenfabrik«, 1964) muss sich der Titelheld beim Wettkampf um ein »goldenes Ticket« behaupten, mit dem der Besitzer Willy Wonka einem Kind den Besuch seiner Schokoladenfabrik ermöglichen will. Übrigbleiben soll bei dem Wettbewerb das sympathischste aller Kinder. Das ist der bodenständige Charlie, während seine Konkurrenten, der gierige Augustus Gloop, die verwöhnte Veruca Salt, die karrieristische Violette Beauregarde und der fernsehsüchtige Mike Teavee – eine Karikatur amerikanisierter Kindheit –, bei der Jagd nach dem Ticket grausam ums Leben kommen. »Fantastic Mr Fox« (»Der fantastische Mr. Fox«, 1970) erzählt von einem Fuchs, der regelmäßig bei Großbauern Nahrung stibitzt und von ihnen gejagt wird, bis er sie durch Bildung einer Allianz mit anderen Waldtierfamilien besiegen kann.
Die Grausamkeit, die Dahls Kinderbücher weniger von den Grimmschen Märchen als von der viktorianischen Kinderliteratur übernehmen, unterscheidet sich von dieser dadurch, dass sie im Dienst des gesellschaftlichen Konformismus steht. Die makabren Kindergeschichten, die Edward Lear, Lewis Carroll, Robert Eustace und andere im 19. Jahrhundert schrieben, setzten schwarzen Humor als Form literarischer Imagination ein, als böse Korrektur an der Biederkeit der viktorianischen Kindheitsidolatrie, die deren Brutalität durch Übertreibung ins Bewusstsein rief. Bei Dahl werden Grausamkeit und Sadismus nicht als Formen literarischer Erkenntnis, sondern als päd­agogische Verstärker eingesetzt, um den Kindern einzubläuen, was die Erwachsenen schon wissen: dass unverdientes Glück und frühreifes Selbstbewusstsein bestraft werden, dass Eigentum und Warenmarkt verabscheuungswürdig sind und jeder Streuner besser ist als der Kapitalist, bei dem er schnorrt.
Nun sagt das Vorhandensein ideologischer Momente in literarischen Texten an sich wenig über deren Qualität aus, und die antijüdische Ikonographie in manchen von Dahls Erzählungen mit dem automatisierten Vorwurf zu beantworten, der Autor sei Antisemit, wäre das Gegenteil von Erkenntnis. Immerhin aber hat Dahl seine Abneigung gegen Juden biographisch noch weniger sublimiert als in seiner literarischen Arbeit. Für ihn scheint der Zweite Weltkrieg, als er für die Royal Air Force in Nairobi, später als Pilot in Bagdad, dann in Ägypten und im Libanon stationiert war, ein arabisches Erweckungserlebnis gewesen zu sein. In seiner Autobiographie »Going Solo« (»Im Alleingang«, 1986) beschreibt er seine Begegnung mit einem Juden auf einer Reise durch Palästina, als sei ihm die historische Verbundenheit der Juden mit diesem Landstrich unbekannt, und als wäre deren territorialer Anspruch auf Palästina ein Willkürakt. Auf die Hoffnung, als Antwort auf die Shoah in Palästina einen israelischen Staat zu gründen, antwortet Dahl mit den Worten: »Aber wie in aller Welt wollt Ihr einen eigenen Staat bekommen? Alle Staaten sind bereits vergeben. Norwegen gehört den Norwegen und Nicaragua den Nicaraguanern. Überall ist es genauso.« Nur ein Land bleibe für die Besiedlung durch Juden übrig: »Ihr könnt Deutschland haben«, entgegnete ich heiter. ›Wenn wir Hitler besiegt haben, wird England Euch vielleicht Deutschland geben.‹« Dass der Jude von diesem Angebot nichts hält, kann Dahl nicht verstehen.
Was in »Going Solo« die Gleichgültigkeit des Besatzers ist, für den die Juden nur als Verfügungsmasse bei der territorialen Neuordnung in den Blick kommen, schlägt seit den Sechzigern in offenen Hass auf Israel um. Am drastischsten zeigt sich das in Dahls Äußerungen 1982, als er anlässlich des Libanonkrieges erklärte: »Es gibt einen Zug im jüdischen Charakter, der Abneigung provoziert, möglicherweise ist es der Mangel an Großzügigkeit bei den Juden. (…) Es gibt immer einen Grund, warum ein Anti-Irgendwas irgendwo entsteht; sogar ein Stinker wie Hitler hackte nicht ohne Grund auf ihnen herum.« Angesichts ihres Vorgehens im Libanon verglich Dahl die IDF gar mit »Hitler und Himmler«, nicht ohne den Juden notorische Passivität zu attestieren: »Wenn Sie und ich uns in einer Schlange auf die Gaskammern zubewegen würden, dann würde ich schleunigst verschwinden und vielleicht noch ein paar Wärter mitnehmen; sie aber waren immer unterwürfig.«
Der schwarze Humor, den Dahl in den Sechzigern massentauglich machte, stand selbst nicht nur in einer britischen, sondern auch in einer jüdischen Tradition. Judenfeindliche Invektiven finden sich ebenso wie morbide Komik nicht nur in Texten nichtjüdischer Autoren wie Mark Twain und Ambrose Bierce, sondern auch in authentischen Zeugnissen schwarzen Humors von Juden wie Nathanael West und Joseph Heller. Die Neigung zum Galgenhumor und die auf Erniedrigung antwortende makabre Relativierung des eigenen Schicksals begegnen auch bei Kreisler als ästhetische Reflexion von Diffamierung und Leid. Die Transformation des schwarzen Humors zum Dekor von Inhumanität und Stumpfheit aber konnte nur einem gelingen, der entspannt genug war, sich und anderen zuzutrauen, beim Weg in die Vernichtung mal eben keck aus der Reihe zu tanzen. »A little nonsense now and then/is cherished by the wisest man«, heißt es in »Charlie and the Choco­late Factory«. Seit aber jede Weisheit an ihr Ende gekommen ist, hat Albernheit notwendig einen Beigeschmack von Sadismus. Ihn hat Noël Coward in Roald Dahls Werk erspürt.