: Italien braucht angeblich mehr Kinder, die Regierung wirbt mit einer umstrittenen Kampagne dafür

Storchennest und Macho-Lesben

Das italienische Gesundheitsministerium versucht mit einer Kampagne zum von ihm ausgerufenen »Fertility Day« die Geburtenrate zu steigern. Nach heftiger Kritik an der Kampagne wurden einige Veranstaltungen abgesagt.

Auf den ersten Blick könnte man die Kampagne, mit der das italienische Gesundheitsministerium einen landesweiten »Fruchtbarkeitstag« bewirbt, für Satire halten. Auf einem der insgesamt zwölf verschiedenen Werbemotive prangt neben der Silhouette eines Storchennests die Aufforderung »Beeil dich! Warte nicht auf den Storch!«, auf einem anderen fordern zwei Frauenhände über einem nackten Bauch dazu auf, den Körper zur »Wiege« werden zu lassen. Noch deutlicher wird ein Foto, auf dem den Betrachterinnen eine Sanduhr entgegengehalten wird mit der Warnung: »Schönheit kennt kein Alter. Die Fruchtbarkeit schon.«
Doch der »#fertilityday« wurde tatsächlich im Auftrag der Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin lanciert, »um die Öffentlichkeit auf das Thema der sexuellen und reproduktiven Gesundheit aufmerksam zu machen«. Bei den in Rom, Padua, Bologna und Catania für den 22. September geplanten Veranstaltungen soll es um Aufklärung über medizinische und therapeutische Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von Sterilität gehen, von der Männer und Frauen gleichermaßen und in wachsender Zahl betroffen sind. Zu den vom Ministerium propagierten Präventionsmaßnahmen gehört die Warnung vor »falschen Lebensstilen« und »falschen Verhaltensweisen in der Jugend«, wie Alkohol- und Drogenkonsum sowie vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Gewarnt wird aber auch vor Übergewicht oder übertriebener Magerkeit und der Illusion, durch die Techniken der künstlichen Befruchtung ließe sich der Kinderwunsch beliebig lange aufschieben und uneingeschränkt verwirklichen.
Die angesprochene Öffentlichkeit reagierte prompt. Einhellig wurde die reaktionäre Bildsprache kritisiert, sie würde an den faschistischen Mutterkult erinnern und Frauen auf die Funktion als »Gebärmaschine« reduzieren. Anderseits würden Frauen, die unter ihrer Kinderlosigkeit litten, beleidigt, weil ihnen indirekt eine Selbstverschuldung unterstellt werde. Die dümmlichen Bilder von gekrümmten Zigaretten und leeren Bananenschalen, mit denen Männer vor dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit gewarnt werden, wurden dagegen ebenso wenig diskutiert wie die Möglichkeit, dass auch Männer unter ihrer Sterilität leiden können.
Der Bestsellerautor Roberto Saviano verschob mit seinem in allen Medien verbreitetten Facebook-Eintrag die Debatte unmittelbar von der sexualpolitischen Ebene auf die sozialpolitische: Nicht die Fruchtbarkeit sei das Problem, sondern die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die prekären Beschäftigungsverhältnisse. Auch die Oppositionsparteien betonten, dass in Italien die Geburtenrate infolge der desolaten Wirtschaftslage auf den historischen Tiefstand von 1,3 Kindern pro Frau gesunken sei. Außerdem habe die Regierung ihr Versprechen, Tausende neue Kitaplätze zu schaffen, noch nicht eingelöst und der monatliche Steuerbonus von 80 Euro für einkommensschwache Haushalte decke nicht die für Babys oder Schulkinder anfallenden Kosten. Vom Movimento 5 Stelle kam deshalb der Vorschlag, den Fertility Day in »Hypocrisy Day« umzubenennen.
Ministerpräsident Matteo Renzi versuchte unterdessen, sich von der unpopulären Werbekampagne zu distanzieren, indem er behauptete, nichts von ihr gewusst zu haben. Gesundheitsministerin Lorenzin wehrte sich jedoch gegen den Distanzierungsversuch: Für die sozialen Probleme, die zur Kinderlosigkeit führten, sei ihr Ministerium nicht verantwortlich, in ihr Ressort falle allein die Enttabuisierung und die gesundheitliche Prävention von Sterilität. Unterstützung für ihre Veranstaltung erfährt Lorenzin von den Gynäkologen-, Urologen- und Endokrinologenvereinigungen, die die Dringlichkeit von Aufklärungsprogrammen anmahnen. Doch wegen der allgemeinen Empörung werden die verschiedenen Berufsgruppen am 22. September wohl zum medizinischen Fachaustausch unter sich bleiben. Das Ministerium hat in Bologna die auf öffentlichen Plätzen geplanten Infostände abgesagt und die Fotokampagne zurückgezogen, um größere Protestaktionen zu vermeiden.
Derweil hat das Mailänder Satirekollektiv »Il Terzo Segreto di Satira« ein Video online gestellt, in dem im Namen des Gesundheitsministeriums Ersatzbeschäftigungen für kinderlose Frauen vorgeschlagen werden. In diesem Video, das Frauen als Haushaltshilfen, babysittende Tanten oder Macho-Lesben präsentiert, werden allerdings nur weitere Stereotypen aufgereiht statt entlarvt. Ähnlich hilflos erscheint eine an die Regierung gerichtete Petition liberal-demokratischer Frauengruppen, die Veranstaltung abzusagen.
Nur in einigen radikalfeministischen Blogbeiträgen wird neben der spezifisch heterosexistischen auch die nationalchauvinistische und homophobe Ausrichtung der Kampagne ausdrücklich zurückgewiesen. Auf einem Foto werden beispielsweise unter dem Slogan »Die Verfassung schützt die bewusste und verantwortliche Fortpflanzung« gehäkelte Babyschuhe gezeigt, die mit einem Band in den Nationalfarben zusammengehalten werden. Damit wird nicht nur die Ausgrenzung aller Kinder, die ohne italienische Staatsbürgerschaft zur Welt kommen, ins Bild gesetzt, sondern nebenbei auch jenen (italienischen) Männern und Frauen Unverantwortlichkeit unterstellt, die sich außerhalb der von der Verfassung geschützten Familienkonstellation fortpflanzen. Entsprechend ist die medizinisch assistierte Reproduktion für Alleinstehende oder homosexuelle Paare in Italien gesetzlich verboten. Gleichzeitig sucht die Kampagne mit Sprüchen, die die Fruchtbarkeit als »Gemeingut« propagieren und frühe Elternschaft mit »Kreativität« gleichsetzen, den Anschluss an die Bewegungslinke und die Kulturprekären.
Die Stoßrichtung der Fertilitätskampagne ist eindeutig. Anstatt veränderte Geschlechterverhältnisse und ein von der Fortpflanzung unabhängiges Begehren von Frauen und Männern zu thematisieren, soll die italienische Bevölkerung insgesamt neokonservativ normalisiert werden. Solange sich der Protest auf die schlechten sozioökonomischen Bedingungen der Familienplanung beschränkt, kann jedoch weder die neokonservative Integration abgewehrt noch die Anerkennung alternativer Lebensformen erkämpft werden.