Was die Belgier aus Fritten, Bier und Schokolade machen, ist Kunst

Belgium does it better

Pommes, Bier und Schokolade – wer sie noch nie in Belgien probiert hat, kann nicht ahnen, dass daraus Kunst werden kann.

Lokalpatriotismus statt Nationalgefühl, zwei Landesteile, die auf ihre Eigenständigkeit pochen und dazu drei Amtssprachen. Aber egal wie gespalten dieses Land auch sein mag, etwas verbindet alle: die beeindruckende Spitzenleistung bei Pommes, Bier und Schokolade.
Beginnen wir mit dem belgischen Kulturgut schlechthin: Fritten. Wer glaubt, sich mit Pommes auszukennen, aber noch nie in Belgien war, hat noch einiges zu lernen. An so gut wie jeder Straßenecke findet man Frietkots, kleine Buden, Hütten, oft nur ein paar Quadratmeter groß. Die Fritten schmecken hier unwiderstehlich, die Produktion auf belgische Art ist wahre Alchemie, ja große Kunst, und hat mit den Fritten, die man in Deutschland bekommt, so gut wie nichts zu tun. Hier wird zwei Mal bei unterschiedlichen Temperaturen frittiert, gern in Rindernierenfett statt in Pflanzenfett wie hierzulande. Im ersten Tauchbad wird der Kartoffel ein Großteil ihrer Feuchtigkeit entzogen, sie gart, ohne braun zu werden, so dass ihr Inneres später cremig auf der Zunge zergeht. Für die knusprige Haut und die goldgelbe Farbe sorgt dann die zweite Garung. Das macht einen riesigen geschmacklichen Unterschied! Die Fritten entwickeln knackig nussige Geschmacksnoten; außen knusprig, innen luftig und weich werden sie stilecht in der guten alten Papiertüte serviert. Fritten aus der Plastikschale? Hier eine Todsünde! Papier wärmt. Papier saugt Fett. Papier durchlüftet. Es soll sogar eine Vereinigung zur Verteidigung der Papiertüte geben. Am besten bestellt man dazu Saucen, von denen man noch nie im Leben gehört hat: Bicky, Andalouse, Americaine, Provençale, Tro­pical, Tartare oder Samurai. Zum Niederknien! Und das Beste ist: Die meisten Cafés und Bars gestatten das Mitbringen der Frittentüten, man kann zu seinen Fritten also gleich noch belgisches Bier genießen.
Wer im Geltungsbereich des deutschen Reinheitsgebots aufgewachsen ist, den beunruhigen Begriffe wie »Himbeerbier« ja erst mal, aber in Belgien hat man das Brauen tatsächlich zur Kunstform erhoben. Nicht nur die Fülle an Bieren, Sorten und unterschiedlichen Geschmacksrichtungen ist überwältigend. Man trinkt stilvoll aus Gläsern, die wie Weingläser aussehen. Biere wie etwa das Malheur Bière Brut – ein sehr exklusives, nach Champagnerart hergestelltes Gebräu – haben Sektkorken und werden wahnsinnig elegant eingeschenkt, mit der Hand hinter dem Rücken. In Kneipen werden oft bis zu 100 unterschiedliche Biersorten angeboten, vom spontangegärten Lambiekbier, wahlweise mit Sauerkirsche (Kriek) oder Kandiszucker (Faro), über das mit Himbeeren versetzte Becasse Framboise bis hin zu vielen weiteren möglichen und unmöglichen Varianten. In der Karte jeder x-beliebigen Kneipe liest man ausgefeilte Beschreibungen, wie man sie hier nur von Sommeliers kennt: leicht, würzig-fruchtig (Bourgogne de Flandres Brune), markante Gewürznoten, Zitrusfrische (Troubadour Magma), schwer, komplex mit Karamellnote (Chimay Blue Trappisten-Bier). Vergesst das deutsche Reinheitsgebot, nichts ist langweiliger! Die weltbekannten und begehrten (hochprozentigen!) Trappistenbiere werden übrigens fast ausschließlich in Belgien nach einer Jahrhunderte alten Tradition unter strenger Geheimhaltung der Rezepturen gebraut. Der Erlös aus diesen Bieren wird für wohltätige Zwecke gespendet. Wer möchte da um Himmels willen auf Bier verzichten?
Ähnlich kreativ ist man hier bei der Herstellung von Schokolade. Die Auslagen der großen Brüsseler Chocolatiers ähneln denen sehr teurer Modeboutiquen oder edler Juweliere. Das schüchtert erstmal durchaus ein. Aber überschreitet man die Schwelle, landet man direkt im siebten Himmel und wird augenblicklich zum Schokoholic. Belgische Schokolade ist Kunst! Veilchen-Ganache mit Himbeersplittern, Marzipanpralinés mit dezent gesalzener, karamellisierter iranischer Pistaziencreme, Rosmarinperlen in zart schmelzender dunkler Schokolade – um nur ein paar Kreationen zu nennen.
Klar, gesund ist das alles nicht. Aber wenn sich die Belgier und Belgierinnen auf Genuss, Großzügigkeit und Lebensfreude einigen können, ist es doch eine entschuldbare Sünde.