Eine private Sicherheitsfirma überwacht für die US-Polizeibehörden Proteste per Social-Media-Analyse

Sie wissen, wo du letzten Sommer protestiert hast

Dokumente, die der US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU vorliegen, zeigen, wie eine private Sicherheitsfirma für Polizeibehörden Proteste per Social-Media-Analyse überwacht.

Was Linke der alten Schule, die keine Handys auf Demonstrationen mitnehmen, oder Überwachungskritiker, die auf Facebook nur mit Pseudonym anmeldet sind, immer befürchtet haben, ist eingetreten: Überwachung durch Facebook auf Demonstrationen. Vergangene Woche veröffentlichte die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) Dokumente, die zeigen, wie eine private Firma für lokale Polizeibehörden Demonstrationen beobachtete und immer mehr Polizeibehörden Social-Media-Nutzer überwachen.
Kleine Punkte auf einer Karte mit Twitter-, Instagram- und Facebook-Symbolen an Straßenecken und in Häuserblocks, dazu ein Fadenkreuz. So wirbt die Firma Geofeedia für ihre Produkte. Sie ist spezialisiert auf Data Mining, die Auswertung von Daten, um sachliche oder räumliche Zusammenhänge zu erschließen. Ihr Angebot ermöglicht es, Beiträge auf Social-Media-Plattformen in Echtzeit auszuwerten. In den vergangenen Monaten und Jahren hat die Firma mit Sitz in Chicago Werbefirmen, Sportteams und Luftfahrtunternehmen mit Analysen versorgt. Ein weiteres Geschäftsfeld ist die Überwachung von Demonstranten. ­Location based social intelligence, Echtzeitüberwachung und Mapping während Events, sowie das Erstellen von Profilen für nachträgliche Ermittlungen könne man anbieten, so wirbt die Firma für ihre Dienste. Sie könne einflussreiche Personen herausfiltern und eine Analyse der Stimmung auf der Straße erstellen. Aus Dokumenten, die der ACLU vorliegen, geht hervor, dass die Firma unter anderem Zugriff auf die Instagram-API hatte, also auf alle öffentlichen Bild-Posts inklusive der Ortsdaten. Bei Facebook hatte die Firma Zugriff auf Topic Feed, eigentlich ein Tool für Werbefirmen, und konnte so Posts, die ein bestimmtes Thema, Hashtags, Events oder Orte erwähnen, automatisiert auswerten. Twitter ermöglichte Geofeedia über eine Tochterfirma Zugriff auf sein Archiv aller öffentlichen Tweets. Weil Geofeedia die Daten offiziell als Softwareentwickler erhielt, hatte die Firma automatischen Zugriff auf eine Datenmenge, die andere mühsam unter Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen auf den Plattformen zusammensuchen müssten.
Wie die Software angewandt wurde, verdeutlicht das Beispiel Baltimore. Nur zehn Tage vor dem Tod Freddie Grays hatte das Baltimore Police Department offenbar seine Lizenz bei Geo­feedia erneuert. Direkt nach dem Tod Grays im April 2015 begann die Polizei, die Social-Media-Aktivitäten in der überwiegend schwarzen Wohngegend rund um die Polizeiwache im Western District zu überwachen. Nachdem die Krawalle am Abend des 25. April in den Camden Yards angefangen hatten, begann die Criminal Intelligence Unit der Polizei mit Hilfe eines Mitarbeiters von Geofeedia, die Kollegen auf der Straße mit einer systematischen Auswertung von Social-Media-Posts zu unterstützen. Sie richteten Sicherheitsbereiche um bestimmte Orte ein, programmierten automatisierte Warnungen beim Beginn mutmaßlich aufständischer Aktivitäten und sorgten für eine Weiterleitung wichtiger Informa­tionen in Echtzeit an die Beamten auf der Straße mittels SMS. Als Demons­trierende anfingen, Polizeiwagen anzugreifen und Fotos von brennenden ­Autos zu posten, sorgte die Nachrichtenzentrale der Polizei dafür, dass die Verstärkung nicht einzeln in Streifenwagen, sondern in einer größeren Gruppe per Bus anrückte. In einigen Fällen sei es während der zehntätigen Riots gelungen, Fotos aus den sozialen Medien mittels Gesichtserkennungssoftware zu prüfen und Personen mit offenem Haftbefehl direkt aus der Menge festzunehmen, heißt es in einem Bericht. Bis zu 5 000 Polizisten waren am Ende auf der Straße, es gab Hunderte Festnahmen.
Mit der Software sei man »den Randalierern einen Schritt voraus«, wirbt Geofeedia in einer E-Mail an den Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles, und in einem Gespräch mit der Polizei von San José rät ein Berater der Firma, die »Ferguson-Situation«, also mögliche Solidaritätsdemonstrationen in der Stadt, mit Hilfe der Software zu überwachen. Vergangenes Jahr war bekannt geworden, dass die Polizei in Fresno Hashtags wie #BlackLivesMatter, #DontShoot, #ImUnarmed, #PoliceBrutality, und #ItsTimeforChange überwacht hatte.
Mittels einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz begann die ACLU diesen Sommer eine Umfrage bei 63 lokalen Polizeibehörden in Kalifornien und erwirkte die Herausgabe von Tausenden Seiten von Akten. Die Auswertung ergab, dass 40 Prozent der antwortenden Behörden Tools zur Social-Media-Überwachung nutzten, in vielen Fällen erst seit vergangenem Jahr. Mindestens 13 Polizeibehörden in Kalifornien benutzen demzufolge Geofeedia. Doch das ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. In einer E-Mail an den Bezirksstaatsanwalt von Sacramento behauptet Geofeedia, dass mittlerweile »über 500 Polizei- und Sicherheitsbehörden« die Dienste des Unternehmens nutzten.
In keinem Fall, so die Bürgerrechts­organisation, habe es »Beweise für eine öffentliche Ankündigung der Anschaffung oder Abstimmungen von Parlamentariern« gegeben. Des Weiteren habe keine der untersuchten Polizeibehörden Regelungen zur Nutzung der Tools vorweisen können. In Oakland gab die Polizei erst nach Recherchen des East Bay Express zu, Geofeedia in »leichtem Maße« zur Überwachung von Protesten genutzt zu haben, »inklusive Black-Lives-Matter-Proteste«. Auch in Oak­land war die Anschaffung des Programms ohne öffentliche Bekanntgabe erfolgt, weil erst ab einem Anschaffungswert von 25 000 US-Dollar eine Zustimmung des Stadtrats nötig ist. Die Probelizenz von Geofeedia kostete 9 243 US-Dollar.
Mittlerweile haben Twitter, Facebook und Instagram reagiert. Instagram gab bekannt, Geofeedia vom Zugang zu Daten abgeschnitten zu haben. Auch Twitter teilte mit, man habe den Zugang Geofeedias zu bisher bereitgestellten Daten beendet. Von Facebook hieß es, Geofeedia habe nur Zugang zu öffent­lichen Beiträgen von Facebook-Nutzern gehabt und sei an die Nutzungsbedingungen gebunden gewesen. Social-Media-Firmen haben immer wieder ihre Unterstützung für soziale Bewegungen und freie Meinungsäußerung bekundet. Mark Zuckerberg hat sich mit Black Lives Matter solidarisiert und Jack Dorsey, der Geschäftsführer von Twitter, fuhr eigens nach Ferguson. Es passe nicht zur Geschäftspraxis, zugleich Firmen wie Geofeedia den Zugang zu Daten zu ermöglichen, kritisieren Bürgerrechtler.
Auch Geofeedia reagierte auf den öffentlichen Druck. Ende vergangener Woche zierte ein ganzseitiger Brief die Startseite der Firma. Diese behauptet, sie habe klare Grundsätze und Richtlinien, um einen »unangemessenen Gebrauch unserer Software zu verhindern«, und wolle zu diesem Zweck auch mit der ACLU reden. Allzu glaubwürdig erscheinen die Beteuerungen nicht: Im Marketingmaterial der Firma für Polizeibehörden werden »Gewerkschaften« und »aktivistische Gruppen« als »offene Bedrohung« bezeichnet, die man mittels user tracking überwachen könne.