Die neuen Barbiere

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Frisurenmode. Von der Kulturkritik kaum beachtet, hat das Friseurgewerbe für die Dekonstruktion der Geschlechter in den vergangenen Jahrzehnten wohl mehr erreicht als die dafür zuständigen Gender Studies. Deutsche Frisurenmeisterschaften, bei denen Haarmodellen lila Strähnchen und verwegene Irokesentuffs von Friseuren verpasst wurden, die gefühlt alle Marcel oder Jacqueline hießen, waren gelebtes Gendermainstreaming. Aber nun droht im Frisurengewerbe der maskuline Rollback. Barbershops schießen wie Pilze aus dem Boden und mit den jetzt in Nürnberg ausgetragenen German Barber Awards sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass der feminine Mann aus der Mode zu kommen droht. Die Frise ist ihm plötzlich gar nicht mehr wichtig, alles dreht sich um den Bart. Er gilt als das eigentliche Prachtstück des Mannes und wird von Holzfällerhemden tragenden Friseuren mit muskulösen Armen und Tattoos in aufwendigen Prozeduren gepflegt, gestylt und geschnitten. Mit dem fröhlichem Ambiente aus Uschis Frisierstübchen haben Barbershops nichts gemein, sie erinnern strenggenommen an ein Steakhouse, und spätestens wenn die neuen Barbiere ihre Instrumente zeigen, beispielsweise den Rasierpinsel aus borstigem Dachshaar oder das Messer mit Edelstahlklinge und Zedernholzgriff, weiß der hippe Kunde, dass diese Form der Bartpflege nichts für Bausparer und Brigitte-Leser ist. Micha Birkhofer, der den Barber Shop Award ins Leben gerufen hat, formuliert es so: »Der Kunde Mann« sei »wieder anspruchsvoller geworden«. Er sei es »leid, im Friseursalon zwischen Strähnchen und Farbe für weibliche Kunden reingeschoben zu werden«. her
Der Chefmelancholiker
Swiss Army Man. Einer legt sich den Strick um den Hals, will sich das Leben nehmen, weil er die Einsamkeit als buchstäblich Gestrandeter nicht länger ertragen kann. Doch plötzlich taucht ein Zweiter auf, wird von der Brandung angespült und liegt reglos da. Mit blassblauer Gesichtsfarbe – ein Mann im Anzug, der schon bald Lebenszeichen von sich gibt. Oder sind die ekligen Fürze Teil des Verwesungsprozesses? Einige Augenblicke später reitet der Verwilderte mit neuerlichem Lebensmut auf dem Rücken des Toten wie auf einem Jetski über das Meer. Als Düsenantrieb dienen die immensen Darmwinde der Leiche. Bewegen kann sich der Mann nicht eigenständig, reden bald schon. Und vor allem: ein nützliches Allzweckwerkzeug sein, mit dem man Bäume spalten und Feuer machen, den man als Gewehr und Hammer benutzen kann, ein Schweizer Taschenmesser in Menschenform. Einen schönen Quatsch haben sich die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert einfallen lassen für ihren Debütfilm »Swiss Army Man«. Der Film läuft schlecht, Gäste verlassen den Saal – und verpassen, wohin sich die Erzählung mit bemühter Schrägheit entwickelt. Ihnen entgeht allerdings auch, wie der Schauspieler Paul Dano aus Zivilisationsmüll Puppen bastelt und im Wald rauschende Feste feiert, wie nur er es kann. Dano ist einer der sehenswertesten Melancholiker, in jeder seiner Rollen desolat, geprügelt, irre, missverstanden, todtraurig oder alles auf einmal. Ein Lieblingsschauspieler, der selbst »Swiss Army Man« Leben einhauchen kann. oko