Verschwörungstheorien um die Kanzlerin

Die Chefin der GmbH

Volksverräterin, Jüdin, Verbrecherin – nur einige der Zuschreibungen, die sich Rechtsextreme und »besorgte Bürger« in der Vergangenheit für Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgedacht haben. Noch keine Politikerin der Bundesrepublik traf so viel Hass und Häme wie Merkel.

Spätestens nach den massenhaften sexuellen Übergriffen in Köln wurde der Ausspruch »Danke Merkel!« zum Standardrepertoire von Wutbürgern, Neonazis und anderen Rechten. Angela Merkel war für sie schuld an den Ereignissen in der Silvesternacht. Ihre Flüchtlingspolitik, die das Ziel habe, das »deutsche Volk zu zerstören«, trage nun Früchte. Auch die »Alternative für Deutschland« (AfD) hat den Spruch »Danke Merkel!« für sich vereinnahmt. Im September wurde bekannt, dass die rechtspopulistische Partei im Falle eines islamistischen Anschlags eine Plakatkampagne unter diesem Titel beginnen wollte. Um konkrete politische Handlungen der Kanzlerin geht es bei den Schuld­zuschreibungen allerdings nicht. Merkel ist vielmehr ein Symbol für alles, was den Rechten gerade nicht gefällt.
Sie stand und steht für eine unaufgeregte Politik. In ihrer mittlerweile elfjährigen Kanzlerschaft hat sie meist kühl und ohne Hektik gehandelt, egal ob Finanzkrise, Griechenland oder ­Fukushima. Markige Sprüche, wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder sie gerne von sich gab, sind nicht Merkels Sache. Als es im Herbst 2015 darum ging, Flüchtlinge aufzunehmen, sogar die Grenzen für diejenigen zu öffnen, die über Ungarn kommen, und die Menschen unter Aussetzung des Dublin-2-Abkommens ins Land zu lassen, zeigte Merkel eine deutliche Haltung. »Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land«, sagte die Kanzlerin im September 2015 und wandte sich so gegen ihre Kritiker vom rechten Rand. Diese Haltung in der Flüchtlingspolitik wurde auch zum Kristallisationspunkt für den Hass auf die Kanzlerin. Merkel ist die Symbol­figur für die deutsche Asylpolitik. Verschärfungen im Asylrechtund die Erweiterung der Liste »sicherer Herkunftsländer« werden dabei von den Merkel-Hassern großzügig ignoriert. Sie passen nicht in ihr Weltbild von der »volkszersetzenden Multikultikanzlerin«.
Spätestens Merkels Politik in der »Flüchtlingskrise« führte auch zur Gründung zahlloser Facebook-Gruppen und Seiten, die die Kanzlerin zum Thema haben. Sie tragen Titel wie »Merkel muss weg«, »Anti-Merkel«, »Merkel Rücktritt jetzt«, »Merkels Opfer« oder »Merkel steht zu Israel, nicht zu Deutschland«, und in ihnen grassiert der pure Hass. Geflüchtete werden als »Merkels krimineller Abschaum« bezeichnet, bebildert werden die Gruppen meist mit schlechten Fotomontagen, die Merkel häßlich und böse aussehen lassen sollen. Munter geteilt werden in den Gruppen auch Verschwörungstheorien über die Kanzlerin. Die beliebteste ist wohl, dass Merkel die Chefin der »BRD GmbH«, Deutschland kein souveräner Staat und die Kanzlerin nur ihren Herren in Washington oder Tel Aviv verpflichtet sei. Ohne Antisemitismus geht es in der deutschen Rechten halt nicht. Eine »ausgefeilte« Verschwörungstheorie wurde um die angeblich jüdische Herkunft der Kanzlerin gestrickt. Die Verschwörungs­theoretiker wissen zu berichten, dass schon Merkels jüdischer Großvater im ersten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft habe. Nur wem Merkel und »die Juden« wirklich dienen, darüber sind sich die Nazis und Verschwörungstheoretiker nicht ganz einig. Die USA und Israel stehen selbstverständlich hoch im Kurs, aber auch die Theorie, dass Merkel eine heimliche jüdische Kommunistin sei, hat ihre Anhänger. Am verrücktesten wird es, wenn Verschwörungsideologen behaupten, Merkel sei die Tochter von Adolf Hitler und beide stammten von den Rothschilds ab. Merkel wurde mit dem tiefgefrorenen Sperma Adolf Hitlers gezeugt und Eva Brauns Schwester soll als »Leihmutter« gedient haben. Dies alles sei vom russischen Geheimdienst KGB angeordnet worden und in seinen Archiven sollen sich die Beweise dafür auch finden lassen.
Weitaus wirkmächtiger als die Verschwörungstheorien, die selbst einigen Rechten zu absurd sein dürften, ist eine öffentliche Petition gegen die Kanzlerin. 18 200 Menschen fordern zurzeit einen »Untersuchungsausschuss Merkel«, unter ihnen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Mit ihrer Politik habe Merkel klaren Rechtsbruch begangen, dies müsse untersucht werden. Die Unterzeichner fordern die Offen­legung von Merkels SMS, ihres E-Mail-Verkehrs und von Gesprächsprotokollen sowie strafrechtliche.
Für Neonazis, besorgte Bürger und andere Rechte verkörpert Merkel alles, was sie ablehnen. Zu ihrer Flüchtlingspolitik kommt zweifellos noch hinzu, dass sie eine mächtige Frau ist und aus dem Osten kommt. Merkel ist für sie das Paradebeispiel für den »Volkstod«. Statt am heimischen Herd zu stehen und mindestens zwei Kinder zu bekommen, hat Merkel sich für eine Karriere erst in der Wissenschaft und dann in der Politik entschieden. Dass sie in der einstmals konservativen CDU erfolgreich ist, verstärkt den Hass noch. Wäre Merkel Sozialdemokratin oder gar in der Linkspartei, könnte man ihre Lebensentscheidungen damit abtun, dass diese Parteien ja nie besonders für Tradition und Familie standen.
Eine ostdeutsche, konservative Frau, die sich für eine relativ humane Flüchtlingspolitik einsetzt, trifft auf eine Gesellschaft, die in Teilen zur Verrohung neigt. Mit dieser Kombinationzieht die Bundeskanzlerin viel Hass auf sich. Die Wut des Mobs auf der Straße wird Merkel ertragen und zum Großteil ignorieren können. Gefährlicher sind die reaktionären Forderungen in CDU und CSU sowie die AfD. Sie werden die Vorurteile des Mobs weiter als politische Forderungen formulieren und könnten Merkel irgendwann zum Einlenken zwingen.