Hamburgs Mangel an sportlicher Klasse

Hamburch, so’n Schiet

Sportlich betrachtet ist die Hansestadt Hamburg inzwischen ein öder Ort. Bis auf den HSV, der regelmäßig gegen den Abstieg spielt, gibt es kein erstklassiges Team.

Hamburg sieht sich gern als Tor zur Welt. Das Gefühl, zu den ganz Großen zu gehören, ist nach wie vor fester Bestandteil des Selbstbilds der Stadt und ihrer Bewohner. Aus einer historischen Perspektive ist das auch gar nicht falsch: Als Hansestadt und später als wichtigster Hafen des aufstrebenden Deutschen Reichs spielte Hamburg über Jahrhunderte hinweg eine wichtige Rolle für den Großraum Mittel- und Nordeuropa. Für einige Jahrzehnte, als Berlin geteilt war und formell nicht zur Bundesrepublik gehörte, war die Stadt sogar die größte in Westdeutschland. Das ist mittlerweile Vergangenheit und langsam, aber sicher erkennen auch an Elbe und Alster die meisten an, dass Berlin ihnen den Rang abgelaufen hat – hinter vorgehaltener Hand zumindest.
Im Sport jedoch schien die Hansestadt weiterhin etwas zu gelten. Bei der Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele 2024 konnte sie die Bundeshauptstadt ausstechen und mit dem Hamburger SV hat sie immerhin einen zweifachen Europapokalsieger vorzuweisen. Zeitweise spielte mit dem FC St. Pauli noch ein zweiter Hamburger Club in der Fußballbundesliga. Im Handball wurde der Handballsportverein Hamburg (HSV Hamburg) 2011 deutscher Meister; im Eishockey wurden die Hamburg Freezers drei Jahre später immerhin die beste Mannschaft der regulären Saison, auch wenn sie später im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft am ERC Ingolstadt scheiterten.
Mittlerweile jedoch wirkt all das sehr weit weg. Die Olympiabewerbung ist gescheitert, weil sich in einem Referendum eine knappe Mehrheit der Hamburger dagegen aus­gesprochen hat. Der HSV steckt in der ersten Liga spätestens seit dem zweiten Spieltag genauso tief im Abstiegskampf wie der FC St. Pauli in der zweiten, und danach kommt erst einmal sehr lange nichts. In der dritten Liga ist Hamburg überhaupt nicht vertreten, in der Regionalliga Nord spielen lediglich die beiden U23-Teams der beiden höherklassigen Vereine.
In den anderen Sportarten sieht es sogar noch düsterer aus. Der HSV Hamburg musste, nachdem er im Dezember 2015 einen Insolvenzantrag gestellt hatte, im Januar noch vor dem Saisonende den Spielbetrieb in der Handballbundesliga einstellen. In der laufenden Saison tritt die ehemalige zweite Mannschaft in der fünfgleisigen dritten Liga an und damit ironischerweise sogar noch eine Klasse tiefer als der VfL Bad Schwartau, dessen Lizenz der HSV 2002 übernommen hatte, was es dem Verein erst ermöglicht hatte, in der Bundesliga anzutreten.
Die Freezers konnten die letzte Spielzeit in der Deutschen Eishockeyliga (DEL) immerhin zu Ende spielen, auch wenn diese für das Team nach dem Verpassen der Play-offs deutlich kürzer ausfiel als erhofft. Im Mai jedoch, einen Monat nach dem Saisonende, gab der Eigentümer, die Anschutz Entertainment Group, der auch die Eisbären Berlin gehören, bekannt, keine Lizenz für die neue Saison zu beantragen. Da sich kein anderer Investor finden ließ, sind die Freezers somit Geschichte. Selbst die Facebook-Seite und der Twitter-Account sind verschwunden.
Im Basketball sieht es kaum besser aus. Seit dem Abstieg der BJC Tigers 2001 hat es kein Team aus Hamburg mehr in die Bundesliga geschafft. Seit 2014 gibt es mit den Hamburg Towers allerdings immerhin ein ambitioniertes Team in der Pro A, der zweithöchsten Liga in Deutschland, das durchaus nach Höherem strebt. Zurzeit jedoch dümpelt die Mannschaft nach einem recht durchwachsenen Saisonbeginn auch nur ­irgendwo in der Mitte der Tabelle herum.
Bei den Frauen wird es dann endgültig düster. Weder im Fußball noch im Handball, Eishockey, Basketball oder Volleyball spielt auch nur ein einziges Team aus Hamburg in der höchsten Liga. Der Hamburger SV gehörte zwar über Jahre im Frauenfußball zu den Stammvereinen der Bundesliga. 2012 jedoch zog der Verein das Team überraschend aus der Liga zurück. Der Spielbetrieb sei zu teuer, hieß es, was jedoch wenig glaubhaft erschien bei einem Verein, der zur gleichen Zeit für sehr viel Geld den alternden Weltstar Rafael van der Vaart einkaufte.
Doch woran liegt es, dass Hamburg sich in Rekordzeit von einem der wichtigsten Standorte im deutschen Profisport zu einer regelrechten sportlichen Einöde entwickelt hat? Zum einen liegt es sicher an einer ungewöhnlichen Häufung von individuellen Fehlern. Vor allem angesichts der Zustände beim Hamburger SV muss man sich die Frage stellen, ob es dort denn nicht wenigstens eine leitende Person mit Sachverstand gibt. Der Verein hat sich in eine gefährliche Abhängigkeit von Klaus-Michael Kühne begeben, der in den vergangenen Jahren dem Magazin 11 Freunde zufolge annähernd 40 Millionen Euro in den Verein investiert hat und offenbar entsprechend viel mitreden will – ohne selbst ein ausgewiesener Kenner der Materie zu sein.
Das Kernproblem des Hamburger Sports scheint jedoch die konsequente Selbstüberschätzung zu sein. Hamburg scheint sich noch immer zumindest als zweitgrößte Stadt Deutschlands zu sehen. Wenn man die Metropolregionen des Landes betrachtet, kommt Hamburg jedoch erst an fünfter Stelle. Neben Berlin, der Rhein-Ruhr- sowie der Rhein-Main-Region liegen auch München und Stuttgart noch vor der Hansestadt.
Vergleicht man nun, wie stark diese fünf Regionen in den deutschen Big 4, also den höchsten Ligen im Fußball, Eishockey, Basketball und Handball, vertreten sind, ergibt sich ein eindeutiges Bild. Berlin kommt auf vier Teams – in jeder Liga eines. Die Rhein-Main-Region und Stuttgart kommen auf je fünf, München hat sieben und die Rhein-Ruhr-Region sogar zwölf Teams. Hamburg hat mit dem HSV gerade einmal eines und das kämpft gegen den Abstieg.
Sowohl die Freezers als auch der HSV Hamburg erlitten in den vergangenen Jahren einen merklichen Zuschauerrückgang. Bei letzterem war die Arena meist nicht einmal mehr halbvoll. Die Metropolregion Hamburg scheint nicht in der Lage zu sein, dauerhaft mehr als zwei Profiteams mit ausreichend Zuschauern zu versorgen.
Zugleich sind grobe handwerkliche Fehler bei der Vermarktung begangen worden. Anstatt ein eigenständiges und unabhängiges Markenprofil auszubilden, haben sich sowohl die Freezers als auch die Handballer vom HSV Hamburg in ihrem optischen Auftreten stark an den Hamburger SV angelehnt. Viele sahen in ihnen daher wenig mehr als ein Anhängsel des Fußballbundesligisten, und wer mit diesem nichts anfangen konnte, verspürte auch nur selten Sympathien für einen der anderen beiden Vereine, während nur eine sehr begrenzte Zahl der Anhänger des HSV weitergehendes Interesse an anderen Sportarten als Fußball zu haben schien.
Dass es auch anders geht, zeigen die Hamburg Towers, die in Schwarz im Stadtteil Wilhelmsburg antreten und bei deren Spielen tatsächlich Fans von beiden großen Hamburger Vereinen anzutreffen sind. Vor allem aber setzen die Towers auf langsames Wachstum statt auf die Holzhammermethode. In der Pro A kann das Team sich eine solide Fanbasis erspielen, auf der es dann nach einem etwaigen Aufstieg aufbauen könnte. Ob das am Ende auch klappt, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es, denn so schlecht, wie die Hansestadt derzeit sportlich dasteht, ist sie nun auch wieder nicht.