Durch eine Gesetzesänderung droht die Einschränkung des Demonstrationsrechts

Widerstand zwecklos

Gewalt gegen Polizisten soll härter geahndet werden. Die geplante Gesetzesverschärfung könnte auch friedliche Demonstranten kriminalisieren und zu absurden Urteilen führen.

Frankfurt am Main, das ist die Stadt des »Blockupy«-Bündnisses. Dort erhielt der im Frühling 2012 gegründete Zusammenschluss bisher die größte öffentliche Aufmerksamkeit. Das kapitalismus- und globalisierungskritische Netzwerk, dem unter anderem die ­Gewerkschaft Verdi, die Linkspartei sowie Attac angehören, demonstrierte am 18. März 2015 anlässlich der Eröffnungsfeier des Neubaus der Europä­ischen Zentralbank in Frankfurt. Auf dem weitgehend friedlichen Marsch mit etwa 20 000 Teilnehmern wurde eine Minderheit gewalttätig.
Einige Randalierer setzten Polizeiautos in Brand, in denen sich auch Menschen befanden. Etliche Geschäfte sowie öffentliche Gebäude wurden durch Farbe und Steinwürfe beschädigt. Die Polizei reagierte mit Pfefferspray, Reizgasgranaten, Schlagstöcken und Wasserwerfern. »Blockupy« distanzierte sich von den Militanten. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie stellte in einer Analyse fest, dass eine Minderheit der Demonstranten die Berichterstattung dominiert hatte, und warf der Polizei vor, diesen Eindruck verstärkt zu haben. Brennende Barrikaden und Autos seien nicht frühzeitig gelöscht worden, so dass der in der Luft hängende Rauch in den Medien ein Bild gewalttätiger Unruhen erzeugt habe.
Den Eindruck gewalttätiger Unruhen müssen auch etliche Politiker erhalten haben. Einen scheinen die Blockupy-Proteste auf jeden Fall schwer bewegt zu haben: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU). Weniger als einen Monat nach dem teilweise gewaltsamen Protest brachte er eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein. Das Ziel: ein neuer »Schutzparagraph« gegen gewalt­same Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter und Amtsträger aus Justiz und Bundeswehr. Die Schaffung des Paragraphen 112 im Strafgesetzbuch soll nach Beuths Vorstellung den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte härter bestrafen.
Auch im Saarland ist man für eine Verschärfung der Rechtslage. Innen­minister Klaus Bouillon (CDU) verlangte jedoch eine Änderung des bestehenden Gesetzes, anstatt einen neuen Straf­tatbestand zu etablieren. Diese juristischen Feinheiten stehen der gemein­samen Sache von Beuth und Bouillon nicht entgegen. Vor zwei Wochen präsentierten die Landespolitiker ihre Kernforderungen dem Bundesjustizministerium, das dazu bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen will und sich dem Vorschlag offenbar zugewandt zeigt. »Das gute Gespräch mit Bundesjustizminister Maas macht mich sehr zuversichtlich«, frohlockte Beuth.
Neben der Ausweitung des geschützten Personenkreises auf Mitglieder von Rettungsdiensten und der Feuerwehr fordert die hessisch-saarländische Initiative eine Verschärfung der Strafgesetze. Nach dem derzeitigen ­Paragraphen 113 macht sich strafbar, wer sich gegen sogenannte Vollstreckungshandlungen von Beamten mit Gewalt auflehnt oder damit droht. Dazu zählen Pfändungen durch Gerichtsvollzieher und polizeiliche Festnahmen. Die diskutierte Neuregelung sieht vor, dass der Widerstand gegen Beamte selbst dann strafbar ist, wenn nichts vollstreckt wird. Dann fiele nicht nur unter den Widerstandsparagraphen, wer sich gegen eine Festnahme zu Wehr setzt, sondern auch, wer einen Polizeiwagen anzündet.
Im Fall brennender Autos mag das noch plausibel klingen. Das Anzünden eines Polizeiwagens lässt sich als Akt gegen den Staat begreifen, wobei auf die Täter ohnehin Verfahren wegen Brandstiftung, Körperverletzung und möglicherweise versuchten Mordes ­zukommen würden. Mit dem Argument, neben den Angriffen auf die Beamten auch die Störung des staatlichen Apparats zu sanktionieren, lässt sich die Gesetzesverschärfung in diesen Fällen durchaus legitimieren.
Der Vorschlag von Beuth und Bouillon birgt aber die Gefahr einer Kriminalisierung von Demonstranten, die etwa mit dem Anzünden staatlichen Eigentums nichts zu tun haben. Auf nahezu jeder Protestdemonstration lassen sich Beispiele finden, wie aus harmlosen ­Situationen in kürzester Zeit Rangeleien zwischen misstrauischen Demonstranten und gereizten Polizisten entstehen. Selbst ein flapsiger Satz wie »Ich geb’ dir gleich eine« ist per Definition eine Drohung mit Gewalt gegen die Polizei und wäre nach dem Vorschlag der Landesminister Beuth und Bouillon künftig strafbar – selbst dann, wenn die Aussage nicht während einer Festnahme oder einer ähnlichen Vollstreckungshandlung fällt, sondern der Polizist die Menschenmenge lediglich ­begleitet und einen Demonstranten zur Ordnung ruft. Die Mindeststrafe würde sechs Monate auf Bewährung betragen. Das wäre absurd. Ziviler ­Ungehorsam ist Demonstrationen immanent und hat nichts mit Militanz oder Gewalt zu tun, sondern mit der politischen Teilhabe von Bürgern, für die Gesetze Anlass zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung sind.
In der hessischen Begründung der Initiative heißt es: »Zweck der neuen Strafbestimmung ist nicht vorrangig die Pönalisierung bislang straffreier Handlungsweisen.« Genau das könnte aber das Ergebnis sein. Dass das Bundesjustizministerium diese Fälle im Blick hat, wenn es an dem neuen Gesetzentwurf bastelt, ist nicht garantiert. Maas (SPD) scheint es vor allem darum zu gehen, die Polizei zu stärken: »Wir werden tätliche Angriffe gegen Polizisten in Zukunft härter sank­tionieren«, so der Minister in einer Pressemitteilung. Und auch Beuth und Bouillon wollen ihren Einsatzkräften wohl zeigen: Schaut her, wir tun was für euch!
Wie schön wäre es, wenn es so viel politischen Aktionismus für die Opfer von Polizeigewalt gäbe. Diese können davon nur träumen. Von 2 138 Polizisten, die 2014 wegen Körperverletzung von Bürgern angezeigt wurden, kam es nur bei 33 überhaupt zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft – das sind 1,5 Prozent. Wie viele der Beamten am Ende verurteilt worden sind, ist statistisch nicht erhoben.