Private Unternehmer und Selbständige auf Kuba

Die Unternehmer sind zurück

Kubas Privatsektor entwickelt sich sehr dynamisch. Vor allem Kubanerinnen und Kubaner, die nach mehreren Jahren im Ausland ins Land zurückgekehrt sind, bringen das nötige betriebswirtschaftliche Wissen mit, um als Kleinunternehmer Aussicht auf Erfolg zu haben. Doch sie begegnen auch einigen Widrigkeiten.

Die Eingangstür des »San Cristóbal« ist weit geöffnet. Carlos Cristóbal Márquez steht in seiner roten Kochmontur samt schwarzer Schürze im Vorraum und telefoniert mit einem Kunden. »Nein, leider sind wir heute ausgebucht, keine Chance. Frühestens für Donnerstag kann ich Ihnen einen Tisch reservieren«, sagt der 52jährige Kubaner freundlich und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Das »San Cristóbal« ist nahezu täglich ausgebucht, denn es gehört zu den fünf ­besten privat betriebenen Restaurants Kubas, mehrere ausländische Präsi­denten haben hier schon zu Mittag oder Abend gegessen. »Wir haben Glück ­gehabt, denn mehrere der nahegelegenen Botschaften, darunter die der USA, haben uns früh entdeckt und für gut befunden«, erzählt der Betreiber. Als dann noch US-Präsident Barack Obama im März 2016 während seiner historischen Visite in Havanna im »San Cristóbal« zu Mittag einkehrte, war klar, dass Márquez künftig in ganz anderen Dimensionen planen und einkaufen muss.
Das hätte sich der gelernte Koch, der in Brasilien, Mexiko, Spanien und Italien am Herd stand, nicht träumen lassen. »Als im Oktober 2010 in Kuba die Entscheidung fiel, die paladares im zweiten Anlauf wieder zu erlauben, da habe ich nicht lange überlegen müssen.« Paladares heißen die kleinen ­privat betriebenen Restaurants, die erstmals 1993 mit drei Tischen und zwölf Stühlen dem staatlichen Gastronomiesektor Konkurrenz machen durften. In der Neuauflage des Gesetzes von 2010 wurden die Bedingungen verbessert. Mehr Tische, weniger Beschränkungen habe die Devise gelautet, erläutert Márquez. Damals hielt er die Zeit für gekommen, es zum ersten Mal mit etwas Eigenem zu probieren – dem eigenen paladar. Aber dass ihm die Kunden eines Tages die Tür einrennen würden, damit hat der humor­volle Mann mit der sorgsam rasierten Glatze nicht gerechnet.
Márquez ist ein Gewinner des Kuba-Hypes. Er gehört zu der Gruppe kubanischer Selbständiger, die in die US-Botschaft eingeladen wurden, um Obama ihre Erfahrungen in der realsozialistischen Planwirtschaft zu schildern. Diese sind fundiert, denn Márquez weiß nicht nur, wie Probleme in Kuba gelöst werden, sondern auch, wie kalkuliert und abgerechnet wird und wie Steuern bezahlt werden. Das sind handfeste Vorteile, denn viele kubanische Jungunternehmer sind sich nich darüber im Klaren, wie ein Businessplan aussieht und dass Gewinne nicht einfach aufgebraucht, sondern auch Rücklagen gebildet werden sollten.
Auf der Jagd nach Zutaten
Auf diese und andere typische Probleme weist auch der kubanische Finanzexperte Pavel Vidal hin. »Die Zahl der Pleiten ist hoch und ein zentraler Grund dafür sind die fehlenden Vorkenntnisse«, so der ehemalige Mitarbeiter der kubanischen Zentralbank, der mittlerweile im kolumbianischen Cali an einer Universität lehrt.
Bei den kubanischen Rückkehrern ist das anders, denn viele haben genau beobachtet, wie der Markt funktioniert, wie sich mit etwas Startkapital ein eigenes Unternehmen aufbauen lässt. Márquez hatte sich nicht nur das Startkapital durch seine Jobs im Ausland angespart, sondern auch das Glück, dass er seinen Traum vom eigenen Restaurant im Haus seiner Eltern verwirklichen konnte. »Das war ein Vorteil, und auch die Tatsache, dass wir nicht im feinen Vedado oder Miramar eröffneten, sondern im Zentrum Havannas, wo der Verfall zu sehen ist, und wo heute die Touristen auf Entdeckungstour gehen, hat uns nicht geschadet«, so der gutgelaunte Gastronom. Einigen seiner Kollegen ging es ähnlich. Der ­Pionier der Branche, Enrique Núñez, hatte mit seiner Frau Odeysis Baullosa 1996 die Idee, aus der gemeinsamen Wohnung ein Restaurant zu machen – mit durchschlagendem Erfolg. »La Guarida« sei immer noch die »Mutter aller paladares«, sagt Márquez anerkennend.
Die Gastronomielandschaft Kubas hat sich merklich verändert und professionalisiert. »Kubanische Küche ist längst mehr als Reis, Bohnen und Spanferkel. Wir kochen mit feinen Zutaten und Salat ist auch in Kuba kein Fremdwort mehr«, sagt der 29jährige Yasmán Cierre. Er kocht in einem der exquisiten Restaurants Havannas, der »Casa Miglis«. Das Lokal wurde von ­einem schwedischen Videokünstler mit griechischen Vorfahren eröffnet. Wie die Konkurrenz hat es allerdings Probleme, den Bezug von frischen und qualitativ hochwertigen Zutaten und Getränken dauerhaft sicherzustellen. »Wir müssen oft improvisieren, Gerichte von der Karte nehmen, weil uns dieses oder jenes fehlt. Das ist eine der größten Herausforderungen für die Gastronomie in Kuba. Es gibt schlicht keine Großmärkte«, kritisiert der Koch. Er hat in Restaurants eines spanischen Kulturvereins seinen Beruf erlernt und ist nun die rechte Hand des Chefkochs in der »Casa ­Miglis«. So ist er hin und wieder auch morgens mit dabei, wenn die Bauernmärkte und die einschlä­gigen Adressen abge­klappert werden, um einzukaufen. Alle Restaurants in Havanna konkurrieren um die besten Zutaten. »Lästig ist jedoch, dass wir immer noch Getränke, Mehl, Kartoffeln, Reinigungsmittel und vieles mehr im Supermarkt zum Einzelhandelspreis einkaufen müssen«, sagt Cierre. Trotz mehrerer Ankündigungen von offizieller Seite hat sich daran nichts geändert und die Privatunternehmen haben sich damit arrangiert, die paladares wie auch die populären Konditoreien, von denen in Havanna in den vergangenen Jahren ­immer mehr eröffnet wurden.
So wie »La Carolina«. Die kleine ­Konditorei gibt es seit zwei Jahren und die Bäcker, die in zwei Schichten in der 19. Straße im Stadtteil Vedado arbeiten, können die Nachfrage kaum befriedigen. Auf die Idee, traditionelles Gebäck, Torten und Kekse zu produzieren, kam Julio Santos Pérez, weil er zwar Lust hatte, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, aber eben kein Restaurant. »Wir müssen uns ja nicht alle Konkurrenz machen, und nun beliefere ich immer öfter Restaurants wie das benachbarte ›Balcón de Diego‹ mit Torten, Kuchen und Teilchen«, sagt der 56jäh­rige. Pérez hat einige Jahre im Ausland gelebt, war Manager für ein kubanisches Reiseunternehmen in Deutschland, hat Hotels vertreten und geleitet und sich vor zwei Jahren selbständig gemacht. »800 US-Dollar habe ich investiert, gebrauchte Kühlschränke, ­einen Verkaufstresen und die Rühr­maschine gekauft und nun arbeiten wir hier in zwei Schichten mit zwölf Leuten«, sagt er. Gute Kuchen sind in Kuba rar, »La Carolina« hat sich in den vergangenen zwei Jahren einen Namen gemacht. Zudem liefert Pérez die kleinen Wunderwerke aus Buttercreme und andere Köstlichkeiten mit dem Wagen aus.
Am Rande der Legalität
Auf Service und Qualität legt Pérez wert, seinen Angestellten bezahlt er bis zu 150 Peso convertible im Monat inklusive Prämien, umgerechnet etwa 141 Euro, in Kuba ein fairer Lohn. Nebenbei baut Pérez ein Netzwerk von Privatvermietern für größere Gästegruppen auf. Eine Filiale seiner Konditorei will er vorerst nicht eröffnen – gerade weil nicht so ganz sicher ist, wie es in Kuba weitergeht. »Wir bewegen uns immer in der Halblegalität, denn unsere Zutaten kaufen wir da, wo wir sie kriegen: im Supermarkt, manchmal beim Bäcker, aber auch auf dem Schwarzmarkt. Was sollen wir machen?« schildert er ein Problem, mit dem sich alle Gastronomen in Kuba herumschlagen.
Es gibt oft zu wenige Produkte, und auch nicht zu Groß-, sondern zu Einzelhandelspreisen, obwohl das Mehl säckeweise in »La Carolina« verbraucht wird. Gleichwohl macht der kubanische Staat trotz mehrerer Ankündigungen seit 2010 keine Anstalten, Großhandelslizenzen zu vergeben. Mitte Oktober wurden mehrere bekannte Betreiber von paladares sogar einbestellt, darunter Carlos Cristóbal Márquez, und dafür gerügt, dass sie Waren vom Schwarzmarkt bezogen hätten. Dies, so die Behörden, sei nicht erwünscht. Zudem würden vorerst keine neuen Lizenzen für paladares erteilt, mit der derzeitigen Zahl sei man zufrieden.
Der Gastronomiesektor hat drei gute Jahre hinter sich, und auch viele andere Kleinunternehmen sind in Havanna erfolgreich, etwa Taxigenossenschaften, Blumen- und Möbelgeschäfte sowie Immobilienbüros. »Mit den veränderten Rahmenbedingungen, ob beim ­Autokauf, dem Betrieb von paladares oder dem Wohnungsverkauf, gibt es neue Möglichkeiten, die schlicht genutzt werden«, sagt Yad Aguiar. Der 29jährige Kubaner hat mehrere Jahre in Kanada gelebt und ist zurückge­kommen, um eines der ersten Immo­bilienbüros in Havanna zu eröffnen, »Point2Cuba«. Das Büro liegt im mondänen Stadtteil Miramar, wo sich auch viele Botschaftsresidenzen befinden. In den Geschäftsräumen stehen feine alte Schreibtische, einige Bilder von ­alten Gründerzeitvillen hängen an den Wänden, insgesamt ein gediegenes Ambiente. Auch große Apartments werden gesucht und »Point2Cuba« wirbt mit guten Kontakten zu Baufirmen, Architekten und Baustofffirmen. »Wir vermitteln zwischen Alt- und Neueigentümern. Ältere Paare kommen oft zu uns, um ihr Haus zu verkaufen und in ein kleineres Apartment zu ziehen. Das ist legal seit drei, vier Jahren möglich, und wir sind nun knapp zwei Jahre mit unserem Büro im Einsatz«, so der Firmengründer, der mehrere Familienmitglieder aus Matanzas nach Havanna geholt hat, um Unterstützung zu haben. Allein seien die ­Beratung, die Besichtigung der Immobilien und die Absprachen mit Architekten und Baufachleuten nicht mehr zu bewältigen, sagt Aguiar.
Problematisch ist nach wie vor, dass das Unternehmen keinen Internet­zugang hat und Angebote nicht online präsentieren kann. »Internet ist in Kuba für Privatunternehmen noch nicht vorgesehen«, sagt Aguiar schulterzuckend. Er hatte erwartet, in Kuba zu Beginn improvisieren zu müssen, und nimmt den schwierigen Anfang mit Fassung. »Wir haben mehr Arbeit, als wir bewältigen können, sind schon gewachsen und die Nachfrage ist von Käufer- wie Verkäuferseite da«, sagt er optimistisch, auch wenn vermutet wird, dass der kubanische Immobilienmarkt wegen der Altansprüche von ­US-Amerikanern Risiken birgt. Das will auch Aguiar nicht abstreiten. Er verweist aber darauf, dass sich mit der ­Annäherung der beiden Länder vieles verändert habe.
Dazu gehört das Immobiliengeschäft in Kuba, das lange illegal war und unter der Hand stattfand. Im November 2011 wurden die Regelungen geändert und seit zwei Jahren gibt es mehr als 100 000 Immobilienkäufe im Jahr. Davon profitieren findige Geschäftsleute wie Aguiar, der sich in Kanada als Immobilienmakler qualifiziert hat und immer häufiger Immobilien für ­Rückkehrer sucht. »Die Zahl der Kubaner, die ihr Hab und Gut im Ausland verkaufen, um sich in Kuba niederzulassen und sich hier selbständig zu ­machen, steigt stetig, und sie sind willkommen«, schildert er seine Erfahrungen. Kubas Regierung hofft auf dringend benötigte Investitionen. Zwar gibt es seit anderthalb Jahren einen Tourismusboom, doch Kubas Wirtschaft bleibt wenig produktiv. Selbst das Bier kommt immer wieder aus der Domi­nikanischen Republik und nicht aus einer der nationalen Brauereien wie ­Bucanero. Für die Rückkehrer ist das kaum nachvollziehbar, aber sie halten sich mit öffentlicher Kritik zurück. Schließlich wollen sie bleiben.