Konservative Rollenbilder kommen wieder

Gebärfreudig und hetero

Das konservative Frauenbild kommt wieder in Mode. Zwar erleichtert die Politik die Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben, an der Rollen­verteilung zwischen den Geschlechtern ändert das aber wenig.

Der Konservatismus heftet sich an Konkretes, an das vermeintlich einfache Leben. Damit ist er der Inbegriff der Fortschrittsfeindlichkeit. Freilich kann der Konservatismus den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Er ist deshalb wesentlich ein Rückzugsgefecht. An gesellschaftliche Veränderungen und technische Innovationen passt er sich ebenso widerwillig an, wie er sozialen Bewegungen gegenüber zu Konzessionen bereit ist. Was als zu konservierender Wert gilt, hat sich historisch dementsprechend als einigermaßen kontingent erwiesen.

Zum einfachen Leben gehören hierarchische Geschlechterbeziehungen und überschaubare Verwandtschaftsverhältnisse ebenso wie eine als »anständig« imaginierte Sexualität. Die Technisierung des Haushalts, der gestiegene Bedarf an Arbeitskräften und die Frauenbewegung entzogen der bürgerlichen Kleinfamilie in den vergangenen Jahrzehnten allerdings die Grundlage. Heutzutage kann der Mann allein in den meisten Familien das Einkommen ohnehin nicht mehr garantieren, viele Haushalte sind also von doppelten Einkommen abhängig. In etwa zehn Prozent der heterosexuellen Paarhaushalte fungiert sogar die Frau zur Haupternährerin. Auch wenn dies fast nie mit einer paritätischen Verteilung von Reproduktionstätigkeiten einhergeht, die Frau also auch weiterhin die Hauptverantwortung für den Haushalt trägt, verändert sich etwas im Machtgefüge. Junge Menschen orientieren sich an aushandelbaren und partnerschaftlichen Beziehungsmodellen, die beiderseits kündbar sind und kürzer halten. Die Zahl der Eheschließungen geht langfristig zurück, während die Scheidungsraten steigen. Hierdurch kommt es zu einer Entkoppelung von Ehe und Elternschaft und zu einer Pluralisierung familiärer Lebensformen. Einelternfamilien und Patchworkfamilien werden häufiger. Auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften gewinnen Akzeptanz.

Seit der Jahrtausendwende betreibt die lange als konservativ geltende CDU ihre familienpolitische Modernisierung. Unter Angela Merkel und Ursula von der Leyen passte sich die christdemokratische Familienpolitik der Wirklichkeit an. Zwar wehren sich die Christdemokraten auch in ihrem neuesten Grundsatzprogramm gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und halten am Ehegattensplitting fest, sie befürworten aber auch das Elterngeld und forderten eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in Unternehmen. In der »bürgerlichen Familie des 21. Jahrhunderts«, wie sie im Grundsatzprogramm von 2007 beschworen wird, »werden sich häufig beide Eltern sowohl um die wirtschaftliche Basis als auch um die emotionale Qualität der Familie kümmern«.

Dem liegt das Ideal einer partnerschaftlich geführten Ehe zugrunde, mit doppeltem Einkommen und Teilung von Erziehungsaufgaben, durch deren Übernahme nicht nur Mütter, sondern auch Väter gesellschaftlich anerkannt werden. Zugleich erkennen die Konservativen nicht nur »nichteheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern«, sondern »gleichgeschlechtliche Partnerschaften« rechtlich an. Auch in diesen Familienformen würden »Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind«.

Hat sich der Inhalt dessen, was als zu konservierendes Geschlechterideal gilt, als wandelbar erwiesen, bleiben dem Konservatismus die Ursachen des Wandels im Dunkeln. Eine Konstante konservativen Denkens ist es, wie der Politologe Kurt Lenk beschreibt, »Ursachen für Schäden und Defizite der Gesellschaft in erster Linie im Bereich geistiger Haltung, des Wertewandels und der Kultur zu suchen«. Das bestätigen auch die rechten Kritiker der neuen konservativen Werte, indem sie die sich wandelnden Geschlechter- und Familienbilder auf feministische und politisch korrekte Indoktrination zurückführen. So wetterte Jörg Schönbohm (CDU) in seiner Kampfschrift wider die politische Korrektheit, dass diese subtil und effektiv alle Lebensbereiche zu kolonisieren drohe, bis den von ihr unterdrückten Konservativen sogar die Worte fehlten, um dieses Unrecht zu beschreiben. Dieses bestehe in sozialdemokratischer Antidiskriminierungspolitik, der Indoktrination hilfloser Schulkinder, gegenderte Bibeln und kulminiere schließlich im Weihnachtsverbot.

Eva Herman, die ehemalige Sprecherin der »Tagesschau«, beklagte, die deutsche Gesellschaft habe »sich die feministischen Glaubenssätze einverleibt« und benutze sie nun, um Frauen aus der Familie zu reißen und auf den Arbeitsmarkt zu treiben. Der Feminismus nivelliere die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, weil er der Frau ein männliches Rollenbild aufzwinge. Die Frau sei nämlich von Natur aus nicht an Entlohnung, sondern an Familie, Liebe und Harmonie interessiert. Sexualität stellte Herman in den Dienst Deutschlands. Die Infragestellung weiblicher Lohnarbeit inszenierte sie als Tabubruch.

Zustimmung für den von ihr propagierten Mutterkult erhielt Herman nicht von Konservativen, sondern von der Freiheitlichen Partei Österreichs, dem Ring Nationaler Frauen und der Deutschen Volksunion. Die Liste der Unterstützer wirft die Frage auf, wo die Grenzen zwischen Konservatismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus verlaufen. Mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) haben Ansichten wie diejenigen Hermans jedenfalls wieder eine Partei gefunden. Die AfD stilisiert Heterosexualität und traditionelle Geschlechterrollen zu Objekten von Diskriminierung. »Vollzeitmütter«, also jene »Frauen, die ›nur‹ Mutter und Hausfrau« sein wollten, würden von Wirtschaft und Gender-Mainstreaming stigmatisiert, weil diese die Frauen auf ihre Arbeitskraft reduzierten. Das »Leitbild der voll erwerbstätigen Frau« gilt der AfD als unweiblich. Häusliche Betreuung will die Partei fördern, Quoten lehnt sie ab. Sexualität stellt sie in den Dienst der Fortpflanzung. Von Abtreibungen will sie Frauen abraten, Scheidungen sind zwar nicht gern gesehen, Geschiedene sollen aber zum Nutzen der Kinder staatlich unterstützt werden. Über Homo- und Transsexualität sollen Schulkinder nicht aufgeklärt werden. Die perfekte Familie im Sinn der AfD besteht folglich »aus Vater, Mutter und Kindern«, derer es, Deutschland zuliebe, möglichst viele geben soll.

Ein Komplott der »Strippenzieher an der Gender-Front«, einer Gruppe von »Gender-Ideologen«, wie Birgit Kelle es ausdrückt, wolle Deutschlands Kinder frühsexualisieren und Geschlechter abschaffen. Kelle tingelt seit 2011 durch deutsche Talkshows. In ihrem Buch »Dann mach doch die Bluse zu« poltert sie gegen die #aufschrei-Feministinnen. Im 2015 erschienenen »GenderGaga«, veralbert sie die vermeintlich gefährliche Gender-Ideologie. Kelle ist Mitglied der CDU. Ihr stellt sich die Gleichberechtigung von Mann und Frau »als großes Verdienst des klassischen Alt-Feminismus« dar, sie gibt sich als Vertreterin eines konservativen Feminismus, der sich an Tradition und Biologie orientiere. Unter anderm ist sie Autorin der neurechten Zeitschriften Junge Freiheit und Eigentümlich frei.

Sie gehört zu einer Bewegung im klassisch konservativen bis extrem rechten politischen Milieu, die gegen den sogenannten Genderismus protestiert, der als Gefahr für tradierte und als natürlich imaginierte Geschlechterbilder inszeniert wird. Die öffentliche Präsenz dieses Protests, etwa von Seiten sogenannter besorgter Eltern, sogenannter Lebensschützer, konservativer Kritiker der CDU sowie in Gestalt der AfD lassen befürchten, dass es in Deutschland zu einem backlash auch in Bezug auf Geschlechterbilder kommen könnte. Statistiken zur Veränderung von Geschlechterbildern sind allerdings widersprüchlich. So kam etwa eine Familienstudie des Hausgeräteherstellers Vorwerk 2013 zu dem Ergebnis, dass unter heterosexuellen Paaren männliche Erwerbsarbeit nach wie vor höher geschätzt wird als weibliche. Die Hälfte der befragten Männer und ein Viertel der Frauen lehnten zudem einen Rollentausch ab, die männliche Bereitschaft, halbtags zu arbeiten, schwindet sogar leicht. Andererseits können sich heutzutage immer mehr Männer vorstellen, einen Anteil an der Erziehungsarbeit zu übernehmen und in Elternzeit zu gehen. Diese Willensbekundungen bezüglich weiblicher Erwirtschaftung des Haupteinkommens und des männlichen Ausübens der Reproduktionsarbeit sind mit Vorsicht zu genießen. Zumindest Ersteres wird sich aus ökonomischen Gründen immer häufiger aufdrängen. Wie konservativ die Paare sind, spielt eine untergeordnete Rolle, wenn der Mann arbeitslos ist und die Frau gut verdient. Der Statistik zufolge sind Frauen wie Männer derzeit weniger bereit, ihre Karriere zugunsten der Familie zurückzustellen. Hier deutet sich ein ökonomischer Pragmatismus an, der die Familienorientierung des Konservatismus tendenziell untergräbt.

Das Schäumen über die Diskriminierung der »Vollzeitmütter«, das Weihnachtsverbot oder die »Pflicht-Homoehe«, wie sie Günther Oettinger (CDU) fürchtet, sprechen nicht nur für ein Wiedererstarken von Geschlechterbildern aus den fünfziger Jahren, sondern auch dafür, dass dem »Rechtskonservatismus die Basis im Konkreten« entgleitet, wie die Soziologin Jasmin Sari schreibt. Einmal im Jahr für das Leben zu marschieren, einen Seitenhieb gegen die »Pflicht-Homoehe« auszuteilen oder einfach ein bisschen im Netz zu pöbeln, ist leichter, als langfristige Bindungen einzugehen, ein guter Nachbar zu sein oder eine mehrköpfige Familie zu gründen und zu unterhalten. Auch sollte das laute Gepöbel der Antigenderisten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Konservatismus manche soziale Neuerungen in den eigenen Wertekanon integriert. So gelang Oettinger in seiner vielbeachteten Rede das Kunststück, auf der einen Seite über die gleichgeschlechtliche Ehe zu schimpfen und chinesische Minister als »Schlitzaugen« zu beleidigen, die Frauenquote aber als einen Beweis für die Überlegenheit deutscher Werte heranzuziehen. Das macht Oettinger nicht zum Feministen, lässt aber hoffen, dass sich auch starrsinnigen Konservativen bald schon weitere emanzipatorische Forderungen zu deutschen Werten verdinglicht haben werden.