: Italiens neue Regierung gleicht der alten und die italienische Linke hat große Pläne

Italien tritt auf der Stelle

Nach dem Verfassungsreferendum gleicht die neue Regierung des Partito Democratico in Italien der alten. Die Linke möchte an ihre Kampagne gegen das Referendum anknüpfen, eine neue Partei ist in Planung. Doch die Strategien unterscheiden sich.

Vor drei Wochen wurde die von der italienischen Regierung vorgelegte Verfassungsreform in einem Referendum von 60 Prozent der Wählerschaft ab­gelehnt, doch in Rom scheint alles beim Alten. Nach einer kurzen Regierungskrise behielten die meisten Kabinettsmitglieder ihr Amt, einige wenige tauschten die Ressorts. Der bisherige Außenminister, Paolo Gentiloni, ist neuer Ministerpräsident. Er gilt als ­loyaler Gefolgsmann seines Amtsvorgängers Matteo Renzi, der darauf spe­kuliert, nach baldigen Neuwahlen an die Regierungsspitze zurückzukehren. Doch noch ist offen, ob Renzi als Generalsekretär des Partito Democratico (PD) weiterhin die Politik bestimmen kann oder ob sich seine parteiinternen Gegner im Streit um eine Neuausrichtung des PD durchsetzen werden.
Offen ist auch, wie lange die Amtszeit der vermeintlichen Übergangsregierung wirklich dauern wird, denn Neuwahlen können erst angesetzt werden, wenn ein neues Wahlgesetz vorliegt. Für Ende Januar hat das oberste Gericht sein Urteil über das Wahlgesetz »Italicum« angekündigt, das Renzis ­Regierung vor dem Referendum verabschiedete, also in der Annahme, zukünftig würde nur noch die Abgeordnetenkammer von der Bevölkerung gewählt (Jungle World 49/2016). Da die Verfassungsreform abgelehnt wurde und der Senat als gleichberechtigte zweite Kammer erhalten bleibt, sind die Parteien aufgefordert, ein neues, für beide Kammern praktikables Wahlgesetz auszuhandeln. Im Streit, ob grundsätzlich an einem Mehrheitswahlrecht festgehalten oder doch zu einem proportionalen Wahlrecht zurückgekehrt werden sollte, zeigt sich die Zerrissenheit der politischen Milieus.
Auf Seiten der Rechten fordert die radikale Fraktion um Matteo Salvinis Lega Nord sofortige Neuwahlen, doch selbst im Bündnis mit Silvio Berlus­conis Partei Forza Italia blieben diese rechte Kräften bei einem Mehrheitswahlrecht ohne Regierungschancen. Forza Italia plädiert derzeit deshalb eher für ein Verhältniswahlrecht, weil es eine Koalitionsregierung notwendig machen würde.
Dem Movimento 5 Stelle (M5S) wurden bisher die größten Siegchancen im Mehrheitswahlrecht prognostiziert, doch könnte die Stimmung wegen der jüngsten Skandale um die M5S-geführte römische Stadtverwaltung kippen. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen, dass Virginia Raggi, die sich im Frühsommer auch mit den Stimmen der römischen Rechten zur Bürgermeisterin wählen ließ, sich vom alten Filz der sogenannten Hauptstadtmafia nicht gelöst hat. Mitte Dezember trat die Umweltstadträtin Paola Muraro zurück, nachdem gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Verstößen gegen Umweltauflagen eingeleitet worden war. Die Vorwürfe beziehen sich auf ihre frühere Beratertätigkeit für die städtische Abfallentsorgungsgesellschaft. Noch in derselben Woche wurde Raggis Personalchef, Raffaele Marra, wegen des Verdachts korrupter Geschäfte mit einem römischen Bauunternehmer verhaftet. Das Chaos in der römischen Stadtverwaltung droht dem als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gehandelten Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer, Luigi Di Maio, zu schaden, da er Raggis umstrittene Personalpolitik stets verteidigte. Um einen weiteren Imageverlust zu vermeiden, soll die Bürgermeisterin zukünftig nur noch nach enger Absprache mit der M5S-Führung um Beppe Grillo handeln.
Da sich die Ablehnung der Verfassungsreform auch der linksliberalen »Nein«-Kampagne verdankt, bleibt ­außerdem abzuwarten, was die Linke aus ihrem Erfolg machen wird. In den süditalienischen Regionen, die alle vom PD regiert werden, wurde Renzis Reformvorhaben mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Etwa ebenso groß war die Zahl derer, die das Reformvorhaben ablehnten, in der Gruppe der unter 35jährigen, die verhältnismäßig gut ausgebildet sind, aber arbeitslos bleiben oder in dauerhaft prekären Arbeitsverhältnissen leben. Eine Minderheit im PD will diese Wählerklientel nicht länger der politischen Konkurrenz überlassen. Diese Minderheit will den amtierenden Generalsekretär mit einem ­eigenen Kandidaten herausfordern, die Alleinherrschaft Renzis brechen, vor allem aber dessen Orientierung der rechtskonservativen Mitte beenden. Links von den Demokraten soll sich im Februar eine neue Partei gründen, die schon mit ihrem imposanten Namen Sinistra Italiana an die besseren Zeiten der italienischen Linken anschließen will. Doch die Gruppe ist bereits gespalten: Ein Flügel sammelt sich um den ehemaligen Bürgermeister von Mailand, Giuliano Pisapia, der auf einen Politikwechsel des PD setzt und nach dem Vorbild seiner ehemaligen Stadtverwaltung auf nationaler Ebene ein »progressives« Mitte-links-Bündnis anstrebt. Ein anderer Flügel schart sich um den ehemaligen Ministerpräsidenten Apuliens, Nichi Vendola, der keine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit den Demokraten sieht und auf den Aufbau einer radikalen und starken Opposition setzt.
Allein die Tatsache, dass sich beide Seiten auf Männer beziehen, denen es in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht gelang, die vielbeschworene Einheit der Linken zu verwirklichen, entlarvt den Anachronismus der neuen Partei. Viele linke Gruppen, die sich auf lokaler Ebene betätigen, interessieren sich längst nicht mehr für eine nationale Einheitspartei, sie fordern vielmehr ein permanentes Eingreifen der einzelnen Gruppen in konkreten sozialen Konflikten. Auch viele Verfassungsrechtler, die sich für die »Nein«-Kampagne engagiert haben, setzen auf das Engagement der Bevölkerung. Sie fordern im Namen der Verfassung, ein Wahlgesetz auszuhandeln, das die politische Vielfalt des Landes auch im Parlament repräsentiert, und sie unterstützen ein von der Gewerkschaft CGIL angestrebtes Referendum zur Rücknahme der von Renzis Regierung eingeführten Arbeitsmarktreformen, dem »Jobs Act«. Eine Entscheidung des obersten Gerichts über die Zulassung des ­Referendums, für das bereits drei Millionen Unterschriften gesammelt wurden, ist für Mitte Januar angekündigt.