: Die Krise in Spanien geht weiter, der Protest gegen die konservative Regierung ebenso

Händchenhalten für die Sparpolitik

Die Wirtschaft wächst, die Armut bleibt. Die konservative
Volkspartei PP regiert Spanien weiter, mit Unterstützung der sozialdemokratischen PSOE.

»Es gibt Mobilisierungen zu dem Zeitpunkt, wenn sie nötig sind«, sagten ­Ignacio Fernández Toxo und Pepe Álvarez am Sonntag anlässlich einer Großdemonstration gegen die Regierung im Zentrum von Madrid. Die Vorsitzenden der beiden größten Gewerkschaftsverbände Spaniens, CCOO und UGT, hatten zuletzt 2012 zu Protesten und einem Generalstreik aufgerufen. Vor vier Jahren protestierten die Gewerkschaften gegen die »Arbeitsreform«, durch die der Kündigungsschutz, die Mitspracherechte von Betriebsräten und Auflagen für Zeitverträge beschnitten wurden.
Am 31. Oktober vereidigte der spanische König Felipe VI. eine weitere ­Regierung der konservativen Volkspartei (PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy, die dank einer Tolerierung durch die sozialdemokratische PSOE ins Amt kam. Da die Minderheitsregierung auf die Unterstützung anderer Parteien ­angewiesen ist, sahen Toxo und Álvarez den Zeitpunkt gekommen, Forderungen zu stellen. Auf der Großdemonstration von CCOO und UGT riefen die ­Protestierenden Parolen wie: »Wir wollen sichere Beschäftigung, würdige Löhne und Garantien für die Renten!«
Viele Minister der neuen konservativen Regierung gehörten bereits der vorherigen an, so neben dem Wirtschaftsminister Luis de Guindos auch die Arbeitsministerin Fátima Báñez, die die Gewerkschaften zu ihren Bedingungen »an den Verhandlungstisch« einlud, »um dort für die Spanier zu arbeiten«. Die Forderung, die Arbeitsreform ­wegen ihrer katastrophalen Auswirkungen vollständig zurückzunehmen, ­konterte Báñez im Radiosender COPE: »Gefällt Ihnen denn wirklich nichts an der Arbeitsreform? Auch nicht die Schaffung von mehr als 2 200 Arbeitsplätzen täglich?« Die spanische Wirtschaft ist dieses Jahr um 2,9 Prozent gewachsen, die meisten größeren Firmen konnten ihren Gewinn steigern, auch die Arbeitslosenquote ist erstmals seit sechs Jahren wieder unter die Marke von 20 Prozent gefallen. Aber der Zuwachs an Beschäftigung und Profiten basiert auf prekären Arbeitsverhältnissen, Teilzeitarbeit, geringeren Gehältern für weibliche Beschäftigte und Niedriglöhnen.
88,15 Prozent der im dritten Quartal 2016 neu abgeschlossenen Arbeitsverträge sind befristet: 216 780 von insgesamt 245 900. Nur 29 100 Verträge, das entspricht 11,8 Prozent, wurden unbefristet abgeschlossen. Unter den 22,84 Millionen dem spanischen Arbeitsmarkt offiziell zur Verfügung ­stehenden Personen breiten sich prekäre, unsichere Beschäftigungsverhältnisse weiter aus. Frauen sind hiervon überproportional betroffen, ebenso junge Lohnabhängige. Während die Vollzeitbeschäftigten dem Nationalen Institut für Statistik (INE) zufolge im Mittelwert noch auf einen Stundenlohn von 14,90 Euro kommen, sind es bei den prekären Teilzeitbeschäftigten nur 9,80 Euro brutto. Einer von vier Jugendlichen, die Arbeit haben, lebt an der Armutsgrenze. Viele wohnen deshalb länger als geplant bei ihren Eltern.
Über 13,3 Millionen Menschen in Spanien, 28,6 Prozent der Bevölkerung, leben unter der Armutsgrenze, die bei einem Monatseinkommen von 667 Euro liegt. Darunter sind viele Familien, in denen es Arbeitslose gibt – aber auch Geringverdienende: Der Anteil der trotz Lohnarbeit Armen ist innerhalb der vergangenen drei Jahre von 11,7 auf 14,8 Prozent gestiegen. Dies liege an der schlechten Qualität der Arbeit, sagte Carlos Susías, der Vorsitzende der spanischen Sektion des Europäischen Netzwerks gegen Armut (European Anti-Poverty Network, EAPN), bei der Vorstellung dieser Zahlen im Oktober der Agentur EFE. Über ein Drittel aller Jugendlichen lebe unter der Armutsgrenze, ebenso die Hälfte aller Alleinerziehenden. Die höchste Armutsquote gebe es unter den von außerhalb der EU Eingewanderten, sie liege bei 63,9 Prozent. Demgegenüber habe, so Susías, der Reichtum zugenommen, zehn Prozent der Bevölkerung verfügten über ein Viertel des gesamten privaten Besitzes.
Gelegentlich entsteht durch ein besonderes Einzelschicksal größeres mediales Interesse für die Verelendung, etwa als vor zwei Jahren Jeaneth Beltrán starb. Die junge Frau aus Nicaragua hatte ohne Papiere als Hausangestellte gearbeitet. Aus Angst vor der Abschiebung und dem Verlust des Arbeitsplatzes ging sie nicht ins Krankenhaus und starb mit gerade einmal 30 Jahren an einer heilbaren Krankheit. Dem Gesundheitsgesetz 16/2012 zufolge hätte sie im Krankenhaus auch nicht behandelt werden dürfen. Die konservative Parlamentsmehrheit hatte darin 2012 beschlossen, dass Menschen ohne ­gültigen Aufenthaltsstatus von staatlichen Krankenhausleistungen ausgeschlossen sind.
Die Sparpolitik im staatlichen Gesundheitssystem wird weitergehen, ebenso in der Bildung und der gesamten Daseinsfürsorge. Denn obwohl der PSOE angekündigt hat, im Parlament in Opposition zum PP zu gehen, handelt die Partei nicht entsprechend. Mitte Dezember beschloss das spanische Parlament mit den Stimmen von PP und PSOE eine Ausgabendeckelung. Die Obergrenze für Ausgaben betrifft ausnahmslos alle Haushaltsposten – die Austeritätspolitik geht also weiter, mit Billigung der größten Oppositionspartei. »Es hat sich eine große Koalition gebildet, um alle Kürzungen zu konsolidieren«, sagte Alberto Montero von der linksalternativen Oppositions­partei Podemos am Donnerstag vergangener Woche ernüchtert. »Der PSOE hält Händchen mit dem PP.«