Die islamistische Szene in Hamburg wächst

Koran, Digga!

In Hamburg wächst die islamistische Szene immer weiter. Die Islamisten versuchen auch kurdischstämmige Muslime und Flüchtlinge zu rekrutieren.

Missonierung und Rekrutierungsversuche, Morddrohungen, Brandsätze – die Entwicklung des islamistischen Mileus in Hamburg wird immer beun­ruhigender. Seit Ende April stehen in der Hansestadt zwölf Salafisten im ­Alter zwischen 24 und 36 Jahren vor Gericht. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, die im Juli 2012 bundesweit verbotene salafistische Vereinigung »Millatu Ibrahim« unter dem Namen »Die wahre Religion« fortgeführt zu haben. »Trotz des Verbots soll sich der 32jährige deutsche Angeklagte L. weiterhin in verantwortlicher Position betätigt und dadurch den organisato­rischen Zusammenhalt der Vereinigung als Rädelsführer aufrechterhalten ­haben«, so die Staatsanwaltschaft. Anfang Mai 2013 sollen vier der Angeklagten eine Moschee in Lübeck gestürmt und dort Muslime mit dem Tod bedroht haben, die sich geweigert hatten, sich der Gruppe anzuschließen.

Zur Finanzierung ihrer Aktivitäten sollen die Salafisten von einer Baustelle in Hamburg 2 000 Kilogramm Kupfer gestohlen haben. Einzelnen Mitgliedern sollen sie zur Ausreise nach Syrien verholfen haben, um sich dort jihadistischen Gruppen anzuschließen. Cansu Özdemir, eine von zwei Vorsitzenden der Linkspartei-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, sagte im Gespräch mit der Jungle World, die Vereinigung »Millatu Ibrahim« sei, wie auch ihre Nachfolgeorganisation, ein »organisatorischer Kristallisationspunkt der salafistischen Szene« gewesen. Einige Mitglieder hätten sich ganz konkret auf den Jihad vorbereitet, so Özdemir.

Eine neue Entwicklung sieht Özdemir in dem Versuch der sogenannten Furkan-Gemeinde, einer sunnitisch-türkischen Organisation, gezielt um kurdischstämmige Migranten zu werben.

Zunächst standen noch zwei weitere Männer unter Verdacht. Einer von ­ihnen sei jedoch in Syrien ums Leben gekommen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Der andere sei bereits in einem anderen Verfahren zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sein Verfahren sei eingestellt worden, weil das Strafmaß hier weitaus geringer ausgefallen wäre. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft wegen der Vorbereitung eines Anschlags gegen die Männer ermittelt. Da sich dieser Verdacht nicht erhärten ließ, drohen den Angeklagten nun lediglich Geldstrafen oder Freiheits­strafen von maximal bis zu fünf Jahren.

Ebenfalls Ende April begann in Hamburg der Prozess gegen vier junge Erwachsene, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, zwei Brandanschläge verübt zu haben. Zwei der Angeklagten sollen im Januar 2015 versucht haben, eine Schule anzuzünden. Alle vier sollen kurz darauf das Verlagsgebäude der Hamburger Morgenpost in Bahrenfeld mit Brandsätzen und Gullydeckeln angegriffen haben. Drei der Täter stritten zu Prozessbeginn eine islamistische Mo­tivation für die Anschläge ab. Der vierte, ein 22jähriger, gab an, die Taten begangen zu haben, weil er sich in seinen religiösen Gefühlen verletzt gefühlt habe. Wenige Tage nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 hatten Schüler Mohammed-Karikaturen in der Schule aufgehängt; die Hamburger Morgenpost hatte die Karikaturen unter der Schlagzeile »So viel Freiheit muss sein« veröffentlicht.

Den Ermittlungen der Behörden zufolge hatten sich die Täter in einem Chat verabredet und beschlossen, Molotowcocktails in das Schulgebäude zu werfen: »Digga, lass uns kaputthauen. Wir machen richtig Randale« und »Wir fackeln die Bude ab!«, habe es dort ­geheißen. Ein weiterer Chat-Teilnehmer habe die Hamburger Morgenpost als Ziel vorgeschlagen: »Mopo abfackeln!«, woraufhin andere geantwortet hätten: »Bin dabei«, und: »Mopo wird sowieso auseinandergenommen«.

Im Fall der Schule zündeten die Brandsätze nicht, im Verlagsgebäude der Morgenpost geriet in der folgenden Nacht ein Archivraum in Brand. An dem Anschlag auf das Verlagsgebäude seien »zehn bis zwölf Leute« beteiligt gewesen: »Ich habe mehr als sechs Mollis gebaut, dafür musste ich keinen werfen«, sagte einer der An­geklagten. Wer keine Brandflasche in die Hand bekommen habe, habe Steine oder einen Gullydeckel in das Kellerfenster geworfen. Als Drahtzieher bezichtigten alle Angeklagten einen 17jährigen aus dem Stadtteil St. Pauli. »Bilal«, so sein Kampfname, hatte sich kurz nach diesen Anschlägen dem »Islamischen Staat« (IS) angeschlossen und war 2015 in Syrien ums Leben gekommen.

Nach Angaben des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) wuchs die islamistische Szene in den vergangenen Monaten von 670 auf rund 730 Anhänger, die Zahl der gewaltbereiten Jihadisten stieg von 320 auf 360 an. Die größte Gruppe in dem Milieu stellt demnach die türkisch-islamistische Bewegung Milli Görüş, ihr werden in Hamburg rund 200 Personen zugerechnet.

Die zweitgrößte Gruppe ist mit rund 120 Anhängern die panislamis­tische Hizb ut-Tahrir. Sie wurde zwar 2003 vom Bundesinnenministerium verboten, ist allerdings nach Angaben des LfV auch in Hamburg weiter aktiv. Nach Einschätzung von Cansu Özdemir wird Hizb ut-Tahrir von den Sicher­heits­behörden unterschätzt – weil sie sich vom IS und al-Qaida distanziert. Nach Erkenntnissen Özdemirs sind einzelne Mitglieder dieser Organisa­tion nach Syrien und in den Irak ausgereist.

Die Strategien der salafistischen ­Organisationen unterscheiden sich letztlich nur unwesentlich. Bei fast ­allen Gruppen sei zu beobachten, so Özdemir, dass Moscheevereine unterwandert würden und dass durch die Präsentation weiblicher Mitglieder in der Öffentlichkeit ein falsches Bild erzeugt werde, während der harte Kern der Organisation sich in den Schutz von Privatwohnungen zurückziehe, um möglichen Ermittlungen zu entgehen. Altbekannte Strategien, wie die Ver­teilung des Koran, wurden nach dem Verbot der organisierenden Gruppe in leicht veränderter Form weitergeführt. So stehen in Hamburg erneut junge Männer in weißen Gewändern in den Einkaufsstraßen und verteilen eine »Biographie« des Propheten Mohammed. Die Kampagne nennt sich »We love Muhammad« und ist auch in anderen Bundesländern aktiv. Dahinter steht der salafistische Prediger Pierre Vogel.

Eine neue Entwicklung sieht Özdemir in dem Versuch der sogenannten Furkan-Gemeinde, einer sunnitisch-türkischen Organisation, gezielt um kurdischstämmige Migranten zu werben. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz stuft die Organisation als »islamistisch« ein. Die Rekrutierungsversuche in Flüchtlingsheimen hingegen seien nach Informationen Özdemirs eingestellt worden, nachdem diese Bestrebungen öffentlich gemacht worden waren. Die salafistischen Anwerber seien auf die Moscheen, in die zahlreiche Flüchtlinge gehen, ausge­wichen.