Sapiosexuelle finden Intelligenz sexy

Fick mein Gehirn

Intelligenz ist sexy. Nicht zuletzt über das Datingportal OkCupid ist der Begriff Sapiosexualität zum Modewort geworden. Inzwischen liegt er auch hierzulande angeblich »voll im Trend«.

Was ist eigentlich aus den guten alten inneren Werten geworden, wenn immer mehr Menschen heute bei der Partnersuche auf den Neologismus »sapiosexuell« zurückgreifen, um sich selbst eine besondere sexuelle Orientierung zuzuschreiben? Der im Deutschen erst seit wenigen Jahren gebräuchliche Begriff soll aussagen, dass die Intelligenz des Gegenübers entscheidend bei der Partnerwahl sei. Während sich der Homo sapiens, der vernünftige Mensch, als Begriff noch auf alle Menschen bezieht, geht es dem Sapiosexuellen um die ausnehmende Intelligenz, das beträchtliche Wissen. Dass Äußerlichkeiten allein oder überhaupt für viele Menschen nicht ausschlaggebend sind bei der Wahl ihrer Lebensabschnitts- oder auch lediglich Sexualpartner und -partnerinnen, ist bekanntlich nichts Neues. Schon immer gab es nicht nur in Kontaktanzeigen den Wunsch nach Humor, Empathie, Aufrichtigkeit, gemeinsamen Interessen, spannenden Gesprächen – das Übliche im Individuellen eben. Dass dafür auch eine ähnliche Bildung, Erfahrung oder Klugheit hilfreich ist, sollte nicht überraschen. Die Sapiosexualität suspendiert derlei Werte und Neigungen allerdings zugunsten eines Fokus auf Intelligenz. Zumindest mit einem Augenzwinkern lässt sich daher behaupten, hierbei handele es sich um »eine besonders toxische Form von Ableismus« (Bernhard Pirkl).

Sapiosexualität entspricht dem Zeitgeist und seinem Augenmerk auf Messbarkeit und Zweckdienlichkeit.

Sie entspricht durchaus dem Zeitgeist und seinem Augenmerk auf Messbarkeit und Zweckdienlichkeit. Als Kriterium für Intelligenz und generell berufliche Eignung hat sich der IQ-Test durchgesetzt. So forderte der Wissenschaftsredakteur Christian Weber kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, der Zugang zum Gymnasium – und damit indirekt auch der Hochschulzugang – solle doch besser durch IQ-Tests erworben werden. Dies begründet er mit vagen Biologismen und stellt bemerkenswerterweise dabei selbst fest, dass IQ-Tests primär auf Logik und räumliches Denken abzielen, ohne aber anzumerken, dass gerade dies häufig an den Tests kritisiert werd. Ein weiterer gewichtiger Einwand fußt darauf, dass Aspekte wie Kreativität und Sozialkompetenz gar nicht durch derlei Objektivierung von Intelligenz erfasst werden können. So fragt man sich mit Blick auf diesen Meinungsartikel vor allem, über was für ein Wissenschaftsverständnis der Autor verfügen muss, dass er den Zugang zu einem Studium – in welchem Fach auch immer – pauschal ein paar messbaren Talenten unterordnen möchte. Im Übrigen sei an dieser Stelle die These aufgestellt, dass selbst in den empirischen Naturwissenschaften für viele der bedeutenden Erkenntnisse auch ein gehöriges Maß an kreativem Denken und Kooperation vonnöten war und ist.

Eine andere Blüte, die solche IQ-Tests getrieben haben, ist das »Netzwerk für Hochbegabte« Mensa e. V., in das nur eintreten darf, wer einen IQ von mehr als 130 vorweisen kann; dies sind etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Die Mitglieder tauschen sich allerdings nicht nur über räumliches und logisches Denken aus, sondern beschäftigen sich überdies mit gesellschaftlichen Fragen. Der deutsche Zweig des Vereins vergibt seit 2004 den Deutschen IQ-Preis »für intelligente Ideen (…), die dem Wohl der Allgemeinheit oder der Förderung oder Erforschung der menschlichen Intelligenz dienen«. So bekam 2015 in der Kategorie »Intelligente Vermittlung von Wissen« ein besonders cleverer Vordenker den Preis verliehen, nämlich der Verschwörungsideologe Daniele Ganser – ein »kritischer Mahner«, der »die breite Öffentlichkeit dazu anregt, die Welt um sich herum zu hinterfragen«, schreibt Mensa e. V. in der Begründung. Gansers Doktorarbeit über Gladio und andere Stay-behind-Organisationen der NATO erschien 2005 noch bei Routledge. Ein Jahr später war er bereits Stammautor im Kai-Homilius-Verlag, in dem neben weiteren wahrheitsverkündenden Pamphleten auch die Compact-Buchreihe Jürgen Elsässers erscheint. Ganser sieht bei Terrorakten und Kriegshandlungen – sei es 9/11, der Absturz der MH17 oder der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo – schnell und gerne Geheimoperationen unter falscher Flagge am Werk und verkauft mit seinen nachdenklichen Fragen kräftig Bücher. Es handelt sich also schlichtweg um eine etwas intelligentere Variante von Ken Jebsen; offenbar intelligent genug, dass ihn der Intelligenzverein Mensa für preiswürdig hält.

Als der Hype um sapiosexuelles Begehren aufkam, wurde auch der Pressesprecher von Mensa zum Thema interviewt. Im Gespräch mit der Tageszeitung Die Welt beklagte er sich darüber, auf seine Intelligenz reduziert zu werden. Insbesondere die gezielte Suche nach einem intelligenteren Gegenüber irritierte ihn: »Wo besteht da der Reiz? Das klingt für mich eher wie ein Sub-Dom-Fetisch, dass eine solche Person sich unterlegen fühlen möchte.« Tatsächlich verwundert es, wenn der Sapiosexualität – als einer neuen sexuellen Orientierung – bisweilen sogar ein emanzipatorischer Wert zugesprochen wird. Vielmehr erinnert zumindest bei heterosexuellen Frauen die Suche nach einem möglichst intelligenten Partner an biologistische und traditionelle Muster, nach denen der Mann ein vielversprechender Ernährer sein sollte, was durch eine größere Intelligenz garantiert erscheint. Dies ist evolutionspsychologisch sicher erklär- und nachvollziehbar, emanzipatorisch im Sinne einer egalitären Gesellschaft ist es allerdings mitnichten. Dass wiederum bei Männern im Großen und Ganzen bisweilen Vorbehalte gegenüber klügeren Frauen bestehen, ist ein zwar verwandtes Phänomen – und Problem –, aber eines, dem die Kritik der Sapiosexualität hier nicht gerecht werden kann.

Mit Max Horkheimer lässt sich die positivistische Haltung von Sapiosexuellen und Freunden von IQ-Tests auch als »instrumentelle Vernunft« betrachten. Einerseits werden hier Unterschiede zwischen den Menschen überhöht, andererseits zielt die Instrumentalisierung von Natur auf reine Zweckrationalität ab und auf eine »Formalisierung der Vernunft«. Für Horkheimer sollte das Humane dagegen in einer Vernunft bestehen, die zwischen den Zwängen der Natur und ihrer technisch-materialistischen Beherrschung kritisch vermittelt und diesen Antagonismus zugunsten einer Befreiung des Menschen von gesellschaftlichen und naturhaften Zwängen versöhnt. Ein solcher freier Mensch ließe sich nur schwerlich zweckorientierten Intelligenzbegriffen unterordnen.

Was empirische Untersuchungen indessen tatsächlich belegen, ist, dass Wertvorstellungen und Charaktereigenschaften eine beachtliche Bedeutung dafür besitzen, ob jemand als attraktiv wahrgenommen wird. Das wird auch als halo effect bezeichnet. Das Gegenüber entwickelt durch seine Persönlichkeit eine Art unsichtbare Aura in den Augen der Betrachterin respektive des Betrachters. Es bleibt letztlich zu hoffen, dass sich diese individuelle Austrahlung, dieser eigentümliche Glanz, nicht nur aus der – vermeintlichen – Intelligenz der Person speist.