Small Talk mit Baki Selçuk, Sprecher des Solidaritätskreises für die in der Türkei inhaftierte Meşale Tolu

»Gesetze gelten nicht«

Small Talk Von Markus Ströhlein

Die Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu befindet sich seit dem 30. April in Istanbul in Untersuchungshaft. In der vergangenen Woche hat die türkische Staatsanwaltschaft offiziell Anklage gegen die deutsche Staatsbürgerin erhoben. Baki Selçuk, Sprecher des Solidaritätskreises für Meşale Tolu, hat mit der Jungle World gesprochen.

STEs ist weiterhin nicht bekannt, was Frau Tolu überhaupt vorgeworfen wird. Gibt es Aussichten darauf, es zu erfahren?
Die Staatsanwaltschaft hat die Anklageschrift verfasst und an das Gericht weitergeleitet. Dieses hat aber noch nicht bekanntgegeben, ob es die Anklage offiziell annimmt. Wenn das geschehen ist, kann das Gericht Einsicht gewähren. Bislang konnten die Anwälte noch keine Akteneinsicht nehmen. Deshalb wissen wir nicht, was Frau Tolu vorgeworfen wird.

Haben Sie eine Vermutung?
Bisher sind Zehntausende Menschen verhaftet worden. Täglich werden Dutzende oder sogar Hunderte mehr verhaftet. Allen wird vorgeworfen, Mitglied in einer terroristischen Organisation zu sein oder Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben. Es würde mich nicht wundern, wenn das bei Frau Tolu auch der Fall ist. Schon während der Festnahme wurde ihr unterstellt, sie betreibe mit ihrer journalistischen Arbeit Propaganda für den Terrorismus.

Frau Tolu befindet sich mit ihrem zweijährigen Sohn im Gefängnis. Wie sind die Haftbedingungen?
Sie darf Besuch empfangen, ihre Familie kommt einmal in der Woche vorbei. Hafterleichterungen wegen ihres kleinen Kindes gibt es allerdings nicht. Es werden sogar Einschränkungen vorgenommen, die mit dem Ausnahmezustand begründet werden. Die Familienangehörigen konnten zunächst beispielsweise schmutzige Wäsche mitnehmen und in der folgenden Woche gewaschen wieder mitbringen. Vor kurzem wurde jedoch eingeführt, dass nur noch neue Kleidungsstücke mit Etiketten in bestimmten Farben übergeben werden dürfen. Auch der Bedarf für das Kleinkind ist nicht als Mitbringsel zugelassen. Frau Tolus Sohn hat nur einen Ball zum Spielen. Weitere Spielzeuge dürfen nicht mitgebracht werden.

Wie wird das begründet?
Mit dem Ausnahmezustand. Man kann sich deshalb nicht auf irgendwelche Gesetze berufen. Gesetze gelten nicht.

Frau Tolus Mann, Suat Çorlu, befindet sich ebenfalls in Haft. Wie steht es in seinem Fall?
Er wurde am 5. April verhaftet, drei Wochen vor seiner Frau und kurz vor dem Referendum. Er hat seine Ablehnung dieses Regimes sehr deutlich geäußert. Wie viele andere Menschen wurde er deshalb verhaftet. Sein Fall wird von derselben Staatsanwaltschaft bearbeitet wie derjenige seiner Frau. Auch gegen ihn liegt mittlerweile eine Anklageschrift vor. Wir haben aber auch hier keine weiteren Informationen.

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung für Frau Tolu ergriffen?
Mitarbeiter des deutschen Konsulats in Istanbul haben Frau Tolu bisher zweimal besucht. Während des Besuchs haben sie angekündigt, mit der Gefängnisleitung zu sprechen, um Hafterleichterungen zu bewirken. An der Lage für Frau Tolu und ihr Kind hat sich jedoch nichts geändert. Die Bundesregierung sagt, sie bringe bei jeder Gelegenheit zur Sprache, dass Frau Tolu einen fairen Prozess bekommen müsse. Aber von einem faschistischen Regime ist wohl kaum zu erwarten, dass ein fairer Prozess stattfindet.

Gibt es Möglichkeiten, Frau Tolu aus Deutschland Hilfe zukommen zu lassen?
Sie hat schon einige Briefe bekommen. Wahrscheinlich nicht alle, die ihr geschickt wurden, weil sie von einer Kontrollkommission gelesen und manchmal nicht weitergegeben werden. Man kann ihr auf jeden Fall Briefe schreiben, das tut ihr gut und gibt ihr Kraft, alles durchzustehen. Sie freut sich über die Unterstützung aus Deutschland. Es ist eben gut zu wissen, dass man nicht allein ist.