Die Krise der britischen Konservativen

Streit unter Zombies

Bei den britischen Konservativen finden interne Machtkämpfe statt. Wie lange Theresa May Parteiführerin und Premierministerin bleiben kann, ist unklar.

Eine Träne habe sie vergossen, als sie in der Wahlnacht Anfang Juni davon hörte, dass die Konservative Partei ihre Mehrheit im Parlament verloren habe, sagte die britische Premierministerin Theresa May. Die Neuwahlen hatte May überraschend und entgegen früheren Ankündigungen angesetzt in der Hoffnung, eine deutliche Mehrheit zu gewinnen. Im Wahlkampf hatte May sich selbst in den Vordergrund gestellt. Die Wählerinnen und Wähler lernten die Premierministerin besser kennen und entschieden sich gegen sie – mit dem Ergebnis, dass die Tories im Parlament nun auf die Stimmen der rechtskonservativen nordirischen Democratic Unionist Party angewiesen sind.

Zwar bleibt May weiterhin Premierministerin, doch die Wahlniederlage hat die Konservative Partei so zersplittert, dass sie sich selbst zum Feind werden könnte. Mays Führung wird von vielen konservativen Ministern in Frage gestellt. Offen ist nicht mehr ob, sondern wann sie zurücktritt. Kommt sie möglicherweise in ihrem Sommerurlaub zu der Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, weiter die Regierung zu führen?

Ein Rücktritt Mays bärge allerdings Risiken. Neuwahlen mit einem noch schlechteren Ergebnis für die Tories könnten die Folge sein, überdies kann man vom restlichen, eher für Intrigen gegeneinander als konstruktive Politik bekannten Spitzenpersonal der Partei nicht unbedingt eine erfolgreichere Partei- und Regierungsführung erwarten. So herrscht auch an der Partei­basis der Tories keine Einigkeit.

Einer repräsentativen Umfrage zufolge genießt unter den Parteimitgliedern David Davis, der für die Verhandlungen mit der EU zuständigen Minister, die größte Unterstützung als Nachfolger Mays. Die Umfrage, die vom Economic and Social Research Council finanziert und vom Party Members Project durchgeführt wurde – einem Forschungsprojekt, das die Mitgliedschaft von sechs britischen Parteien erforscht –, ergab, dass 21 Prozent David Davis und 17 Prozent Boris Johnson unterstützen. Die 30 Namen für poten­tielle Nachfolgerinnen und Nachfolger von Theresa May, die von Befragten genannt wurden, stehen für sehr unterschiedliche Positionen. Knapp sechs Prozent etwa nannten Jacob Rees-Mogg als Wunschkandidaten. Dieser ist ein traditionalistischer Europa-Feind, der in seinen streng konservativen Äußerungen gerne auf Latein zurückgreift. 26 Prozent der Befragten gaben allerdings an, dass sie keinen der vorgeschlagenen Kandidaten unterstützen. Dies wird teilweise so interpretiert, dass ein bisher unbekannter Politiker die besten Chancen hätte, wohl weil er noch keine Gelegenheit hatte, sich zu blamieren. »Konservative Partei sucht Traumkandidaten für Parteivorsitz«, titelte der Guardian.

Einer anderen Umfrage zufolge wünschen sich allerdings 71 Prozent der Parteimitglieder, dass Theresa May im Amt bleibt. Intrigiert wird vor allem in Apparat und Führung der Partei, nicht selten anonym. So beruft sich der Sunday Telegraph auf »führende Stimmen« der Tories gegen May. Der Vorsitzende eines Ortsverbandes der konservativen Partei forderte May etwa dazu auf, bis Weihnachten zurückzutreten, 15 konservative Abgeordnete sollen ihr das Misstrauen ausgesprochen haben.

Aus der Sicht der Kritiker, zu denen auch Kabinettsmitglieder gehören, hat May nach der Wahl so viel Autorität verloren, dass die EU-Austrittsverhandlungen gefährdet sind. Andere Regierungsmitglieder sind allerdings so erbost über das, was als Postengerangel empfunden wird, dass sie May aufforderten, untreue Minister zu entlassen. Die Premierministerin forderte ihr Kabinett dazu auf, Zusammenhalt zu zeigen und bestimmte Diskussionen nicht in der Öffentlichkeit zu führen.

Ob Davis, der schwerlich ein gutes Ergebnis bei den Verhandlungen mit der EU erzielen kann, oder der für ­seinen erratischen Stil berüchtigte Johnson das Amt besser ausfüllen würde als May, ist fraglich. Doch die auch innerparteilich umstrittene ­Premierministerin, die eine fragile Koalition mit knapper Mehrheit führt, hat keine starke Position gegenüber der EU.

Mays Versuch, mit den Oppositionsparteien in einen Dialog zu treten, traf auf taube Ohren. Dass sie eine Neuwahl absichtlich zu einem Zeitpunkt ansetzte, der für die in einer Führungskrise steckende Labour-Partei ungünstig erschien, wurde als Affront empfunden. Die Bereitschaft, jetzt mit May zusammenzuarbeiten, ist daher gering. »Frau May führt eine Zombie-Regierung ohne Ideen, Antworten, und Führungspotential«, sagte der Vorsitzende der Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Ohne signifikante Änderungen werde seine Partei dem Gesetz zum Austritt der EU nicht zustimmen. In zwei Punkten musste die Regierung bereits nachgeben, da sie sonst keine Mehrheit im Parlament gefunden hätte: bei der Finanzierung von Abtreibungen in Nordirland und bei der Einberufung eines Untersuchungsausschusses zum Skandal um kontaminierte Blutspenden im öffentlichen Gesundheitssystem.