Die russische Performance-Künstlerin Jekaterina Nenaschewa trug am falschen Ort eine Virtual-Reality-Brille

Virtuell verboten

Porträt Von Julia Hoffmann

porträtEs ist bekannt, dass der Spielraum für Proteste in Russland nicht sehr groß ist und Festnahmen schnell erfolgen. Hin und wieder mit einer originellen Begründung. Die russische Performancekünstlerin Jekaterina Nenaschewa wurde Ende Juni in Moskau verhaftet, nachdem sie sich geweigert hatte, ein Virtual-Reality-Headset abzusetzen. Im Rahmen ihres Kunstprojekts »Between Here and There« zeigte sich Nenaschewa mit einer VR-Brille auf öffentlichen Plätzen in Moskau. Unter dem Headset sieht die Künstlerin 360-Grad-Fotografien, die das Leben der Patientinnen und Patienten in russischen psychiatrischen Anstalten dokumentieren. Mit der Performance wollte Nenaschewa auf die schlechten Bedingungen in diesen psychiatrischen Einrichtungen aufmerksam machen und prinzipiell auf politische Missstände in Russland hinweisen.

Dem Fernsehsender Euronews zufolge wurde Nenaschewa Ende Juni direkt vor den Mauern des Kreml festgenommen. »Es ist streng verboten, auf öffentlichen Plätzen in der Virtual Reality zu sein. Das hier ist die wirkliche Welt«, soll ein Polizeibeamter zu ihr gesagt haben. Die Künstlerin berichtet auf ihrer Facebook-Seite, dass sie nach der Festnahme selbst in eine psychiatrische Einrichtung gebracht und von Ärzten zu ihrem Kunstprojekt befragt worden sei: »Sind sie in der Realität? In jener oder in dieser? Denken Sie, es ist in Ordnung, soziale Normen zu brechen?« Dissidenten wurden in der Sowjetunion oft für psychisch krank erklärt – wer sich dort nicht wohlfühlte, konnte ja nicht normal sein. Die Ärzte wollten aber offenbar nicht an diese Tradition anknüpfen und entließen Nenaschewa kurze Zeit später wieder.

Bereits im Jahr 2015 war sie gemeinsam mit Nadja Tolokonnikowa, einem Mitglied von Pussy Riot, in Moskau während einer Performance festgenommen worden. Damals ging es um die Rechte weiblicher Strafgefangener in Russland. Mit Kunst zu protestieren, hat in Russland Tradition. Doch jüngst häufen sich auch andere landesweite Proteste, 662 waren es im ersten Halbjahr 2017. Jugendliche demonstrieren gegen die grassierende Korruption, Moskauer Mieter erheben sich gegen den Abriss ihrer Häuser, LKW-Fahrer begehren gegen die Maut auf, Bedürf­tige protestieren gegen Kürzung von Sozialleistungen, Arbeiter streiken, weil sie nicht bezahlt werden.