Die Zeichnungen Peter Handkes

Aus dem Kugelschreibergebiet

Die Galerie Klaus Gerrit Friese in Berlin stellt Zeichnungen von Peter Handke aus.

1982 veröffentlichte Peter Handke unter dem Titel »Die Geschichte des Bleistifts« ein Journal mit Notizen, Reflexionen und Prosaphantasien, die im Zeitraum von 1976 bis 1980 entstanden waren. Es war dies die Zeit einer ästhetischen Neuorientierung, die Liebhaber des früheren vermeintlichen Revoluzzers Handke gern als dessen Hinwendung zur literarischen Restauration abqualifizieren. In ­jenen Jahren entstanden die Werke »Langsame Heimkehr« (1979) und »Die Lehre der Sainte-Victoire« (1980), in denen Handke Abschied von seinen am Nouveau Roman geschulten Prosaexperimenten nahm und sich mit der Tradition des Bildungsromans auseinanderzusetzen begann. Neben Goethe trat der von der literarischen Moderne als toter Hund an­gesehene Adalbert Stifter in den Mittelpunkt von Handkes Aufmerksamkeit. Zugleich gewannen, befördert durch Handkes Interesse an der Malerei Paul Cézannes, Einflüsse der bildenden Kunst an Bedeutung. In dieser Zeit entwickelte Handke seine Poetologie ruhiger, eindringlicher Anschauung, die oft als Form der Wirklichkeitsflucht beurteilt wird, aber eher als Versuch zu werten ist, eine Sprache zu finden, die der Wirklichkeit widersteht, statt sie in der ­eigenen Form zu verdoppeln.

Für dieses Sprachverständnis signifikant ist die Hinwendung zu ­Malerei und Zeichnung. Der Bleistift, der 1982 zur Titelfigur von Handkes Notaten avancierte, diente ihm schon in den frühen Achtzigern nicht nur zum Niederschreiben seiner Texte, sondern auch zum Zeichnen nach der Natur – auch darin an Goethe und Stifter anknüpfend, die beide neben ihrer literarischen Arbeit zeichneten und malten. Während in Handkes früher Prosa, in der Tradition von Alain Robbe-Grillet und Nathalie Sarraute, die äußere Wirklichkeit durch übergenaue Beschreibung, gleichsam durch groteske Feinjustierung des abschildernden Blicks, ihre Kohärenz verliert und ins Monströse ­verzerrt wird, diente Handkes neuer Rückgriff auf die bildende Kunst der Schulung eines anteilnehmenden, aber detachierten Blicks, der der Wirklichkeit gerecht wird, statt sie zu bemeistern. Zugleich ist Handkes Selbstverständnis als zeichnender Dichter keineswegs archaisch. ­Wichtiger als der Bleistift wurden für ihn die Utensilien Kugelschreiber und Filzstift, und seine Zeichnungen, fast immer verflochten mit handschriftlichen Notizen oder Kommentaren, verlieren nie den Charakter der Kritzelei, bleiben präzise und unpathetisch zugleich.

Handkes Zeichnungen erinnern in ihrer Genauigkeit an die Textmikrogramme Robert Walsers, die nach jahrelanger Entzifferungsarbeit unter dem Titel »Aus dem Bleistiftgebiet« erschienen sind.

Handkes sämtliche Zeichnungen aus der Zeit zwischen 2007 und 2017 zeigt bis zum 2. September die Galerie Klaus Gerrit Friese in Berlin-Charlottenburg. Die Zeichnungen hat Handke aus seinen Notizbüchern, denen sie entstammen, herausgeschnitten und auf DIN-A-4-Bögen geklebt. Die hervorragend kuratierte Schau reiht diese Bögen an kahlen Wänden aneinander. Die hohen, ­leeren Räume und das leuchtende Weiß der Wände ermöglichen die Konzentration aufs Detail und widersprechen durch die evozierte Sachlichkeit dem Klischee von Handke als romantischem Hinterwäldler. Handkes Zeichnungen erinnern in ihrer Konvergenz von Winzigkeit und Genauigkeit an die Textmikrogramme Robert Walsers, die nach jahrelanger Entzifferungsarbeit unter dem Titel »Aus dem Bleistift­gebiet« erschienen sind. Bei Handke aber dominiert der Kugelschreiber, die punktuell eingesetzten Farben treten in Reinheit und Helligkeit hervor, ohne die Zeichnungen zu beherrschen. Die handschriftlichen Titel geben meist Ort oder Zeit der ­Entstehung an. Ein in ein Manuskript hineingezeichneter toter Igel trägt die Unterzeile »Garten, Niemandsbucht«, die filigrane Zeichnung ­einer Vogelfeder vermerkt als Fund- oder Entstehungsort: »Picardie«.

Viele Zeichnungen erinnern in ihrer Feingliedrigkeit und in der Präzision der Benennung an Herbarien, wirken wie ästhetische Fundstücke eines Eindrücke sammelnden Spaziergängers. Gerade durch ihre Genauigkeit tendieren sie ins Abstrakte. Eine Zeichnung mit dem Titel »Raupen an Spinnenfäden vom toten Baum hängend« gemahnt an die mikroskopische Darstellung von Zellkulturen. Das bildnerische Element, die Zeichnung der Raupen, und das literarische, die Handschriftfragmente des Notizbuches, sind ineinander verflochten oder aufeinander bezogen. Eine »Schülerlesewettbewerb« untertitelte Zeichnung zeigt die mit grünem, rotem und lila ­Kugelschreiber und Filzstift gezeichneten Silhouetten zweier Schüler umgeben von Handkes eigener Handschrift, in deren Lücken sie hinein­gewachsen zu sein scheinen. In anderen Beispielen, so in einer kleinen Gruppe reliefhafter Zeichnungen der »Baumschattenwand«, umrahmen die in blauer oder grüner ­Kugelschreiberschrift geschriebenen Manuskriptfragmente die dunkel und monochrom gehaltenen Zeichnungen. Nur wenige Zeichnungen, vor allem von Seevögeln aus der »Niemandsbucht«, die stärker die Bewegung betonen, tendieren zur Karikatur. Obwohl fast alle Zeichnungen Farbelemente aufweisen, ist die Kolorierung zurückhaltend. Indem die zur Hauptsache gewordenen Zeichnungen weiterhin als Paratexte der ­literarischen Arbeit erkennbar sind, bleibt ihr Werkcharakter eingeklammert.

Die dezente, fast kommentarlose Präsentation der Zeichnungen ­verstärkt diesen Eindruck. Sie erinnert den Betrachter daran, dass Handke auch bei seinen literarischen Arbeiten seit Jahren darauf beharrt, dass in der Druckfassung der Text nicht vollständig die Buchseiten ­beherrscht, sondern sozusagen aus ihnen hervortritt, weshalb Handke-Bücher mehr Weißraum als sonst üblich freilassen. In Berlin erscheinen Handkes Zeichnungen als feinste Konturen, die aus dem übermächtigen Weiß der Wände hervortreten. Darin bringen sie zum Ausdruck, was auch seine Texte auszeichnet. Dem habitualisierten Alltagsblick mögen sie nichtig, fast wie nicht vorhanden erscheinen, doch in solchem Fast-Nichts lässt sich mehr unterscheiden als in der großformatigen Wirklichkeit. Dass, wer sie sich ansehen möchte, ins alte Westberlin fahren muss, ist nur folgerichtig. Was dort stattfindet, darum schert sich das hauptstädtische Kulturmilieu der Gegenwart so wenig wie um Handke selbst, der das Glück hat, dass sich nur noch diejenigen für ihn inter­essieren, die etwas mit ihm anfangen können.


Galerie Klaus Gerrit Friese, Meierottostraße 1, 10719 Berlin. Bis zum 2. September 2017, Dienstag bis Freitag, 11 bis 18 Uhr.