Von Monstern, Mythen und Musik: Das neue Album von Cold Specks

Mit der Königin gegen die Monster

Ladan Hussein alias Cold Specks, die kanadische Soul-Avantgardistin aus einer somalischen Familie, lässt auf ihrem neuen Album eine Matriarchin aus mythischer Zeit wiederauferstehen.

»Nachdem ich so lange frustriert und wütend gewesen war, entschloss ich mich, meine eigene Welt zu schaffen und mich darin zu verlieren. Das hat nicht lange angehalten – und ohnehin ist nichts je real.« Ladan Hussein muss kurz über ihre eigene Analyse lachen. Das passiert im Gespräch des Öfteren: Genau formulierten Beobachtungen über das eigene Schaffen folgt eine trockene Nachbemerkung, um am Ende doch nicht zu viel preiszugeben. Dabei ist Husseins neues, drittes Album »Fool’s Paradise« als ihr bisher persönlichstes angekündigt. Sehr auskunftsfreudig hingegen ist die unter dem Namen Cold Specks auftretende ­Kanadierin, wenn es um die Einflüsse geht, unter denen die Produktion entstand. Krisselige Youtube-Videos spielen hier genauso eine Rolle wie somalische Königinnen und orangefarbene Monster.

Um in diese Welt einzutauchen, ist es hilfreich, sich die Geschichte der Kunstfigur Cold Specks vor Augen zu führen. Ladan Hussein wuchs in ­Toronto als Kind somalischer Immigranten auf. Die Eltern betrieben ein Geschäft im Stadtteil Etobicoke, wo es sich »wirklich anfühlt, als wäre man in Somalia, nur eben innerhalb dieser kalten kanadischen Stadt«. Als Teenager war Hussein Fan der Strokes und wollte unbedingt in einer Rockband singen. Doch das stellte sich selbst in der Indie-Metropole Toronto als Ding der Unmöglichkeit heraus: »Wirklich niemand wollte mich als Jugendliche in einer Band haben. Ich bewarb mich online und in Foren und bekam Antworten wie: ›Okay, deine Stimme klingt gut, kannst du mal ein Foto schicken?‹ Dann waren sie schockiert: erstens, weil ich ein Mädchen war – meine Stimme war damals sehr tief –, und zweitens, weil ich Hijab trug. Die Antwort war dann immer so etwas wie: ›Oh, also, wir suchen eigentlich einen Sänger.‹ Aber was das wirklich hieß, war: ›Du passt nicht zum Look unserer Indierockband.‹«

»Während ich am Album schrieb, gab es all diese Diskussionen über Flüchtlinge und insbesondere Trumps Einreiseverbot, den muslim ban. Somalia stand auch auf seiner Liste. Ich suche also nach weiblichen Heldinnen und zugleich hält dieses orangefarbene Monster eine Rede in Minneapolis, einer Stadt mit einer wirklich großen somalischen Community«, Ladan Hussein alias Cold Specks

Nach vielen gescheiterten Annäherungsversuchen an Torontos white boys with guitars reichte es Hussein; sie zog nach London, wo ihre eigent­liche Karriere begann. Hier veröffentlichte sie unter den Pseudonymen Al Spx und Cold Specks Musik und erhielt die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihr in Kanada verwehrt geblieben war. Das Debüt »I Predict a Graceful Expulsion« erschien 2012 und sorgte mit seiner Mischung aus düsterem Folk, Soul und spirituellen Andeutungen mitunter für Verwirrung: »Es gab da ein paar Missverständnisse bei meinem ersten ­Album. Die Leute dachten, ich wäre Christin oder eine Gospelsängerin.« Zwei Jahre später folgte das Album »Neuroplasticity«, mit voller Band­besetzung aufgenommen, das Hussein auf der begleitenden Tour vor­übergehend die Stimme und einiges an Nerven kostete, wie sie erzählt: Zu laut, zu wuchtig und »zu wortreich« sei es.

Für »Fool’s Paradise« ist Hussein in mehrfacher Hinsicht an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt. Nach einer Zwischenstation in Montreal hat sie vorübergehend wieder bei den Eltern gewohnt und sich musikalisch wie textlich um Reduktion bemüht. Das Ergebnis ist ein sparsam instrumentiertes Neo-Soul-Album, dessen kühle Synthesizer-Instrumentierung Raum für Husseins Stimme lässt. Geplant hatten Hussein und ihr langjähriger musikalischer Partner Jim Anderson dieses Soundkonzept ­ursprünglich nicht: »Eigentlich waren diese Arrangements als Demos gedacht und es sollte später eine ganze Band dazukommen. Als der Titeltrack fertig war, merkte ich aber, dass ich diesen neuen Sound wirklich mochte. Seine Kargheit, das auf das Wesentliche Heruntergebrochene. Es war gut, den Fokus auf die Stimme und die Texturen zu legen. Vor allem beim zweiten Album musste ich mich noch hinter dieser Klangwand verstecken, diesmal war das nicht mehr nötig.«

 

Inspirierende weibliche Figuren und Relikte der somalischen Popkultur

Ein subtiler zweiter Grund für die Keyboardlastigkeit der Platte ist Husseins Wiederentdeckung des musikalischen Erbes ihrer Familie und ihrer zweiten Heimat. Spät erfuhr sie, dass ihr Vater in die Gründung der somalischen Band Iftin involviert gewesen war, und suchte obsessiv nach Aufnahmen: »Das ganze Vinyl ist im Krieg verloren gegangen. Solche Youtube-Videos, die Leute aus digitalisierten VHS-Kassetten erstellen, wurden zur einzigen Möglichkeit, sich diese Musik anzuhören. Es ist wirklich phantastisch: Wir in der Diaspora Aufgewachsenen, die nie in Somalia waren, können einen Teil der Kultur sehen, die vom Krieg so verändert wurde. Wir können sehen, woher unsere Eltern kamen, wie sie gelebt ­haben, wie sie eine gute Zeit hatten. Es gibt heute in Somalia keine Musikszene mehr, die Kultur ist anders. Ich empfinde viel Liebe und Respekt für sie, aber ich verstehe, dass sie sich geändert hat.«

Das Video zur ersten Single-Auskoppelung »Wild Card« zitiert einen Clip der Sängerin Fadumo Qasim und verweist direkt auf diese Zeitkapseln im VHS-Format. Mit Tüchern und Blumen dekoriert, erscheint die Figur Cold Specks hier als Popsängerin aus einer vergangenen Epoche, ohne dabei musikalisch retrospektiv zu klingen. Ob sie beim Schreiben des Albums versucht war, die intensive Beschäftigung mit der somalischen Popszene der achtziger Jahre auch strukturell deutlicher zu ­machen? »Nein, nie«, sagt Hussein, »ich hatte nie vor, etwas nachzu­ahmen. Es gibt da eine emotionale Zusammengehörigkeit, viel mehr als den Versuch einer exakten Reproduktion von Sounds. Die Inspiration ist aber auf jeden Fall gegeben.«

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Apropos Reproduktion: Es sind Bands wie Iftin, deren Neuauflagen auf Vinyl seit geraumer Zeit auch beim weißen urbanen Publikum in Nordamerika und Europa hoch gehandelt werden. »Ja, schwierig«, sagt Hussein dazu. »Einerseits wünsche ich mir natürlich, dass diese Musik gehört wird, andererseits ist dieser Mythos des weißen Retters von Kulturgut kompliziert. Da ist etwa dieses Label, das die somalischen Archive gekauft hat, um Compilations zu ­veröffentlichen. Ich denke, unsere Archive sollten nicht so einfach käuflich sein, und es wäre schön gewesen, wenn diese Musik von uns selbst herausgebracht worden wäre. Am Ende sehe ich aber weniger das Publikum in der Verantwortung als die Labels. Bezahlen sie die Musiker? Wer profitiert von diesen Platten?« In die anstehende Neuauflage alter ­Aufnahmen von Iftin hat sich Hussein konsequenterweise auch per­sönlich eingeschaltet: »Ich musste einfach sicherstellen, dass die ­richtigen Leute gefunden werden und ihre Vergütung bekommen.«

Die Suche nach Relikten der somalischen Popkultur hat sich auch auf die Texte des Albums ausgewirkt. Hussein war auf der Suche nach inspirierenden weiblichen Figuren – und zugleich änderte sich das politische Klima. »Während ich am Album schrieb, gab es all diese Diskussionen über Flüchtlinge und insbesondere Trumps Einreiseverbot, den muslim ban. Somalia stand auch auf seiner Liste. Ich suche also nach weiblichen Heldinnen und zugleich hält dieses orangefarbene Monster eine Rede in Minneapolis, einer Stadt mit einer wirklich großen somalischen Community. Ich erinnere mich daran, wie ich ihn über Somalis herziehen hörte und mir vorstellte, was Araweelo mit ihm gemacht ­hätte.« Hussein lacht auch hier kurz auf, nicht bitter, aber mit einem ­Anflug von Galgenhumor. Araweelo, die semimythische somalische Königin, die etwa im Jahr 1000 vor unserer Zeitrechnung geherrscht haben soll, ist die Inspiration für »Fool’s Paradise« geworden. »Wie jeder somalische Mensch kenne ich die Figur seit meiner Kindheit. Wenn früher eine Frau bei uns als stark oder dickköpfig wahrgenommen wurde, nannte man sie scherzhaft Araweelo. Für das Album habe ich mich mit ihrer Geschichte ausführlich befasst und auf meiner Suche nach einer kraftspendenden Frauenfigur erschien sie mir als die passendste.«

Ein religiöses Album ist »Fool’s Paradise« dennoch nicht, dafür bleibt Husseins Sprache zu abstrakt. War auch das eine bewusste Entscheidung? »Ich bin eine vage Texterin, die nicht zu viel hergeben mag. Das war früher anders«, sagt Hussein in Anspielung auf den Titel ihres Debüts. »Das war sicher etwas zu viel des Guten. Sim­pler ist manchmal besser. Ich analysiere einfach nicht mehr so viel.« Die Cold Specks attestierte Düsterkeit blieb dennoch erhalten. »Meine ­Lieblingsstelle auf dem Album lautet: Opened up like a torn-out eye. Ich finde, das ist ein schönes Bild.« Ist die Vorstellung nicht eher zum Schaudern? Sie lächelt wieder kurz und sagt: »Gut!«

Cold Specks: Fool’s Paradise (Arts & Crafts)