Der katalanische Separatismus ist weder links noch antinational

Verkürzte Katalanismuskritik

Der katalanische Separatismus fordert den spanischen Nationalismus heraus. Beide berufen sich auf Nation und Volk, der eine bezieht sich positiv auf postfranquistische Traditionen, der andere auf republikanische.

Der spanische Staat, von dem sich die katalanischen Separatisten abspalten wollen, ist repressiv. Nach dem Ende der Franco-Diktatur 1977 wurden Institutionen wie das Militär, die Guardia Civil und die Justiz nahezu unverändert in die Demokratie übernommenen, der Klerus behielt großen Einfluss. »Katalonien hat sich das Recht verdient, ein unabhängiger Staat zu sein«, sagte Carles Puigdemont in seiner Rede vor dem katalanischen Parlament am 10. Oktober. »Das Volk«, so Kataloniens Ministerpräsident, »hat bestimmt, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik sein soll.« Das Volk. Hat bestimmt.

Wer beim Referendum am 1. Oktober nicht zumindest versucht hat abzustimmen, gehört demnach nicht zum katalanischen Volk? Hier klingt eine ausgrenzende Vorstellung durch: Zum Volk gehört, wer sich für die Unabhängigkeit einsetzt. In vielen Herleitungen von Kataloniens Recht auf Selbstbestimmung ist die Rede von der jahrhundertelangen Unterdrückung der Katalanen. Wenn Puigdemont betont, dass »Katalane ist, wer hier lebt und arbeitet – und unser Land liebt«, so ist dies zwar eine klare Absage an eine rassistische Volksdefinition als Abstammungsgemeinschaft. Zugleich ist es eine Definition mit den Einschlusskriterien Arbeitswilligkeit und Patriotismus.

Puigdemont sieht das katalanische Volk als homogene Einheit mit gemeinsamem Willen, etwa wenn er sagt, die undemokratische Aussetzung des Autonomieabkommens für Katalonien 2010 durch den Verfassungsgerichtshof sei »eine Ohrfeige für das katalanische Volk«.

 

Es ist verständlich, aus dem postfranquistischen Spanien ausscheiden zu wollen

Romantisierung des katalanischen Unabhängigkeitsstrebens ist also nicht gerechtfertigt; stattdessen sollten Linke auf eine Umwälzung der Machtverhältnisse in ganz Spanien hinarbeiten. Nicht der Separatismus ist links, sondern der gesamtspanische Kampf gegen den zentralistischen spanischen Nationalismus. Oder wie es der Sprecher der linksalternativen Partei Podemos, Pablo Iglesias, ausdrückte: für den Bruch mit dem Regime von 1978!

Der Nationalismus wurde 1978 in der Verfassung festgeschrieben in Artikel 2: »Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier.« Sie ist ein Dokument der transición, des geordneten Übergangs der Franco-Diktatur in eine Demokratie plus König. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy vom Partido Popular (PP) beruft sich mit Inbrunst auf diese Verfassung, wenn er den Institutionen Kataloniens illegales Handeln vorwirft. Der postfranquistische Nationalstaat steht unter Rajoy nicht etwa für Aufklärung und Fortschritt, sondern besonders starr für Obrigkeit und Reaktion.

Eine Parteinahme für den spanischen Nationalismus, gegen katalanischen Separatismus ist wiederum weder antinational noch links, sondern reaktionär. Gleichwohl ist eine solche verkürzte Kritik unter sich ideologiekritisch verstehenden Linken angesagt, in Unkenntnis dessen, wofür der spanische, postfranquistische Nationalismus steht. Es ist verständlich, aus dem postfranquistischen Spanien ausscheiden zu wollen – was linksoppositionelle Menschen in allen Teilen Spaniens auch gerne möchten, seien es nun antispanische Linksradikale oder Opfer der Austeritätspolitik.

Die unantastbare nationale Verfassung wurde zwar zweimal geändert, zueletzt 2011 – aber dies geschah auf Drängen Angela Merkels und der deutschen Regierung, nicht irgendwelcher Katalanen: Im Eilverfahren wurde eine Obergrenze der staatlichen Neuverschuldung festgeschrieben – in Artikel 135, mit den Stimmen der Sozialdemokraten, der Konservativen und der meisten bürgerlichen Regionalparteien. Für die Austeritätspolitik war eine Verfassungsänderung möglich, für Föderalismus oder soziale Rechte nicht. Dagegen protestierte 2011 die Bewegung der Indignados, der Empörten. Die antideutsche Linke schwieg, wie sie auch sonst zum germanischen Austeritätsdiktat innerhalb der EU schwieg.

Eine moderne linke Subversion kann nicht mehr auf die Eroberung der Staatsmacht oder nationbuilding in einem abzuspaltenden Nationalterritorium abzielen, sondern nur noch auf die Zersetzung des Staates und des Kapitalverhältnisses.

Die antispanische wie die antiimperialistische Linke und die regionalen Separatisten gegen den postfranquistischen Status quo bemühen dagegen mit dem völkischen Selbstbestimmungsrecht der Völker das schlechteste aller verfügbaren Argumente. Aber die Kritik an den Grundrechtsverletzungen und der postfranquistischen Selbstherrlichkeit der konservativen Regierung und des von ihr gelenkten Justizapparats ist dennoch richtig. Bei der Unterdrückung des Referendums über die Gründung einer Republik Katalonien und die Abspaltung von Spanien wurden eine Reihe von Grundrechten eingeschränkt: die Informationsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, das Wahlrecht. Und so ist es ermutigend, dass es eine breite Solidarität aus den linksalternativen Parteien rund um Podemos und die postkommunistische Izquierda Unida gibt.

Eine moderne linke Subversion kann nicht mehr auf die Eroberung der Staatsmacht oder nationbuilding in einem abzuspaltenden Nationalterritorium abzielen, sondern nur noch auf die Zersetzung des Staates und des Kapitalverhältnisses.

Absurderweise bezeichnet sich die katalanische Candidatura d‘Unitat Popular (CUP) als »europäische Zapatistas«. Dabei streben die mexikanischen Zapatisten gerade keine Abspaltung von Mexiko und keinen Nationalstaat Chiapas an. Den gesellschaftlichen Umbruch wollen sie durch den Aufbau einer Gegenmacht von unten erreichen.

Eine selbständige Republik Katalonien würde nichts an den Eigentumsverhältnissen an Produktionsmitteln ändern, Kapitalverhältnisse wie in Spanien würden herrschen. Eine Abspaltung Kataloniens wäre für die EU dennoch kontraproduktiv: Spaniens Zentralregierung ist sowohl unter dem Sozialdemokraten José Zapatero bis 2011 als auch seither unter dem Konservativen Rajoy ein getreuer Vasall Deutschlands und der EU bei der Austeritätspolitik zur Abwälzung der Kosten der Wirtschaftskrise auf die ärmeren zwei Drittel der Bevölkerung und nach den Vorgaben der EU. Eine Destabilisierung des folgsamen Zentralstaates lehnt die EU daher ab.

 

Deutschlandfreundlicher Status quo

Der größte Arbeitgeber in Katalonien ist der ehemals staatliche Autoproduzent Seat. Seit langem gehört Seat dem deutschen VW-Konzern, der auch für die miserablen Arbeitsbedingungen verantwortlich ist. Der Vorstand von Seat kündigte jüngst an, den Sitz seiner Geschäftsführung nach Madrid zu verlegen, falls Katalonien nicht »zur Normalität zurückkehrt«. In Katalonien ist, so der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), mehr als die Hälfte der etwa 1600 spanischen Unternehmen mit deutscher Beteiligung ansässig, wie Die Welt kürzlich schrieb. Sie zitierte den BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang: »Ein Bruch der Region mit dem spanischen Staat würde für beide Seiten tiefe Einschnitte bedeuten und zu Verunsicherung in der stark exportorientierten Wirtschaft führen.« Lang sagte weiter: »Die deutsche Wirtschaft fordert beide Seiten zu einem respektvollen Umgang miteinander auf.«

Der Verweis auf die Bedürfnisse der Kapitalinvestition ist als Plädoyer für den deutschlandfreundlichen Status quo zu verstehen. So liest sich auch eine Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger, in der die Befürchtung geäußert wird, dass durch eine Abspaltung Kataloniens die Zentrifugalkräfte in der EU gestärkt würden. Das sei schlecht für die deutsche Wirtschaft. Dem wäre wohl so. Aber der Umkehrschluss »Was Deutschland schadet, ist gut« wäre falsch: Eine Zergliederung der EU in Mininationalstaaten würde linke Politik nicht erleichtern.

Aber Linke sollten vor allem den Abbau von Grundrechten und Sozialstandards ablehnen. Und bekämpfen. Der repressive Austeritätskurs der spanischen Regierung kann autoritäre, antisoziale Tendenzen in der EU insgesamt befördern. Nicht nur in Spanien, wo die nationalistische Formierung gegen den Katalanismus derzeit alle sozialen Proteste überlagert.