Das Phänomen des tschechischen Multimilliardärs und Wahlsiegers Andrej Babiš

Das Machtstreben

Die Partei des Multimilliardärs Andrej Babiš hat die tschechischen Parlamentswahlen gewonnen. Eine Annäherung an das Phänomen Babiš.

Die Diktatur des Proletariats, der Kampf gegen den imperialistischen Klassenfeind, der Antifaschismus – kurz, die hehren Ziele der kommunistischen Führung der ČSSR vor 1989 waren dem hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit mit dem Decknamen »Bureš« vermutlich recht gleichgültig. Als »Schild und Schwert der Partei« verstand sich die Staatssicherheit damals im tschechoslowakischen »Bruderland« DDR. Hier wie dort war Hauptarbeitsfeld der Stasi, Macht auszuüben und zu verteidigen. Das dürfte dem slowakischen Agenten »Bureš« gefallen haben.

Außer der vom slowakischen Verfassungsgericht vor wenigen Wochen als unglaubwürdig bezeichneten Aussage zweier damaliger Genossen im Sold der Unterdrückungsbehörde spricht nichts gegen, aber viele von der slowakischen Stasiunterlagenbehörde verwalteten Dokumente sprechen für die Annahme, dass Agent »Bureš« mit bürgerlichem Namen Andrej Babiš heißt.
Von Babiš’ Gleichgültigkeit gegenüber den hehren Idealen des Antikapitalismus zeugt jedenfalls, dass er seit den neunziger Jahren einen 250 Firmen umfassenden Konzern aufgebaut hat und sein Vermögen derzeit auf ungefähr 3,5 Milliarden Euro geschätzt wird. Anscheinend begannen dieser Erfolg und sein abenteuerlicher Reichtum den ehrgeizigen Unternehmer aber allmählich zu langweilen, und so strebte er ab 2011 in eine neue Sphäre der Macht: die Politik.

Babiš ist nicht der Typ, der sich mit einem zweiten Platz zufrieden gibt. Vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober streckte er abermals seine Fühler aus und stellte fest: Der unzufriedene Bürger, sein treuer Kunde, hatte mittlerweile andere Bedürfnisse.

Bewandert in der Marktforschung, fragte Babiš sich konsequenterweise: Wonach verlangt der politische Kunde? Seine Analysen egaben: Der tschechische Kunde ist unzufrieden. Nicht wenige Politiker waren in Korruptionsskandale verstrickt, das Image der etablierten Parteien war angekratzt und trotz beachtlicher Wachstumsraten der Wirtschaft Tschechiens, das seit 2004 EU-Mitglied ist, trotz steigender Löhne und sinkender Arbeitslosigkeit war in der Bevölkerung Ungeduld wahrnehmbar. Längst verglich diese ihren Lebensstandard nicht mehr mit dem der ehemaligen Genossen hinter dem »Eisernen Vorhang« vor 1989 in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, sondern im Zeitalter offener Grenzen und des Internets mit dem in Frankreich, Deutschland, Österreich.

Hier setzte der erfolgsgewohnte Unternehmer Babiš an. Er rief eine politische Bewegung ins Leben: Akce nespokojených občanů (Aktion unzufriedener Bürger, ANO). Sie wandte sich vor allem gegen Korruption, trat für den Euro ein, für ein Land, »in dem unsere Kinder leben wollen«, mitten in Europa. Seine politische Marktforschung, sein Riecher, seine Erfahrung im Erwerb und im Verwalten von Macht hatten ihn nicht getäuscht. Keine zwei Jahre nach der Parteigründung erhielt die ANO bei den Parlamentswahlen 2013 18,6 Prozent der Wählerstimmen und Babiš wurde in einer Koalition mit dem Wahlsieger, den Sozialdemokraten, ­Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident.

Babiš ist nicht der Typ, der sich mit einem zweiten Platz zufrieden gibt. Vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober streckte er abermals seine Fühler aus und stellte fest: Der unzufriedene Bürger, sein treuer Kunde, hatte mittlerweile andere Bedürfnisse. Er verlangte mehr Lohn, höhere Renten, niedrige Steuern – kein Problem, versprach Babiš. Aber, und das ist neu: Der Wähler will den Euro nicht, er will nicht, dass die EU in tschechischen Angelegenheiten mitredet, und er will auf gar keinen Fall Flüchtlinge. Keine Kriegsflüchtlinge, keine Armutsflüchtlinge und vor allem keine muslimischen Flüchtlinge. Babiš’ politische Marktforschung ergab zudem: Der Wähler will keine Politiker. Daraufhin inszenierte Babiš sich als politischer Außenseiter, gegen den die etablierten Parteien eine publizistische Hetzjagd in Gang gesetzt hätten.

Was von außen betrachtet als Makel erschien, kehrte Babiš in einen Vorteil um: Er hatte Fördermittel der EU in zweistelliger Millionenhöhe zu Unrecht für sein eigenes Unternehmen genutzt. Bestimmt waren sie für kleine und mittlere Unternehmen. Babiš sah sich polizeilichen Ermittlungen wegen Subventionsbetrugs ausgesetzt, seine Immunität wurde im Parlament auf­gehoben. Besser noch: Die europäische Antikorruptionsbehörde ermittelte gegen ihn. Ein Geschenk des Himmels!

Babiš ist ein Medienprofi, er besitzt zwei der angesehensten tschechischen Tageszeitungen und den meistgehörten Radiosender. Er drehte den Spieß um. Im Bewusstsein, dass viele Tschechen euroskeptisch sind – nur noch 30 Prozent sehen die EU-Mitgliedschaft positiv –, kommunizierte er: So muss man mit der EU umgehen! Abkassieren, aber ihre Versuche, in alles hineinzu­reden, strikt zurückweisen. Und Flüchtlinge sowieso.

Das Ergebnis: Die ANO ist aus den Parlamentswahlen mit fast 30 Prozent als klarer Sieger hervorgegangen, mit einem Vorsprung von fast 20 Prozentpunkten vor den Mitbewerbern. Babiš ist auf dem ersten Platz.