In London zeigt sich, was auch Berlin-Kreuzberg mit der Ansiedlung von Google droht

Kaderschmiede mit Yoga-Stunde

Viele Anwohner wehren sich gegen ein Projekt von Google in Berlin-Kreuzberg, das Start-ups beherbergen und anziehen soll. In London hat sich gezeigt, dass die Sorgen wegen der Gentrifizierung berechtigt sind.

Der sogenannte Campus im Umspannwerk Kreuzberg ist nicht der erste, den Google in Europa einrichtet. Solche Orte gibt es unter anderem in Warschau, Madrid und London. Wer wissen will, was auf Berlin zukommen könnte, kann sich also andernorts informieren. In der Londoner Innenstadt plant Google, seit 2015 Tochterunternehmen von Alphabet, dem Konzern mit dem weltweit zweithöchsten Börsenwert, einen riesigen Firmensitz für 7 000 Mitarbeiter. Bilder finden sich bereits im Internet. Neben dem Geschäftssitz unterhält Google in London seit 2012 einen Campus. »Google for entrepreneurs« ist eine Kaderschmiede für Start-ups, dort sollen sich Unternehmer, potentielle Firmengründer, Finanziers, Programmierer und andere Techniker vernetzen und weiterbilden.

Der Blog Netzpiloten beschreibt das siebenstöckige Gebäude als eine Mischung aus Coworking Space, Café, Veranstaltungszentrum, Inkubator und Hacker-Treff. In einem device lab können neue Apps auf Endgeräten getestet werden. Google entscheidet, wer zu welchen Räumen Zugang hat und kann eine Hierarchisierung vornehmen, um für die eigenen Geschäfte relevante Ideen und Start-ups zu bevorzugen. Ins Café können alle nach Anmeldung und Datenabgabe. Beim ausgelagerten Anbieter des Coworking Space muss hingegen gezahlt werden. In den oberen Etagen sitzt ein Investor, ansonsten sind wohl immer auch andere Geldgeber im Haus unterwegs. Veranstaltungen etwa ermöglichen es, herauszufinden, wessen Förderung sich lohnt. Nicht fehlen darf eine wöchentliche Meditations- und Yoga-Stunde, denn »wir wissen, welche Auswirkungen geistige und körperliche Gesundheit auf unsere Produktivität haben«. Beim Mittagessen gibt es eine Beratung für Lebensführung von der Yoga-Lehrerin, die selbstverständlich auch eine erfolgreiche Unternehmerin ist.

Offenbar läuft das Geschäft gut. Den Netzpiloten zufolge waren für das Jahr 2015 »50 000 Startups angemeldet, täglich sind Vertreter von etwa 200 Jungfirmen anwesend, und pro Jahr finden hier ungefähr 1 000 Events statt«. Expandiert ein neues Unternehmen, siedelt es sich in der Nachbarschaft in Shoreditch an, einem Viertel, über das die deutschsprachige Wikipedia schreibt, dieser ehemalige Arbeiterstadtteil unterliege inzwischen »einer nahezu abgeschlossenen Gentrifizierung«. Das Portal Made in Shoreditch feiert den Ort als »Herz des Unternehmertums«, da 68 Prozent der britischen Start-ups ihren Sitz in London haben und in Shoreditch 16 der »Stars unter den Start-ups« dort nicht weiter als 500 Meter voneinander entfernt angesiedelt sind.

Blättert man die Wirtschaftsseiten der großen deutschen Zeitungen auf, sticht ebenfalls eine fast kultische Verehrung der Start-ups ins Auge (Jungle World 20/2017). Es scheint als zentrale Aufgabe einer Stadt zu gelten, sie anzuziehen, zu hegen und zu pflegen. Über diesen Wettbewerb wird ähnlich wie in der Fußballberichterstattung geschrieben. Welche Stadt liegt auf welchem Platz beim Einsammeln von Risikokapital? In der Start-up-Bundesliga befinden sich Berlin, Hamburg, das Rheinland und München in Führung, die europäische Champions League wird zwischen Berlin, Paris und London entschieden. Fällt eine der etablierten Städte in der Tabelle zurück oder taucht in der Spitzengruppe ein Überraschungskandidat auf, wird dies wie auf der Sportseite kommentiert.

Weniger Aufmerksamkeit wird den sozialen Folgen zuteil, die die Förderung von Jungunternehmen für deren neues Habitat hat. Doch in Kreuzberg regt sich gegen die steigenden Mieten und die Verdrängung des Kleingewerbes, die der Google Campus mit sich bringen könnte, Widerstand. Im April verweigerte die Bezirksverwaltung Google eine Umbaugenehmigung. Diese wurde nach Aussage von Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) mittlerweile aber erteilt, nachdem Google eine tägliche Schließzeit von spätestens 21.30 Uhr zugesagt hatte – ursprünglich war ein 24-Stunden-Betrieb vorgesehen –, und weil im Keller statt Büros nun ein Café eingerichtet werden soll.

Zudem vereinbarten die Bezirksverwaltung und Google einen Dialog mit der zukünftigen Nachbarschaft des Unternehmens. Die Firma lud daher zu einer Veranstaltung auf den zukünftigen Campus ein. Kritiker wie die Nachbarschaftsinitiative GloReiche, benannt nach der Glogauer und der Reichenberger Straße, blieben aber fern. Ihr Sprecher Stefan Klein begründet dies im Gespräch mit der Jungle World: Die Einladung habe geklungen, als sprächen Kolonisatoren zu Einheimischen: »Alles nur ein Missverständnis, wir wollen euch nur Gutes.« Am Tag der Veranstaltung stand martialisch aussehendes Security-Personal vor dem Umspannwerk, auch die Polizei war da. »Nicht die Art, wie man die Nachbarschaft zu sich einlädt, fanden wir«, so Klein. Die Forderung der Nachbarschaftsinitiative bleibt daher: »Google ab nach Adlershof.« Dort am Stadtrand befindet sich ein Technologiepark.

Weitergehende Kritik äußert die Journalistin Nina Scholz. Es gehe nicht nur um die Verdrängung von Mietern und Kleingewerbe: »Es ist erklärtes Ziel von Alphabet, die Stadt neu zu entwickeln. Der Konzern sagt: Städte sind wichtige Plattformen.« Der Google Campus sei Teil einer größeren Strategie, an deren Ende der Umbau der Stadt zugunsten der Technologieunternehmen und die komplette Unterwerfung des öffentlichen Raums unter privatwirtschaftliche Interessen der Technologieunternehmen stehe, so Scholz.