In Berlin bekamen Linke Drohbriefe, der Absender wird in Polizeikreisen vermutet

Besondere Vorkommnisse

Berliner Autonome haben anonyme Drohbriefe erhalten. Die Absender kündigen darin an, die Daten der Empfänger an organisierte Nazis weiterzugeben. Die Betroffenen vermuten, dass Polizisten dahinter­stecken.

Mehrere Einrichtungen der linken Szene in Berlin haben kurz vor Weihnachten anonyme Drohbriefe erhalten. Das machten »einige Betroffene des Drohbriefs« auf der Plattform Indymedia bekannt, wo auch eine Kopie des Schreibens veröffentlicht wurde. Darin heißt es interpunktionslos: »Eure Gesichter Namen Adressen Fahrzeuge Geschwister Eltern sind sehr lange schon bekannt.« Der Meldung auf Indymedia zufolge enthielten die Briefe Namen und Adressen von 42 Personen. Gedroht wird damit, diese und weitere Daten an organisierte Nazis weiterzugeben. Als mögliche Empfänger wurden sogenannte Autonome Nationalisten und die Identitäre Bewegung genannt. »Zu 18 Personen sind Lichtbilder aus erkennungsdienstlichen Behandlungen des Berliner LKA beziehungsweise Personalausweisfotos mit teilweise zutreffenden, meist verleumderischen Kommentaren aus Datenspeicherungen beigefügt, die dem Staatsschutz zugerechnet werden können«, heißt es auf Indymedia.

Bei den personenbezogenen Daten handelt es sich etwa um Informationen über Urlaubsreisen oder die körperliche Statur der Betroffenen. Einer der als Verleumdung bezeichneten Kommentare lautet: »Bullenspitzel«.
Die Betroffenen berichten, eine erste Auswertung habe bestätigt, »dass die Informationen ohne verleumderischen Inhalt nur den ›szenekundigen‹ Beamten des Staatsschutzes (Abteilung 5 im Landeskriminalamt) zur Verfügung stehen können«. Daraus folgern sie: »Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde, da niemand sonst Zugang zu entsprechenden Fotos von ED-Behandlungen und Ermittlungsakten haben dürfte.«

Die Autoren des Drohbriefs stellen einen Zusammenhang mit einem »Fahndungsaufruf« her, den das Hausprojekt »Rigaer 94« in Friedrichshain im Dezember veröffentlicht hatte.

Die Autoren des Drohbriefs stellen einen Zusammenhang mit einem »Fahndungsaufruf« her, den das Hausprojekt »Rigaer 94« in Friedrichshain im Dezember veröffentlicht hatte. So heißt es in dem anonymen Schreiben: »Wir haben euren Fahndungsaufruf sehr aufmerksam verfolgt und wollen uns solidarisch zeigen.«

Deswegen mache man nun »auch einfach einen Fahndungsaufruf, den wir an beliebige Stellen verschicken wollen«. Aktivisten der »Rigaer 94« hatten im Dezember 54 Fotos von Polizisten veröffentlicht, die bei der Teilräumung des Hausprojekts im Jahr 2016 im Einsatz waren. Dazu hieß es: »Wir freuen uns über Hinweise, wo sie wohnen oder privat anzutreffen sind.« Dieser Fahndungsaufruf war wiederum eine Reaktion auf die öffentliche Fahndung nach 104 Personen, die am Rande des G20-Gipfels in Hamburg Straftaten begangen haben sollen. Die Verfasser des Drohbriefs schreiben, mit der Aktion der »Rigaer 94« sei die Grenze der Toleranz überschritten; ob sie die Daten bereits an organisierte Nazis weitergegeben haben, ist derzeit unklar.

Martin Henselmann, der Anwalt der Betroffenen, sieht Indizien für »Urheber aus dem Umfeld der Polizei«. So würden in dem Drohbrief Personen dem Hausprojekt »Rigaer 94« in Friedrichshain zugeordnet, die weder dort gemeldet waren noch dort gewohnt haben. Sie könnten aber durch polizeiliche Observationen auf der Liste gelandet sein. Die Betroffenen selbst haben Fingerabdrücke auf den Briefen gesichert und geben an, dass diese im Postverteilzentrum 10 des Bezirks Tempelhof-Schöneberg bearbeitet worden seien, »in welchem sich das Polizeipräsidium befindet«. Sie wollen mit ihrem Anwalt allerdings nicht gegen die Drohung vorgehen und haben keine Anzeige erstattet. Auf Indymedia schreiben sie: »Wir protestieren ausdrücklich nicht gegen diese Form der staatlichen Repression, weil Protest eine Instanz voraussetzt, die als Korrektiv von uns anerkannt würde.«

Stattdessen wollen sie mit der Veröffentlichung andere warnen, dass mit »weiteren Desinformationen, Verleumdungen, Konstrukten, psychischen und körperlichen Angriffen oder ›ungeklärten‹ Bränden« zu rechnen sei.

 

Hat ein Beamter die Daten an einen Dritten weitergegeben?

 

Ein Sprecher der Polizei gab auf Anfrage des Neuen Deutschland an, dass der Polizei die Veröffentlichung auf Indymedia bekannt sei, sie den Sachverhalt aber nicht beurteilen könne, weil ihr weder die Briefe noch Anzeigen vorlägen. Am Montag schließlich landete die Sache unter dem Tagesordnungspunkt »Besondere Vorkommnisse« im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Der Linkspartei-Abgeordnete Hakan Taş hatte beantragt, sich mit dem Vorfall zu beschäftigen. Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) teilte dem Ausschuss mit, dass dem Senat mittlerweile ein Schreiben bekannt geworden sei, »bei dem es sich offenbar um das in Rede stehende Dokument handeln könnte«. Das Fachkommissariat für Amtsdelikte des Landeskriminalamts ermittle nun, so Akmann, »insbesondere zur Verifizierung des Absenders und des Inhaltes«. Man sei sich noch nicht sicher, ob es sich um den gleichen Brief handelt. Das Schreiben, das dem Senat vorliegt, umfasst zehn Seiten – die Empfänger des Drohbriefs gaben an, es handle sich um neun Seiten.

Aus Senatskreisen erfuhr die Jungle World, dass einer der Anwälte der Betroffenen den Brief an die Behörden übergeben habe. Das LKA soll nun die Herkunft des im Brief verwendeten Bildmaterials klären. Das könnte über eine Datenbank geschehen, in der ­automatisiert protokolliert wird, wer wann auf welche Daten zugegriffen hat. Allerdings könnten Beamte auch im Rahmen ihrer Aufgaben die Daten legal abgerufen und sie dabei entwendet haben. Über die Farbkopien des Bildmaterials könnte zudem der verwendete Drucker ermittelt werden.

Taş wies während der Sitzung darauf hin, dass die Betroffenen kein Vertrauen in die Ermittlungsarbeit der Polizei hätten, da sie diese als Täter verdächtigten. Er warf die Frage auf, wie man grundsätzlich mit Fällen umgehe, bei denen die Betroffenen Sorge haben, dass Anzeigen sich nachteilig auswirken könnten. Akmann antwortete knapp: »Ich habe Vertrauen in die Polizei und diesen Rechtsstaat und deswegen sind solche Fälle auch von der Polizei zu bearbeiten.«

Taş will nun das Ergebnis der internen Ermittlungen abwarten. Neben ­einem Polizisten als Täter bestünde auch die Möglichkeit, dass ein Beamter die Daten an einen Dritten weitergegeben hat. Der Jungle World sagte der Politiker, wenn sich bewahrheiten sollte, dass Polizeibeamte an den Drohbriefen beteiligt sind, »muss es personelle Konsequenzen für die Personen und die Abteilung insgesamt« geben. Außerdem müsse sich dann auch die Leitungs­ebene einige Fragen gefallen lassen. June Tomiak, die für die Grünen im Innenausschuss sitzt, sieht es ähnlich: »Wenn da was dran ist, müssen der Innensenator und die Polizeiführung Konsequenzen daraus ziehen.« Es reiche aber nicht, nur die Täter zu belangen. Man müsse dann auch untersuchen, ob es Strukturen im Umfeld der potentiellen Täter gegeben habe, die solche Taten begünstigten, sagte Tomiak der Jungle World.

Bislang haben weder Taş noch Tomiak das Schreiben gesehen, das der Innenbehörde vorliegt. Beide konnten keine Angaben darüber machen, ob es sich um Originale handelt, auf denen sich Fingerabdrücke befinden, oder ob Teile des Briefes unkenntlich gemacht wurden. Taş wirbt dafür, dass die Empfänger Anzeige erstatten, um die Ermittlungen voranzubringen. Ob das die Bedenken der Betroffenen zerstreut, ist fraglich. Diese verwiesen in ihrer auf Indymedia veröffentlichten Stellungnahme auf Ähnlichkeiten zum »Cointelpro« genannten Programm des FBI, das sich in den fünfziger und sechziger Jahren gegen linke Parteien und Organisationen richtete, und die sogenannten Zersetzungstechniken der Stasi.