Evgeny Shtorn, Soziologe, über Anwerbeversuche des russischen Inlandsgeheimdiensts und seine Lage als Staatenloser

»Besser in einem irischen Gefängnis landen als in einem russischen«

Interview Von Ute Weinmann

Evgeny Shtorn ist ein Mitarbeiter des St. Petersburger Zentrums für unabhängige Sozialforschung (CISR). Im Juni 2015 wurde das Zentrum in Russland in das Register »ausländischer Agenten« aufgenommen, da es unter anderem mit Fördergeldern deutscher Stiftungen arbeitet. Im vergangenen  Januar floh Shtorn nach Dublin. Kurz zuvor hatte der russische Inlandsgeheimdienst FSB versucht, dem 35jährigen Soziologen als Informanten anzuwerben. Shtorn wurde in Kasachstan als Sowjetbürger geboren. Seit 2011 ist er staatenlos. Sein erneutes Einbürgerungsverfahren endete im Dezember mit einer Ablehnung.

Was ist im Dezember passiert, nachdem Sie von der russischen Migra­tionsbehörde den Ablehnungsbescheid zu Ihrem Einbürgerungs­antrag erhalten hatten?
Ein Mann hatte mich per Telefon kontaktiert und zur Migrationsbehörde vorgeladen. Da ich dem Staat grundsätzlich nicht vertraue, habe ich mich mit einer Anwältin beraten. Sie vermutete, die Behörde würde mich zu einer Ordnungsstrafe verdonnern, da angeblich Angaben zu meinem Wohnsitz fehlten. In dem Fall wäre es mir untersagt, innerhalb der kommenden drei Jahre einen weiteren Antrag auf Einbürgerung zu stellen. Davor hatte ich Angst. Aber ich konnte nicht ahnen, dass mich ein Angehöriger des FSB erwartete. Offiziell lag ja nichts gegen mich vor.

Wieso haben Sie überhaupt Ihre russische Staatsbürgerschaft ver­loren?
Das war 2011. Damals hatte ich vor, meine Mutter einbürgern zu lassen. Die Migrationsbehörde hat mir mitgeteilt, dass mir die russische Staatsbürgerschaft unberechtigterweise zuerkannt worden sei und dass ich einen Nachweis darüber erbringen solle, dass ich kein kasachischer Staatsbürger mehr bin. Auf dieser Grundlage konnte ich eine Anerkennung als Staatenloser mit einem Aufenthaltstitel für fünf Jahre erhalten. Hätte ich noch die kasa­chische Staatsbürgerschaft gehabt, wäre ich berechtigt gewesen, sofort die russische zu beantragen. Es gibt zwar Einbürgerungserleichterungen für ehemalige Sowjetbürger, aber die gelten nur für die Personen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch ihre alte Staatsbürgerschaft haben. Ich hatte die kasachische ja bereits Jahre zuvor abgegeben, um die russische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Als mir letztere wieder entzogen wurde, musste ich schließlich fünf Jahre mit der Antragstellung auf eine erneute Einbürgerung warten.

Im selben Jahr habe ich meine Tätigkeit im St. Petersburger Zentrum für unabhängige Sozialforschung (CISR) aufgenommen. Mit meinem neuen Ausweis war es fast unmöglich, eine feste Arbeitsstelle zu finden. Man hat mir die besten Lebensjahre geraubt, in denen andere Karriere machen. Zehntausende Menschen befinden sich in Russland in einer ähnlich miserablen Lage. Mit dem FSB hatte das damals nichts zu tun, aber die Ablehnung im Dezember geht sicher auf die Initiative des FSB zurück.

Weshalb hat der FSB sich denn gerade für Sie interessiert?
Ich wusste, dass dem Einbürgerungsverfahren eine Prüfung durch den FSB ­vorausgeht. Aber ich bin davon ausgegangen, das sei reine Formsache. Öffentlich habe ich mich immer zurückge­halten, obwohl ich in der russischen LGBT-Community gut vernetzt bin, ­etliche Projekte in dem Bereich realisiert habe und entsprechende Publikationen vorweisen kann. In letzter Zeit habe ich mich intensiv mit der Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien befasst. Außerdem habe ich mit der Menschenrechtsorganisation Memorial zu erinnerungspolitischen Themen gearbeitet. Ohne meine vielen Kontakte hätte mich niemand innerhalb von drei Wochen aus dem Land geholt, noch dazu in der Weihnachtszeit. All das hat der FSB bei der Personenprüfung aus­gegraben. Und natürlich auch meine Tätigkeit für das CISR. Dort war ich vor allem in Bildungsprojekte involviert.

Was wollte der FSB-Mitarbeiter von Ihnen wissen?
Er stellte Nachfragen über ausländische Stiftungen, hauptsächlich deutsche. Wir haben früher viel mit Stiftungen aus den USA gearbeitet, aber die haben sich zurückgezogen. Sein besonderes Interesse galt der Frage, wie sich »ausländische Agenten« finanzieren und wie das Geld nach Russland kommt. Auch, ob Bargeld über die Grenze ­gebracht wird und von wem es stammt. Es ging also nicht um offizielle Fördermittel, denn diese Informationen sind im Internet für jeden einsehbar. Er wollte wissen, ob ich Geld transportiert habe. Darauf habe ich geantwortet, dass das gar nicht möglich gewesen sei, da ich in den vergangenen sechs Jahren kein einziges Mal die Grenze überquert habe. Auch sonst wisse ich nichts davon.

Außerdem interessierte er sich brennend für die Kooperation mit ausländischen Diplomaten, wo und mit wem sie sich treffen und wer von den Mitarbeitenden als »Agenten« eingestufter Organisationen auf Empfänge in die diplomatischen Vertretungen westlicher Staaten eingeladen wird. Da ich jedoch an diesen Empfängen nicht teilnehme, kann ich gar nicht wissen, wer dort anzutreffen ist. Ich gehöre ­lediglich zum technischen Personal des CISR, in dem ich zu arbeiten angefangen habe, noch bevor das »Agentengesetz« verabschiedet wurde.

 

"Freundschaftliches Verhältnis"

 

Wie hat der FSB-Mitarbeiter auf Ihre wenig informativen Antworten reagiert?
Von ihm ging keinerlei Aggressivität aus. Seine Strategie war eine völlig andere, nämlich mich davon zu überzeugen, dass wir in einem freundschaftlichen Verhältnis stehen. Ich weiß nicht, ob das Kalkül war, aber ich fand den Mann äußerst attraktiv und er war etwa in meinem Alter. Vielleicht haben sie gedacht, mit einem Schwulen sollte besser ein gutaussehender Mitarbeiter sprechen. Das mag aber Zufall sein. Er verhielt sich äußerst höflich, bot mir Tee an, den ich abgelehnt habe. Er übte nicht direkt Druck auf mich aus, aber genau deshalb war es schwer, dem freundlichen Gehabe nicht auf den Leim zu gehen. Hätte ich das Gespräch strikt abgelehnt, wäre der Verlauf wohl ein anderer gewesen.

Drohgebärden legte er erst an den Tag, als er wissen wollte, ob ausländische Geheimdienste auf mich zugekommen seien. Ich habe ihm gesagt, dass nie jemand bei mir in solcher Eigenschaft vorstellig geworden sei. Selbst wenn sie mit mir kommuniziert hätten, wisse ich nichts davon. Das hätte ich besser nicht gesagt, denn in seinem Bericht wird der FSB-Mitarbeiter das so formuliert haben, dass sich eine Zusammen­arbeit mit ausländischen Geheimdiensten nicht ausschließen lasse. In dem Zusammenhang wies er mehrmals darauf hin, dass das russische Strafrecht Paragraphen zu Spionage und Landesverrat enthalte. Damit machte er deutlich, dass anstelle netten Plauderns theoretisch andere Mittel zur Verfügung stehen. Aber ich hatte den Eindruck, er war sich sicher, dass ich ohnehin keinen Ausweg habe. Diese feste Über­zeugung hat mich gerettet, denn nur deshalb konnte ich die Grenzkontrolle passieren. Die Grenzbeamten sind Angehörige des FSB. Wäre ich dort vermerkt als Person, die nicht ausreisen darf, wäre ich nicht über die Grenze gekommen. Daran hatte der FSB offenbar nicht gedacht.

Wie ging es dann weiter?
Da es keine Direktverbindung gibt, hätte ich über Frankfurt nach Dublin ­fliegen sollen. Doch die Lufthansa hat mich nach einer Meldung der Bundespolizei wieder ausgecheckt, weil ich mich mit meinem Reiseausweis für Staatenlose trotz irischen Visums nicht in der Transitzone am Flughafen aufhalten dürfe. Schließlich bin ich über Moldawien geflogen. In Irland bin ich Gast der Organisation Front Line Defenders, allerdings habe ich nur ein Dreimonatsvisum, das nicht verlängert werden kann. Hier angekommen, habe ich gesagt, es ist besser, in einem irischen Gefängnis zu landen als in einem russischen. Alle haben gelacht, aber das war kein Witz. Man hätte mir in Russland wohl kaum Spionage an­gehängt, aber meinen Aufenthaltstitel hätten sie mir ohne weiteres entziehen können. Und dann wäre ich entweder an die kasachischen Sicherheitsbehörden überstellt worden, oder aber Kasachstan hätte sich geweigert, mich aufzunehmen. Das hätte eine jahrelange Abschiebehaft bedeutet, da kein Land für mich zuständig ist. Wenn sich jetzt kein Drittland findet, das bereit ist, mich dauerhaft aufzunehmen, werde ich in Irland Asyl beantragen müssen.

Der FSB bereits versucht, mindestens vier andere Mitarbeitende des CISR vor Ihnen anzuwerben. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Ich wollte deutlich machen, wie der FSB einzelnen Menschen zusetzt. Sie ­suchen sich die Schwächsten aus und machen sie sich gefügig. Dagegen ­regte sich in mir Protest. Es mag einfältig klingen, aber für mich war das in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung. Als meine Geschichte öffentlich wurde, waren die einen schockiert, andere haben gesagt: »Wie könnt ihr nur so naiv sein? Habt ihr keine Ahnung, mit welcher Art von Staatsgewalt ihr es zu tun habt?« Mir haben zwar viele Bekannte erzählt, was in dieser Beziehung vor sich geht, dennoch war ich genauso naiv.

Hilft Ihnen der Schritt an die Öffentlichkeit weiter?
Ich weiß es nicht. Hätte ich geschwiegen, hätte ich mich als Verräter gefühlt. Mir schien, es sei meine Pflicht, den Anwerbungsversuch öffentlich zu ­machen. Dabei hatte ich Angst, und die Angst ist immer noch da. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist mir unklar. Denn auch wenn mein Chef im CISR davon überzeugt ist, dass die Behörden nichts weiter unter­nehmen, denke ich, dass sie rachsüchtig und nachtragend sind.