Ein User im Internet verbreitet Verschwörungstheorien, die von Alt-Right-Anhängern in den USA begierig aufgegriffen werden

Q wie durchgeqnallt

Unter dem Pseudonym Q oder Qanon verbreitet jemand im Internet Verschwörungstheorien und Verleumdungen, die von Alt-Right-Anhängern in den USA und dem Sender Fox News begierig aufgegriffen werden.

»Folge dem weißen Kaninchen.« – »Wer sind die Schauspieler?« – »Denke ­logisch.« – »Diese Woche wird entscheidend sein.« – »Der Sturm hat begonnen.«

Was sich anhört wie die Mitteilungen eines leidlich begabten Nostradamus-Imitators, sind verschwörungstheoretische Botschaften, die nicht nur täglich von Zigtausenden Personen in sozialen Medien weiterverbreitet, sondern mittlerweile auch von rechten US-Politikern aufgegriffen werden.

Begonnen hat alles Ende Oktober 2017, als jemand, der sich selbst als »Q« ­bezeichnete, damit begann, auf dem berüchtigten Online-Forum 4chan ­unter dem Titel »Calm before the storm« (Ruhe vor dem Sturm; nimmt Bezug auf eine kryptische Aussage Donald Trumps über seine zukünftige Iran-Politik) angebliche Insiderinformationen aus dem Weißen Haus zu posten.

4chan-User rühmen sich zu Recht, maßgeblich zu Trumps Wahlerfolg beigetragen zu haben, indem sie unter ­anderem mit Hilfe von Memes und Hashtags eine regelrechte Schmutzkampagne gegen Hillary Clinton organisierten. Q, oder Qanon, wie er sich mittlerweile nennt, hat das Imageboard also gezielt für seine Veröffentlichungen ausgesucht.

 

Kurz vor Weihnachten äußerte Q, dass in Guantánamo gerade Platz für Hunderte Angehörige des Establishments geschaffen werde.

 

In verklausulierten Postings erklärte er seinen begeisterten Lesern, dass Trump eine Art Staatsstreich des deep state abgewehrt habe und nun »der Sturm« beginne. Begriffe wie »the storm« oder »the awakening« (das Erwachen) beinhalten alles, wonach sich Anhänger der Alt-Right und der Tea-Party-Bewegung schon lange sehnen: Im Prinzip wird demnach jeder verhaftet und nach kurzem Prozess lebenslang eingesperrt oder hingerichtet, der nicht ihrer Meinung ist, also alle nichtrechten Schauspieler, Journalisten, Musiker und natürlich Politiker. Sie gelten als Teil des Establishments, das die Ver­einigten Staaten versklavt, in furchtbaren satanistischen Ritualen Kinder ­opfert und dazu auch noch den Kommunismus propagiert.

Der geniale Stratege Trump denke jedoch, so die Quintessenz der kryptischen Q-Postings, immer mehrere Züge weiter als seine Gegner, die derzeit fast alle bereits elektronische Fußfesseln trügen und darauf warteten, vor Gericht gestellt zu werden. Der Öffentlichkeit müsse das derzeit allerdings noch verschwiegen werden, weil Trump mit dem Ausmisten des Sumpfs noch nicht ganz fertig sei.

Die Q-Fans machten sich umgehend auf die Suche nach Beweisen und fanden Bilder, auf denen unter anderem die Clintons, George Soros und der von ihnen hartnäckig Hussein genannte ehemalige Präsident Barack Obama angeblich Fußfesseln verbergende Stiefel trugen (was ihnen nun im Winter auch nicht weiter schwerfiel). Zur Not wurden die Umrisse eines solchen ­Geräts am Unterschenkel kurzerhand in Fotos hineinretuschiert.

Kurz vor Weihnachten äußerte Q, dass in Guantánamo gerade Platz für Hunderte Angehörige des Establishments geschaffen werde. Daher herrsche dort auch ungewöhnlich viel Flugverkehr, wie live auf den einschlägigen Flight Tracker-Websites zu sehen sei. Auf die Idee, dass viele dort Stationierte vielleicht auch nur die anstehenden Feiertage für Urlaub nutzen könnten, kam niemand – Qanon, so die allgemeine Lesart, hat nämlich immer recht.

Q war geschickt vorgegangen, um sich als glaubwürdige Quelle zu inszenieren: Im Oktober hatte er gezielt den Eindruck erweckt, dass er an Bord des Präsidentenflugzeugs Air Force One sei, mit der Trump gerade nach Asien unterwegs war. Offenkundig die Vorliebe der 4chan-User für Verschwörungs­theorien und Detektivspielereien kennend, postete er ein extrem unscharfes Bild, das von einem See im Nebel über einen Riss in einer schmutzigen Jeans bis hin zu einem aus Tausenden Metern Höhe aufgenommenen Meer so ziemlich alles zeigen könnte – eigentlich, denn ein 4chan-Nutzer (oder vielleicht auch Q selber) photoshopte so lange an dem Foto herum, bis es leidlich den Umrissen von Hongkong aus der Luft glich.

 

»Neues Pizzagate, nur gefährlicher«

 

So arbeiten mittlerweile Tausende Fans daran, die ihrer Meinung nach ganz klar die Wahrheit enthaltenden Q’schen Weissagungen zu entschlüsseln. Eines der Highlights der Qanon-Forschung war ein gelöschter Tweet von Donald Trump. Am Tag nachdem sich der Präsident der USA zum »sehr stabilen Genius« erklärt hatte, twitterte er einen ihn offenkundig begeisternden Auszug aus einem Artikel der New York Post über seine bisherige Amtszeit. Dabei zitierte er allerdings nicht ganz korrekt: Der Autor Michael Goodwin hatte die Trump’sche Präsidentschaft als »enormously consequential« (äußerst wichtig) bezeichnet, @realDonaldTrump machte daraus jedoch ein »enormously consensual« (äußerst einvernehmlich).

Das war, so waren sich die Q-Fans schnell ganz sicher, ein Zeichen. Schließlich komme in »consequential« ein Q vor und Trump habe ihnen damit signalisieren wollen, dass der anonyme ­Autor zumindest mit seiner Billigung Botschaften verbreite. Oder vielleicht auch in Wirklichkeit er selber sei.

Was abstrus und auch ein bisschen lustig klingt, hat sich allerdings zu ­einer realen Gefahr entwickelt. Das New York Magazine bezeichnete »the storm« Ende 2017 als »neues Pizzagate, nur gefährlicher«, denn die aktuellen Verschwörungstheorie enthalte alle Bestandteile der mittlerweile vielfach ­widerlegten Lüge von der Washingtoner Pizzeria, in der hochrangige, ausschließlich demokratische Politiker Kinder sexuell missbraucht hätten. In ­Umlauf gebracht wurden beide fake news von Alt-Right-Aktivisten.

 

Verschwörungstheorien sind in den USA schon längst ein anerkanntes ­politisches Kampfmittel.

 

Dass US-Rechte Anschuldigungen wegen Pädophilie mittlerweile gezielt nutzen, um politische Gegner zu diskreditieren, wies der New Statesman Anfang Januar nach. Das Model Chrissy Teigen und ihr Ehemann, der Musiker John Legend, wurden beispielsweise Ende 2017 Opfer einer solchen Kampagne. Die beiden Prominenten hatten im Wahlkampf Hillary Clinton unterstützt und sind daher bei der Alt-Right verhasst. Die Verschwörungstheoretikerin Liz Crokin entwickelte anhand einiger Fotos der Tochter von Teigen und ­Legend, die zu Halloween als Hot Dog und Alice im Wunderland verkleidet worden war, eine infame Kampagne: Unter den einschlägigen Hashtags wie #Qanon und #Thestorm postete sie, dass das Baby Pädophilen angeboten werde. Ihre Beweise dafür, dass das Paar »in Kreisen verkehrt, in denen Kinder vergewaltigt, ermordet und verkauft werden«, sind nicht nachvollziehbar – wurden aber von Q-Fans derart begeistert geglaubt und verbreitet, dass Teigen ihren Twitter Account wegen vielfacher Morddrohungen und Belästigungen vorübergehend schloss.

Verschwörungstheorien sind in den USA schon längst ein anerkanntes ­politisches Kampfmittel. So kursierte vergangene Woche eine Meldung, ­wonach es beim FBI eine Geheimgesellschaft gebe, die seit dem Wahlkampf im Verborgenen versuche, Trump zu diskreditieren, und aktiv an seiner ­Entmachtung arbeite oder vielleicht sogar seine Ermordung vorbereite. Publik gemacht hatte diese auch von Qanon verbreitete Story der republikanische Senator Ron Johnson, Tea-Party-Anhänger und Vorsitzender des Ausschusses für Homeland Security und Regierungsangelegenheiten. Eine geheime Quelle habe ihn über diesen Skandal unterrichtet, behauptete er und ließ sich um­gehend live von Fox News interviewen, wo das Thema zwei Tage lang die Schlagzeilen beherrschte.

Dann stellte sich heraus, dass die »secret society« ein Scherz zwischen zwei FBI-Angehörigen war, deren ­pri­vater E-Mail-Verkehr derzeit Bestandteil einer offiziellen Untersuchung ist; zuvor waren die beiden Clinton-Fans von Chefermittler Robert Mueller ­wegen möglicher Voreingenommenheit von den Ermittlungen gegen die Trump-Regierung freigestellt worden.

Fox News brachte die Auflösung des großen Skandals nicht. Dass die Anhänger von Verschwörungstheorien sie ohnehin nicht geglaubt hätten, zeigte sich bei CNN. Der Moderator Anderson Cooper zeichnete dort die Entstehung und Verbreitung des

Geheimgesellschaftsgerüchts minutiös nach – während unter dem Hashtag #Qanon auf ­Twitter höhnisch verbreitete wurde, dass sein Versuch, die Lüge zu entlarven, nur zeige, wie verzweifelt das Establishment über seine schwindende Macht sei, nun, wo das große Erwachen und »the storm« eingesetzt hätten. Manchen reichte das allerdings nicht; sie posteten dazu retuschierte Bilder, die beweisen sollen, dass Cooper Kinder missbrauche.