Unabwechslungsreiche Comicverfilmungen sind ärgerlich

Strahlemänner und Haudegen

In Comicverfilmungen wurden einst politische und soziale Themen auf metaphorischer Ebene verhandelt. Die neueren Produktionen aus dem Genre setzen allerdings mehr auf das Immergleiche anstatt auf komplexe Handlung.

Im Mainstream-Kino hat es in den vergangenen Jahren einen Boom an Fortsetzungen und Filmreihen gegeben. Immer mehr Produktionen setzen darauf, dass das, was schon einmal das Publikum begeistern konnte, es wieder tun wird. Das Konzept geht auf – bei jedem der zehn erfolgreichsten Filme des vergangenen Jahres handelt es sich um eine wie auch immer geartete Fortsetzung. Die Liste besteht ausschließlich aus Neuverfilmungen bekannter Stoffe, Fortsetzungen und neuen Teilen von Filmreihen. Das scheint zum großen Erfolg von seriellem Erzählen (siehe Netflix und Co.) in den vergangenen Jahren zu passen. Doch anders als in Serien mit fortlaufender Handlung werden in den Film-Sequels meist keine komplexen Geschichten weitererzählt oder Charaktere entwickelt. Stattdessen wird die mehr oder weniger gleiche Geschichte immer wieder neu inszeniert, gespickt mit ein paar Variationen.

Zu den beliebtesten Filmreihen gehören die Comicverfilmungen von Marvel und DC Comics. Seit dem ersten Teil von »X-Men« im Jahr 2000 werden die Kinos von Filmen dominiert, die auf Superheldencomics basieren. Sie sind nicht nur äußerst erfolgreich, sie erfreuen sich auch einer für Actionfilme ungewöhnlichen Aufmerksamkeit im Feuilleton und selbst in Universitäten.

 

Ein Grund für den Erfolg der Comicverfilmungen ist, dass sie immer wieder auf Figuren und Erzählungen zurückgreifen, die dem Publikum schon vertraut sind.

 

Comicverfilmungen sind nichts Neues: Die ersten Superman- und Batman-Filme sind längst Klassiker. Neu ist, dass ganze Erzähluniversen auf die Leinwand gebracht werden, die immer wieder durch neue Filme erweitert werden. In den drei großen Filmreihen »Marvel Cinematic Universe« mit den Avengers wie Thor und Captain America, »DC Extended Universe« mit Batman, Superman und Wonder Woman sowie den »X-Men« sind bisher 32 Filme erschienen, die über 21 Milliarden US-Dollar eingespielt haben.

Ein Grund für diesen Erfolg ist sicher, dass die Comicverfilmungen wie andere Fortsetzungen immer wieder auf Figuren und Erzählungen zurückgreifen, die dem Publikum schon vertraut sind. Über die Jahre hinweg wurden die verschiedenen Superhelden, Antihelden und Bösewichte in den Filmen etabliert, die Zuschauer kennen ihre witzigen und liebenswerten Eigenarten. Wenn die Figuren perfekt choreographiert und pointierte Dialoge sprechend auf­einandertreffen, sich gegenseitig verspotten und zu übertrumpfen ver­suchen, dann hat das einen hohen Unterhaltungswert.

Hinzu kommt die gute alte Sehnsucht nach Helden und damit nach einer Welt, in der schon jemand ­dafür sorgen wird, dass sie nicht vor die Hunde geht. Wenn in der Realität alles chaotischer und unberechen­barer wird und ein Atomkrieg nur einen Tweet entfernt zu sein scheint, ist die Vorstellung tröstlich, dass Superhelden auf die Menschheit aufpassen und die Katastrophe verhindern werden. Und es ist für jeden Geschmack der richtige Held dabei: Düstere und gequälte Charaktere wie Wolverine und Batman, altmodische Strahlemänner wie Captain America und Superman, klassische Haudegen wie Thor und kluge Idealisten wie Professor X.

Dass sich die Figuren trotz ihrer Unterschiede und gegensätzlichen Ansichten in den Filmen immer wieder zusammenraufen und angesichts der drohenden Gefahr ihre Differenzen überwinden müssen, lässt einen für ein paar Stunden vergessen, dass so etwas in der Wirklichkeit wohl nicht passieren würde.

Die meisten der Comicverfilmungen sind gut gemachte Unterhaltung und einige sind dazu auch inhaltlich interessant. Das gilt vor allem für die »X-Men«-Reihe. Die »X-Men« sind Menschen, die aufgrund einer Genmutation eine besondere Fähigkeit besitzen. Diese Fähigkeiten sind individuell verschieden – sie reichen von Laseraugen über Wetterbeeinflussung bis hin zu Telepathie. Richtig eingesetzt können ihre Fähigkeiten die X-Men zu Superhelden machen. Doch die Mutanten werden nicht als Helden gefeiert, sondern diskriminiert und als Bedrohung betrachtet. Die Filme beschäftigen sich mit der Frage, ob die Menschheit bereit ist für die Besonderheit von Helden, und ob sie es wert ist, von ihnen gerettet zu werden.

 

Kaum inhaltliche Auseinandersetzungen

 

Solche inhaltlichen Auseinandersetzungen sucht man in den neueren Comicverfilmungen meist vergeblich.

Die Geschichten sind mehr oder weniger austauschbar geworden, auch der neueste »X-Men«-Film »Apokalypse« (2016) ist da keine Ausnahme. Der Bösewicht des Films stammt aus der Götterwelt des alten Ägypten und erfüllt ein Muster, das sich auch bei vielen anderen neueren Filmen, etwa bei »Thor: Tag der Entscheidung« oder »Justice League«, finden lässt: Die Bedrohung kommt aus einer pseudomythologischen Unterwelt, aus dem All oder aus beidem zugleich – und hat möglichst wenig Bezug zur realen Welt. Es wirkt deshalb eher fehl am Platz, wenn im Vorspann zu »Justice Lea­gue« kurz daran erinnert wird, wozu man heute tatsächlich Helden brauchen könnte: um etwas gegen Armut, Nazi-Angriffe und religiös motivierten Terror zu unternehmen. Doch mit so etwas geben sich die Comichelden in den Filmen nicht ab. Sie bekämpfen Bedrohungen von außen, ohne die, so könnte man meinen, die Welt wohl eine ziemlich heile wäre. Werden die mythisch-außerirdischen Angreifer nur ordentlich von Thor, Wonder Woman und den anderen Superhelden verprügelt, ist am Ende alles wieder gut.

 

Konsequent ist, dass sich die Comicfilme nicht mehr so ernst nehmen und die Superhelden immer mehr zu Witzfiguren werden.

 

Da die Plots vorhersehbar geworden sind, greifen die Filme zu allerlei Mitteln, um der Langeweile zu entgehen. Dazu gehört, dass Humor eine immer größere Rolle spielt. Am spannensten ist mittlerweile, wer den besten Spruch macht, welche Situation die absurdeste und lustigste ist oder welcher Held vielleicht noch einen unerwarteten Gastauftritt hat. Statt auf den Zusammenhang der Handlung kommt es – passend zur kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer – auf den einzelnen Moment an. Die Aneinanderreihung von Feel-Good-Momenten ist dabei das Erfolgsrezept: Vertraute Charaktere tun etwas Lustiges, Cooles oder Heldenhaftes und sehen dabei gut aus, während im Hintergrund der Remix irgendeines Hits für die passende Stimmung sorgt. Der Film »Suicide Squad« treibt dieses Prinzip auf die Spitze, indem er die Ästhetik und den Aufbau von Filmtrailern und Musikvideos übernimmt. Kurze Clips folgen aufeinander, man wähnt sich eher in einer Playlist bei Youtube oder in einem Instagram-Feed als in einem Spielfilm.

Konsequent ist, dass sich die Comicfilme nicht mehr so ernst nehmen und die Superhelden immer mehr zu Witzfiguren werden. Mit »Guardians of the Galaxy« kam 2014 ein Marvel-Film heraus, der ein einziger fröh­licher Schwachsinn ist, ein buntes Spektakel mit Popmusik, süßen Alien-Tierchen und toilet humour. Die absolute Abwesenheit von Ernst­haftigkeit war beim Publikum sehr beliebt und hat auf die nachfolgenden Comicfilme abgefärbt. Etwa auf den neuesten Marvel-Film, »Thor: Tag der Entscheidung«, in dem der Donnergott Thor auf einer Art Terror-Disco-Planeten festgehalten wird, wo er in einem Gladiatorenkampf gegen das grüne Monster Hulk antreten muss und anschließend zu Led Zeppelins »Immigrant Song« gegen seine böse Schwester aus der Unterwelt kämpft. Erzählt wird hier nichts mehr.

Wem das auf Dauer zu langweilig wird, der sollte sich noch einmal Christopher Nolans »Batman«-Trilogie ansehen, die eine etwas tiefgründigere Form der Superhelden-Unterhaltung bietet. Nolan entwickelt ernstzunehmende Charaktere, die nicht bloß für den nächsten Lacher gut sind. Ohnehin sind die Filme keine Komödien, sondern zeigen ­voller Ernsthaftigkeit die wirkliche Welt als eine, die von sich aus nach Helden verlangt und nicht erst, wenn ein mythisch-galaktischer Bösewicht angreift. Das Bedrohliche ist in Nolans Filmen Teil der Gesellschaft und Batman kein strahlender Held mit markigen Sprüchen, sondern ein Verzweifelter, der versucht, etwas zu ändern. Nolan hat sich drei lange Filme Zeit genommen, um diese ­Geschichte zu erzählen – und danach keine weiteren Fortsetzungen gedreht.

Wenn mit »Avengers: Infinity War« im April der 19. Film des Marvel-Universums in die Kinos kommt, wird dieser wahrscheinlich wieder mit Altbewährtem aufwarten und mit vielen Lachern und Explosionen die Langeweile bekämpfen. Das wird sicher Spaß machen, aber allzu ernst sollte man diese Filme nicht nehmen.