Die SPÖ übt Kritik von rechts

Die rotbraunen Widersprüche der SPÖ

Während sich in Österreich die Protestbewegung gegen die rechte Regierungskoalition formiert, werfen linke Kritiker den Sozial­demokraten vor, die FPÖ rechts zu überholen. Wie kommt es dazu? Eine verwirrende Geschichte der SPÖ.

Zehntausende Menschen demonstrierten im Januar gegen die Koalitions­regierung aus FPÖ und ÖVP in Wien. Mit den »Omas gegen rechts«, einem losen Zusammenschluss antifaschistisch gesinnter Frauen über 60, hat diese Protestbewegung ihre bislang originellste Ausdrucksform gefunden. Demokratinnen und Demokraten decken eifrig die nicht allzu tief verborgenen Verstrickungen der FPÖ mit rechtsextremen, antidemokratischen und antisemitischen Gruppen auf und setzen die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) täglich unter Druck. Die ­Israelitische Kultusgemeinde verweigert der nationalkonservativen Regierung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung (siehe Interview, Seite 5) und international tätige österreichische Unternehmer merken, dass es Angenehmeres und Geschäftsfördernderes gibt, als ständig auf immer neue Nazi-Skandale angesprochen zu werden. Auffallend ruhig ist hingegen die größte Oppositionspartei.

Man hat den Eindruck, die SPÖ wüsste nicht so recht, ob sie mit einem de­zidiert antiautoritären und demokratischen Kurs bei den Wählerinnen und Wählern reüssieren könne. Linke Kritiker der Sozialdemokratie vermuten, sie wolle das gar nicht.

 

Wer die SPÖ begreifen will, muss sich zunächst eingestehen, dass sie selbst für Insider schwer verständlich ist. Nicht alles ist in dieser Partei so, wie es auf den ersten Blick erscheint.

 

Wenn die SPÖ die Regierung angreift, dann von rechts. Der ehemalige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil beklagte Mitte Januar, die neue ­Regierung veranlasse »zu wenige Abschiebungen«. Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher warf Kurz und Strache vor, »150 000 zusätzliche Zuwanderer ins Land« zu holen. Das klingt nicht nach linker Opposition. Auf einem Parteitag der Wiener SPÖ setzte sich derweil im Kampf um die Nachfolge des scheidenden Bürgermeisters und Landesparteiobmanns Michael Häupl der als nach rechts offen geltende Michael Ludwig gegen den vergleichsweise linken Andreas Schieder durch. Ludwig hatte in den vergangenen Jahren immer wieder die strikte Abgrenzung der Wiener SPÖ von der FPÖ kri­tisiert, obwohl Politologen übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, dass bei den vergangenen zwei Wahlen Häupls klarer Kurs gegen die FPÖ den Wiener Sozialdemokraten in der multikulturellen Metropole die Mehrheit gesichert hat.

Viele Beobachter der österreichischen Politik fragen sich, warum die SPÖ offenbar nicht willens ist, jene Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die Alexander Van der Bellen bei der Wahl zum Bundespräsidenten im Jahr 2016 gleich zweimal über 50 Prozent der Stimmen bescherten. Zweimal konnte sich der ehemalige Grüne gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer durchsetzen. Bei den Parlamentswahlen, die zur derzeitigen Regierung aus ÖVP und FPÖ führten, konnten die Sozialde­moraten sogar leichte Zugewinne verzeichnen. Diese waren ganz sicher nicht Ausdruck des Wunsches, die SPÖ möge nach rechts rücken, sondern der Angst vor dem Rechtsruck im Land geschuldet.

Wer die SPÖ begreifen will, muss sich zunächst eingestehen, dass sie selbst für Insider schwer verständlich ist. Nicht alles ist in dieser Partei so, wie es auf den ersten Blick erscheint.

In den sechziger Jahren tobte in der SPÖ ein Machtkampf zwischen dem Flügel um den damaligen Innenminister und Gewerkschaftsführer Franz Olah und jenem um Justizminister Christian Broda. Olah, der 1950 einen als Streik getarnten Putschversuch der Kommunistischen Partei niederzuwerfen half und über beste Kontakte zur CIA verfügte, galt als rechts; Broda, der die Aufhebung der Todesstrafe sowie die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Homosexualität durchsetzte, als links.

Doch während Olah versuchte, Personen mit NS-Vergangenheit aus dem Polizeidienst zu entfernen, hielt Broda seine schützende Hand über ehemalige Naziverbrecher. Maßgeblich auf Brodas Drängen wurden Verfahren gegen ehemalige Nazis eingestellt. Sogar der berüchtigte »Euthanasie«-Arzt Heinrich Gross, der Hunderte Kinder ermordet hat, konnte auf Brodas Schutz zählen und entging so einem Strafverfahren.

Broda hatte 1940 an der Universität Wien zum Thema »Volk und Führung. Ein Beitrag zum Problem der politischen Willensbildung im zweiten Deutschen Reich« promoviert. Olah war ­sofort nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 verhaftet und bis 1945 in den KZ Dachau und Buchenwald gequält worden. Wer war nun rechts, wer links? Der Machtkampf endetet übrigens mit dem Ausschluss Olahs aus der SPÖ und seiner Verurteilung zu einem Jahr »schwerem Kerker« wegen der »widmungswidrigen Verwendung von Gewerkschaftsgeldern«. Ohla war der einzige hochrangige österreichische Politiker, der zuerst von den katholischen Austrofaschisten, dann von den Nazis und schließlich von der Nachkriegsjustiz eingesperrt wurde.

 

Die SPÖ der Ära Kreisky

 

Und die Verwirrung hat damit kein Ende. Unter der Führung Bruno Kreiskys erlangte die SPÖ die absolute Mehrheit und leitete in den siebziger Jahren etliche große Reformen zur ­gesellschaftlichen Liberalisierung ein.

Der Sozialstaat wurde ausgebaut und mit Etablierung einer Frauenministerin holte man den Feminismus in den politischen Mainstream. Gleichzeitig war die Ära Kreisky auch jene, in der die seit Kriegsende stockende und stotternde Entnazifizierung krachend zum Stillstand kam und alte Naziseilschaften ganze Landesorganisationen der SPÖ übernahmen. Auf entsprechende Kritik angesprochen, soll Kreisky in privatem Rahmen gesagt haben, anders als mit Einbeziehung der zahlreichen ehemaligen Nazis könne man in Österreich keine Mehrheit gewinnen, und ehemalige Nazis seien ihm immer noch lieber als Neonazis oder Austrofaschisten. Tatsächlich hasste Kreisky, Sohn einer jüdischen Familie, die ÖVP als Nachfolgepartei der Christdemokraten, die einst die erste Diktatur in Österreich eingeführt hatten, noch ein bisschen mehr als ehemalige Nazis. Antifaschistinnen und ehema­lige Widerstandskämpfer mussten da die Köpfe einziehen. Wer allzu laut ­dagegen protestierte, dass ehemalige Nationalsozialisten nun mit rotem ­Parteibuch an entscheidende Schaltstellen der Republik kamen, galt als »Nestbeschmutzer« und konnte sich eine Karriere im staatsnahen Bereich abschminken.

 

Die Kärntner SPÖ griff Haider knapp zwei Jahre lang von links an. Umfragen deuteten auf eine erfolgreiche Taktik hin. Doch ­immer mehr SPÖ-Bürgermeister beschwerten sich bei der Parteizentrale über diesen Kurs. Das Argument lautete stets: »Die Leute wollen das nicht.«

 

Selbst in der jüngeren Geschichte war die SPÖ von derartigen Widersprüchen geprägt. In Jahr 2000 war Jörg Haider (FPÖ) im Bundesstaat Kärnten auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er hatte bei den Landtagswahlen im Jahr zuvor über 42 Prozent der Stimmen geholt und auf Bundesebene eine Koalition mit der ÖVP geschmiedet. Die Kärntner SPÖ orientierte sich neu und griff Haider knapp zwei Jahre lang von links an. Umfragen, in denen die SPÖ die FPÖ wieder überholte, deuten auf eine erfolgreiche Taktik hin. Doch ­immer mehr SPÖ-Bürgermeister beschwerten sich bei der Parteizentrale über diesen Kurs. Das Argument lautete stets: »Die Leute wollen das nicht.« Zu »den Leuten« gehörten nach dieser Lesart nicht jene 58 Prozent, die die Haider-FPÖ nicht gewählt hatten. 2002 feuerte man das Team, das für die ­offensive Oppositionsarbeit verantwortlich war, und die Kärntner SPÖ verlor bis 2013 jede Wahl im Land, während die FPÖ mit der kriminellen Pleite der Bank »Hypo Alpe Adria« das größte ­Finanzdesaster in der österreichischen Geschichte auslöste.

»Das wollen die Leute nicht«, das bekommen Kritikerinnen der bislang lahmen Oppositionsarbeit der Sozialdemokraten auch heute wieder von jenen SPÖ-Politikern zu hören, die für eine Annäherung an die FPÖ eintreten. Empirisch untermauern können diese ihre Sichtweise nicht. Bei den letzten Bundeswahlen schnitt die SPÖ in jenen Bundesländern und Bezirken, wo die Anhänger einer Öffnung nach rechts das Sagen hatten, schlechter ab als anderswo. Freilich haben SPÖ-Politiker mit Rechtsdrall mächtige Verbündete.

Die populäre Kronen-Zeitung protegiert die Rechten in der SPÖ ebenso wie einige Industrielle es tun. So wurde etwa der ehemalige SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer öfters in einem exklusiven Jagdschloss gesichtet, wo ansonsten nur Superreiche verkehren. Hundstorfer galt während seines aktiven Politikerlebens als Verbindungsmann zu den Rechten und zur Industrie, er schaffte unter Applaus der FPÖ und der Unternehmer die Invalidenrente ab, der härteste soziale Einschnitt seit Jahrzehnten. Dafür wurde er, als er 2016 als SPÖ-Kandidat bei den Wahlen zum Bundespräsidenten antrat, mit ­einem Ergebnis von elf Prozent der Stimmen abgestraft – das schlechteste Ergebnis, das je ein sozialdemokratischer Kandidat hatte.