Auch Discounter-Wohnraum wird gebraucht. Aldi-Wohnungen? Warum nicht?

Wer vermietet, ist egal

Disko Von Federica Matteoni

Es geht nicht darum, wer bezahlbare Wohnungen in Berlin baut. Auch Discounter-Wohnraum wird gebraucht.

Eine Stadt braucht dringend Wohnungen, eine Supermarktkette will dort größere Supermärkte bauen. Nichts Ungewöhnliches im Kapitalismus. Warum wird darüber auf die Meinungsseite verschiedener Zeitungen diskutiert? Weil hier in Berlin alles anders ist. Also nochmal: Berlin braucht dringend ­bezahlbare Wohnungen – 80 000 bis 120 000 laut dem Berliner Mieterverein. Etwas mehr als 2 000 Wohnungen will Aldi Nord an mehren Berliner Standorten bauen, 30 Prozent sollen als Sozialwohnungen für höchstens 6,50 Euro pro Quadratmeter kalt vermietet werden, der Rest für zehn Euro pro Quadratmeter.

Die Idee ist recht unspektakulär: Die Wohnungen sollen auf Grundstücken entstehen, die bisher mit eingeschossigen Aldi-Filialen bebaut sind. Diese sollen abgerissen und neugebaut werden, im Erdgeschoss soll der größere Supermarkt entstehen, darüber ein mehrstöckiges Wohnhaus gebaut werden und davor ein großer Parkplatz. Zwei Bauvorhaben hat Aldi bereits vorgestellt. In der Sewanstraße in Lichtenberg und in der Silbersteinstraße in Neukölln soll mit den ersten »Leuchtturmprojekten« begonnen werden, wie das Unternehmen ankündigt. Insgesamt sollen dort um die 200 Wohnungen und jeweils ein 1 200 Quadratmeter großer Discounter entstehen.

»Discount-Appartments« werden sie nun etwas abfällig genannt, etwa in der Welt, die sich über die fehlende »Architektur-Vision« der Supermarktkette echauffiert: »Parkplätze, ein paar Bäume und Rabattengrün. (…) Man hat es Dutzende Male gesehen.« Geplant seien lediglich »neue Läden mit drangehängter Stadt«, nach dem Motto »Je mehr Wohnungen, desto mehr Kundschaft«.

Nun, von Aldi innovative Architektur zu erwarten, ist wohl zumindesten naiv. Es ist auch keine Überraschung, dass das Unternehmen seine Baupläne nicht uneigennützig verfolgt. Die ­Neubauten sind Teil der Unternehmensexpansion in Berlin, nicht Teil einer umfassenden wohnpolitischen Strategie des Berliner Senats zur Bekämpfung von Wohnungsnot, stark steigenden Mieten, Zwangsräumungen und schließlich Obdachlosigkeit. Wer eine »Vision« sucht, sollte dies eher bei der Senatsverwaltung tun. Finden wird man sie dort allerdings kaum.

 

Die Stadt hat sich verändert. Sie ist voller, lauter, enger und teurer geworden. Gerade beim Thema Wohnraum wird das zu einem Umdenken führen müssen.

 

Discount-Wohnungen also – warum eigentlich nicht? Es ist vollkommen klar, dass eine Aldi-Wohnung nicht annähernd den Charme einer lichtdurchfluteten Altbauwohnung mit freigelegtem Stuck, abgezogenen Dielen und herrschaftlichem Durchgangszimmer besitzen wird. Dieser Charme ist aber eine ziemlich elitäre Angelegenheit geworden. Das war nicht immer so. Viele von denen, die in den neunziger Jahren nach Berlin kamen, haben sich in diesem Luxus so eingerichtet, als könne es für immer so bleiben. In eine Neubauwohnung zu ziehen oder in eine, die etwas außerhalb der beliebten Kieze liegt, galt nicht nur als Vorstufe des sozialen Todes. Es war vor allem unnötig, denn schöne Wohnungen gab es viele und nur die Ahnungslosen, ­denen unsere Vorstellung vom »schöneren Wohnen« fremd war, entschieden sich freiwillig für »die anderen« Wohnungen, die hässlichen, in denen man »nicht wohnen will«. Ich erinnere mich an die Blicke ehemaliger Mitbewohner aus der Ostberliner WG, als sie zum ersten Mal die kleine Neubauwohnung im unspektakulären Teil von Kreuzberg sahen, die ich nach der Geburt meines Kindes und der Trennung von dessen Vater vorübergehend bezogen hatte. Kunststofffenster, heller Laminatboden, weiß gestrichene Wände: unzumutbare Zustände für die Anhänger des Berliner Altbaucharmes.

Man hatte damals die Wahl. Dass sich das bald ändern könnte, hielten wir für unmöglich. Bis die Touristen kamen und alles kaputtmachten – so fing jedenfalls die Debatte über Gentrifizierung in bestimmten Teilen Berlins an. Solange wir »unter uns« waren auf unserer alternativen Scholle, war die Welt noch in Ordnung. Unsere Welt jedenfalls. Plötzlich aber war Berlin nicht mehr nur die Stadt der ewigen Politik-Studenten, autonomen Berufsrevolu­tionäre oder der Hausprojekt-, Bauwagen- und Kinderbauerhofbewohner. Das Unvorstellbare war eingetreten: Man musste sich den Raum mit dem Münchner Start-up-Gründer teilen, dem verhassten Zugezogenen aus Schwaben, der immer zu laut lachenden spanischen Sprachschülerin oder dem verstrahlten Berghain-Besucher, der verzweifelt versucht, die Airbnb-Wohnung, die er drei Tagen zuvor ­verlassen hat, wiederzufinden.

Die Stadt hat sich verändert. Sie ist voller, lauter, enger und teurer geworden. Wie fast jede Metropole der west­lichen Welt übrigens. Gerade beim Thema Wohnraum wird das zu einem Umdenken führen müssen. Kleine Wohnungen gelten jetzt nicht mehr als unzumutbar. Die Discount-Wohnungen, wer auch immer sie bauen wird, werden daher Akzeptanz finden.

Wer nicht zu den Glücklichen gehört, die bei einer Wohnungsbesichtigung mit mehreren Hundert Bewerbern eine reale Chance hat, dass seine Unterlagen überhaupt gesichtet werden, wird womöglich bald vor der Wahl stehen. Das erste Gebäude in Berlin soll nämlich schon 2019 fertig werden.