Der letzte linke Kleingärtner, Teil 34 – Grünkohl und Freiheit

Hühnerkorso und deviante Pflanzen

Kolumne Von Roland Röder

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 34

KRWas für ein schöner Tag. Am Tag, an dem diese Kolumne entsteht, kommt Deniz Yücel wieder frei. Da hüpft auch das Herz des Kleingärtners und seine Hühner kriegen sich gar nicht mehr ein vor Freude. Was haben die damit zu tun? Nun, sie sind Teil der internationalen Protestbewegung für seine Freilassung gewesen. Jeden Abend, wenn ich sie – mit der Taschenlampe des Smartphones vorangehend – vom Gehege im Garten in den vor Fuchs und Marder sicheren Hühnerstall geführt habe, war dies ein regelrechter Hühnerkorso für die Freilassung Yücels.

Der Hühnerkorso am Abend wird bleiben. Manchmal muss ich dabei die vollkommen emotionsgesteuerten Hühnchen zurechtweisen, wie es halt so ist im Umgang miteinander. Aber für wessen Freilassung machen sie jetzt ihren Korso? Abdullah Öcalan wäre ein Kandidat, der seit fast zwei Jahrzehnten in der Türkei gefangengehaltene frühere Vorsitzende der kurdischen PKK; sozusagen der Nelson Mandela der türkischen Kurden. Oder Yücels Namensvetter Deniz Naki, der deutsche Fußballspieler kurdischer Abstammung, den der beleidigte türkische Präsident Erdoğan mit einer lebenslangen Sperre belegen ließ. Oder die vielen inhaftierten Journalisten in der Türkei. Es muss noch viele Hühnerkorsos geben, bis die ihre Freiheit zurückerhalten.

Als im Dezember 1981 die ebenfalls schwer beleidigten Autokraten in Polen, die man Realsozialisten nannte – weiß der Kuckuck, wie der Begriff »Sozialisten« in den Namen hineingeriet –, die Gewerkschaft Solidarność verboten, wurde heimlich auf viele polnische Mauern der legendäre Spruch »Euch den Winter, uns den Frühling« gesprüht. Das ist ein wunderbares Motto für aufrechte Menschen und Gourmets der Freiheit, die zu ihrer Freiheit auch die Freiheit des Nachbarn brauchen.

»Euch den Winter, uns den Frühling«, das ist auch das Motto, mit dem der Kleingärtner Ausgang des Winters nach und nach auf Touren kommt. Noch lacht mich aus der letztjährigen Gartensaison jede Menge Grünkohl an, der alle paar Tage erntefrisch zubereitet wird. Aber das Grünzeug der neuen Gartensaison ist noch verborgen in der Zukunft. Unsereiner hat aber eine Ahnung davon, wann es so weit ist. »Ahnung haben« ist bekanntlich eine der wesentlichen Eigenschaften des Kleingärtners. Die neue Welt wird irgendwann aus der alten hervorschimmern. Was im vergangenen Jahr und dem davor auf den Komposthaufen geworfen wurde, ist größtenteils verrottet und dient im Frühjahr als humusfördernde Beigabe bei der Aussaat. Das nennt man Kreislaufwirtschaft. In einem Gemüsegarten geht nichts Organisches verloren.

Überhaupt Grünkohl: An diesem genialen Wintergemüse kann man wunderbar die Tragödie der reduzierten Saatgutvielfalt nachvollziehen. Von den zig verschiedenen Sorten sind für den Anbau in Deutschland nur noch eine Handvoll übriggeblieben. Hat die anderen der Erdoğan geklaut? Oder Trump? Oder war es Putin oder Kim Jong-un? Nichts von alledem. »Die Revolution frisst ihre Kinder«, könnte man in Anlehnung an Pierre Vergniaud mutmaßen. Die Verringerung der Saatgutvielfalt wird zwar von manchen gerne für verschwörungstheoretisches Geschwurbel über die böse Industrie benutzt. Fakt ist dennoch, dass immer mehr Saatgut vom Markt verschwindet. Wie das? In Hannover sitzt das Bundessortenamt. Diese Behörde überwacht im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das wiederum aufs Engste mit dem Deutschen Bauernverband verbandelt ist, die Zulassung von Saatgut. Zugelassen wird das Saatgut, das hohe Erträge verspricht, einigermaßen gleiche Ausprägungen hat und ertragsstabil ist. Bevor ein Saatgutzüchter nach zehn oder mehr Jahren harter Arbeit seine neue Sorte auf dem Markt verkaufen darf, braucht er die Zulassung vom Bundessortenamt. Wird sie ihm verweigert, hat er eben Pech gehabt. Die Konsequenz aus dem rigiden Saatgutverkehrsgesetz – das heißt wirklich so – ist das Verschwinden regionaler Sorten, die vielleicht mal eine unerwünschte Ausprägung haben oder nicht in jedem Jahr wie erwünscht wachsen und damit abweichendes Verhalten an den Tag legen.

Denn das geht gar nicht. »Abweichendes Verhalten« bei Pflanzen wird sofort mit Verbot bestraft. Aber solche regionalen Sorten, die entweder noch von Erhaltungszüchtern und ihren Vereinen angebaut werden oder von anderen Liebhabern, sind sozusagen das Salz in der Suppe. Diese Sorten wurden über Jahrzehnte durch die züchterische Leistung von Bauern und Kleingärtnern an die regionalen Boden-, Luft-, Wind- und Regenverhältnisse angepasst. Allein, sie bekommen keine gewerbliche Zulassung, weil es keine Hochertragssorten sind. Den Stubenhockern der Saatgutbürokratie in Berlin und Hannover sei gesagt: Euch den Winter, uns den Frühling.

Der große US-amerikanische Sänger Pete Seeger stellte in dem von ihm wesentlich popularisierten gleichnamigen Song die Frage »Auf welcher Seite stehst du« (»Which side are you on«). So ist es auch im Kleingarten: Die große Politik lässt sich nicht heraushalten. Ob Erdoğan, Deniz Yücel, Donald Trump, Abdullah Öcalan, Deniz Naki – man muss auch als Kleingärtner wissen, auf wessen Seite man steht und wo man hingehört: auf Seiten der Freiheit.