Die Retrospektive des Künstlers Man Ray in Wien

Woman Ray

Das Kunstforum in Wien zeigt derzeit eine Retrospektive des Künstlers Man Ray. Die Arbeiten des Dadaisten und Dandys geben dem Museum allerlei Anlass für Triggerwarnungen.

Es ist Ende Januar und ich sitze bei 29 Grad Celsius in Los Angeles und sippe Cayenne Cleanse Kombucha, klappe meinen Laptop auf und lese auf der Website des Kunstforum Wien, dass dort die erste große Retrospektive von Man Ray im deutschsprachigen Raum gezeigt wird. Sein Gesamtwerk soll ­abgebildet werden (laut Ausstellungstext: »der ganze Man Ray«). Rays ­Arbeiten, abgesehen von der Fotografie, gelten hier, anders als in den USA, als weitgehend unbekannt. Es war demnach auch kein großes Problem für mich, in einem Buchladen in meiner Hipster-Wohngegend Echo Park die Autobiographie »Self Portrait« von Man Ray zu bekommen, die ich mir dann bei ein paar Litern ­Artisanal Cold Brew und säckeweise Kale Chips reinzog.

Gut gelaunt ­wegen der kalifornischen Sonne, spricht mich dann auch gleich beim Herumsurfen das süße Kunstvermittlungshündchen namens »Xaver Mops« auf der Website des Kunst­forums an, das als Mitglied des Teams vorgestellt wird (»Kurator«). In Amerika hätte man wohl eher einen »emotional support dog«, der einem bei der Begegnung mit Material zur Seite steht, das als »uncomfortable« eingestuft wird. In Wien ist der Mops mit dem antiquierten Privatschülernamen sozusagen ein Hilfstier, um den vom bürgerlichen Kunstverständnis geprägten Betrachtern im Jahr 2018 beizustehen. Womit wir bei der Fragestellung der Ausstellung wären: Ist beim Vorstellen einer in­terdisziplinären Künstlerpersönlichkeit, die Man Ray der Verlautbarung des Museums zufolge angeblich war, das Alleskönnertum der doch immer noch sichere Hort des männlichen Universalgenies?

Jedenfalls braucht man zu Beginn keine Angst zu haben in dieser Ausstellung, denn im ersten Raum ist die Welt noch in Ordnung: Ein riesig aufgeblasenes Selbstportrait von Man Ray mitsamt Kamera hängt zwischen den Marmorsäulen und erinnert durch die darauf projizierten Farbeffekte an den von Ray mitentwickelten Solarisierungseffekt, für den er neben anderem als Fotograf bekannt wurde. Als zusätzlicher Schnickschnack des Ausstellungsdesigns wird seine Signatur an unterschiedlichen Stellen auf das Foto gebeamt. In diesem ersten Raum hängt auch gleich eines seiner berühmtesten Bilder – »Die Violine von Ingres« von 1923 – das der Text auf einem Hinweisschild vorsichtshalber unter besondere Beobachtung stellt: »Er verwandelt den weiblichen Körper in ein Instrument, auf dem – so scheint es – der Mann beliebig spielen kann. Auch der Titel kokettiert mit einer gewissen machistischen Ironie: Er ­bedeutet im Französischen so viel wie ›Hobby‹.« Die Frau als Zeitvertreib des Mannes? Ich unterhalte mich später kurz mit einer Französin, die kritisch anmerkt, dass der Titel doch eher doppeldeutig ist und sowohl »Hobby« als auch »Leidenschaft« bedeutet, was in der Interpretation des Vermittlungstextes wohl unterschlagen werde.

 

In diesen Zeiten der (gender-)politischen Ikonophobie und des Verhüllungsbegehrens vor allem im angelsächsischen Raum machte die Kritik auch vor den Werken Rays nicht halt.

 

 Man Ray, Indestructible Object

Neben Gemälden und Fotografien fertigte Man Ray auch Objekte: Indestructible Object, 1923/65,
Metronom, Foto eines Auges, Büroklammer, Box, Sammlung Marion Meyer, Paris.

 

Bild:
MAN RAY TRUST / Bildrecht, Wien, 2017/18

 

Kritik und Unwissen

 

In diesen Zeiten der (gender-)politischen Ikonophobie und des Verhüllungsbegehrens vor allem im angelsächsischen Raum machte die Kritik auch vor den Werken Rays nicht halt – so erwähnt etwa Ann Katrin Fessler diese Thematik vorsichtig in ihrer Rezension der Ausstellung im Standard. Die dazu geposteten Onlinekommentare (aka Hausverstand 2.0) über doch schon völlig aus dem Ruder gelaufene political correctness und die uneingeschränkt gute Bewunderung für die Schönheit von Frauen ließen nicht auf sich warten. In diesem Fall zeigt die Kritik an der Objektifizierung der abgebildeten Frau unter anderem eines: das Unwissen darüber, um wen es sich bei der Abgebildeten handelt. Kiki von Montparnasse war Muse und die unein­geschränkte Königin des Kultur- und Nachtlebens von Paris Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Teenager aus armen Verhältnissen vom Land nach Paris gekommen, verdiente sie ihr Geld als Modell für verschiedene Künstler. Vielleicht kann man Künstler dafür kritisieren, dass sie jungen Frauen aus der Arbeiterklasse nicht anderweitig Jobs oder eine Schulausbildung organisiert haben. Die Lebensrealität und die Möglichkeiten für Frauen der Unterschicht werden hier unterschlagen. Aber, wo ist in diesem Fall der Respekt für die – politisch korrekt bezeichneten – »Sex­arbeiterinnen« plötzlich hinverschwunden? Kiki von Montparnasse war jedenfalls unter anderem auch Künstlerin. Die einzige Ausstellung ihrer Gemälde, zu der Man Ray sie übrigens sehr ermutigt hat, war ausverkauft. Eine »selbstbestimmte« Karrierefrau, auf keinen Fall eine »Objekt« seienden Frau, wollte sie allerdings nicht werden, das Angebot, in Amerika groß rauszukommen, ließ sie schließlich sausen. 1929 schrieb sie ihre Memoiren, für die Ernest Hemingway ein Vorwort verfasste. Das Buch wurde in den USA zensiert und dann verboten, da es allerlei intime Beschreibungen enthält und als Pornographie eingestuft wurde.

 

Man Ray, Kunstforum Wien

Blick in den ersten Raum der Retrospektive im Kunstforum Wien, im Hintergrund das Bild »Self-Portrait« von 1932

Bild:
Hannes Böck

 

Ein kleiner Seitenraum der Ausstellung beleuchtet die Zusammenarbeit Man Rays mit der Fotografin Lee Miller vor allem unter sexuellen Vorzeichen. Ein klitzekleines Schild neben einer eigentlich den Raum abtrennenden und abzuhängenden Schnur (die aber irgendwann nicht wieder ordentlich an ihren Platz gehängt wurde) wendet sich freundlich an den empfindsamen Besucher: »In diesem Raum befinden sich Kunstwerke mit expliziten erotischen und pornographischen Darstellungen, jedoch in künstlerischem Kontext. Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren ist der Zutritt verboten. Personen, die sich durch Darstellungen sexueller Handlungen gestört fühlen könnten, werden ersucht, von einer Betrachtung der ausgestellten Kunstwerke Abstand zu nehmen. Danke!« Das Bild eines abgeschnürten Frauentorsos – ein beliebtes surrealistisches Sujet – hängt als eine Art thematische Klammer überdimensional an der hinteren Wand des kammerartigen Raums und lässt ­einen schmunzeln über den laxen Umgang mit der institutionellen Einschnürung, nämlich der traurig baumelnden Museumskordel, die kein großes Hindernis für Minderjährige darstellt. In Amerika wäre das undenkbar.

Apropos USA: Ein ausgestelltes Ölbild mit dem Titel »Le Poète (Le Roi David)« von 1938, Man Rays künstlerische Auseinandersetzung mit Michelangelos »Sterbendem Sklaven« (1513–1515), als dessen Vorlage er gelbe Wollfäden wie einen Turban auf einer Gipsbüste des Kopfes von David arrangiert hatte, erinnert stark an den Kopf von Donald Trump und das prominente Eigen­leben seiner viel thematisierten Frisur. Die Pose des heruntergekommenen Dandy ist auch passend. Comedians wie Stephen Colbert oder auch Alec Baldwin bei Saturday Night Live parodieren Trumps Auftreten nämlich oft auf ähnlich af­fektierte Weise, so, wie man früher auf homophobe Art Schwule nach­geäfft hat – sprachlich manieriert, die Hände nach außen abgewinkelt, expressiv.

Man Ray wird in der Ausstellung allerdings an anderer Stelle in einen queeren Kontext gesetzt, nämlich wenn es um seine Freundschaft mit Marcel Duchamp geht. Da hängt ­zunächst seine Fotoserie »Barbette« (1926) über den Travestiekünstler Vander Clyde Broadway, die als Beispiel seines »Hinterfragens genderspezifischer Klischees« herhalten muss und neben dem bekannten Portrait »Rrose Sélavy« gezeigt wird, auf dem Duchamp als sein weibliches Alter Ego posiert. Dieser Deutung der Werke als Abweichung von Männlichkeitsidealen werden dann aber zwei von Man Ray gestaltete Schachsets wie Symbole für das Künstlergenie als gewieften Strategen zur Seite gestellt. Im Shop kann man übrigens Man-Ray-Schachsets für 395 Euro erwerben. Sie waren ausverkauft.


Die Ausstellung »Man Ray« ist noch bis zum 24. Juni im Kunstforum Wien zu ­sehen.