Ladies and Gentlemen, Miss Grace Jones! Der Dokumentarfilm »Grace Jones: Bloodlight and Bami«

A One Man Show

Die Sängerin Grace Jones wirbelte in den Achtzigern alles durcheinander. Mit ihrer avantgardistischen Popmusik und dem Auftreten als androgyne Kunstfigur hat sie das Jahrzehnt wie kaum eine andere geprägt. Ein Dokumentarfilm über die Musikerin, der nur für kurze Zeit in ausgewählten Kinos in Deutschland lief, erscheint nun auf DVD.

»Ladies and Gentlemen«, dröhnt eine bedrohlich leiernde Stimme aus der Dunkelheit, »Miss Grace Jones!« Zu den markanten Eröffnungsharmonien ihres Hits »Slave to the Rhythm« tritt eine maskierte Figur ins Licht. So beginnt »Bloodlight and Bami«, eine über zehn Jahre gefilmte Dokumentation über die auf Jamaika geborene und als Jugendliche in die USA übergesiedelte Musikerin und Stilikone. Mit Hilfe der theatralischen Inszenierung gelingt es gleich zu Filmbeginn, die Faszination einzufangen, die Jones seit nunmehr drei Jahrzehnten auf die Öffentlichkeit ausübt.

Berühmt wurde Grace Jones in den achtziger Jahren für ihr Spiel mit Geschlechterrollen und ihrem lustvoll zelebrierten Einsatz von Kostümen, Licht, Formen und Farben. Rund 30 Jahre bevor Lady Gagas Musik­video zu »Bad Romance« Pop wieder zum Modespektakel werden ließ und Miley Cyrus nackt auf einer Abrissbirne schwingend die durchlässigen Grenzen zwischen Verletzlichkeit und Selbstdarstellung im Pop­geschäft neu auszuloten versuchte, schuf die Disco-Queen Grace Jones den Archetyp des mit den Geschlechterbildern spielenden weiblichen Stars. Ihre offensiv inszenierte Sexualität in Kombination mit einer außerirdisch-maschinenhaft anmutenden Kälte stieß auf Begeisterung, aber auch auf Ratlosigkeit und Ablehnung. Die Provokation war dabei stets Kalkül: gemeinsam mit dem Fotografen und Designer Jean-Paul Goude entwickelte Jones ihr androgynes Image. Parallel dazu verhalfen ihr die Musiker Sly Dunbar und Robbie Shakespeare zu einem zur Stimmung der Achtziger perfekt passenden eklektischen Sound, der New Wave elegant mit Reggae und elektronischer Musik verschmolz. Sich immer wieder neu zu verkleiden und den eigenen Modelkörper nahezu wie ein Instrument wahlweise freizügig zu zeigen oder dem Material des Kostüms unterzuordnen, ist die von Jones konsequent durchgehaltene selbstgeschaffene Rolle, die auch heute noch erfolgreich Verwirrung stiftet.

 

Weil die Sängerin eine solche Meisterin der Selbstinszenierung ist, erscheinen selbst die privatesten Bilder nicht als pseudoauthentische Abbildung der »wahren, mal ungeschminkten« Grace Jones.

 

Wäre da nicht ihre unverwechselbare, zwischen Soul und Monotonie changierende Stimme – auf den ersten Blick ließe sich die in einem bauschigen blauen Mantel versunkene und von einer goldenen Totenkopfmaske mit Federschmuck verhüllte Jones zu Beginn ihrer eigenen Dokumentation nicht erkennen. Später im Film wird sie in einem Hotelzimmer bei einem opulenten Champagnerfrühstück gutgelaunt und sichtlich beschwipst genau diesen Moment beschreiben. »Sie ist ein einsamer Ort«, sagt sie dann über die unbeleuchtete Bühne, »aber ein faszinierender einsamer Ort in der Dunkelheit. Kein Licht und nur deine Stimme.« Das Alleinsein sowohl als Performerin als auch als Privatperson thematisiert der Film immer wieder. Exzellent in Szene gesetzte Konzertsituationen zeigen Jones stets losgelöst von ihrer Band und den Backgroundsängerinnen. Nur in selbstgewählter Isolation am vorderen Bühnenrand entfaltet sich die Kraft ihrer Performance, als bräuchten die ausufernden Outfits und der ganz auf den Showeinsatz trainierte Körper diesen leeren Raum. In der alleinigen Verantwortung für das Gelingen des Spektakels liegt für Jones das Faszinierende an ihrer Arbeit: »Der Performer da draußen geht ein Risiko ein. Irgendwas kann immer passieren, und was mache ich dann, um die Leute am Gehen zu hindern? Man muss improvisieren.« Die ihrer Rolle als Einzeldarstellerin immanente Einsamkeit ist kein Problem, solange die Vorstellung nicht endet. »Wenn ich ans Bett gefesselt bin, dann will ich wenigstens eines mit Aussicht«, sagt sie an anderer Stelle.

Solche Momente der Reflexion über die eigene Arbeit sind überraschend selten in »Bloodlight and Bami«. Regisseurin Sophie Fiennes beschränkt sich darauf, Jones mit der Kamera zu begleiten. Die Aufnahmen kommen ohne Off-Kommentare, Archivmaterial oder Interviews aus und entfalten einen eigenständigen Sog. Ausschnitte aus Konzerten wechseln sich ab mit Familienbesuchen auf Jamaika, Szenen in Taxis, Hotels, Backstageräumen. Der Titel der Dokumentation bezieht sich auf diese Spannbreite des Bildmaterials: Im Patois, dem auf Jamaika gesprochenen Kreolisch, bezeichnet »Bloodlight« das rote Warnlicht während ­einer Studioaufnahme und »Bami« das Brot als Grundlage des Alltags­lebens.

Weil die Sängerin eine solche Meisterin der Selbstinszenierung ist, erscheinen selbst die privatesten Bilder nicht als pseudoauthentische Abbildung der »wahren, mal ungeschminkten« Grace Jones. Dem Film gelingt es, eine durch und durch artifizielle Figur greifbarer zu machen, ohne dafür Jones einem voyeuristischen Publikum zum Fraß vorzuwerfen oder ihre Selbstbestimmung zu opfern. Dabei gibt es wirklich viel Spektakuläres zu sehen: Jones nackt, Jones betrunken, Jones bei der ersten Begegnung mit ihrem Enkelkind, Jones beim Zusammenstauchen ihres Teams am Telefon. Und immer wieder: Erinnerungen an den tyrannischen zweiten Mann der jamaika­nischen Großmutter, der Jones und ihre Geschwister als Kinder verprügelte. Wie die mittlerweile 69jährige bei all dem dennoch stets die Kontrolle behält und auf Distanz bleibt, ist faszinierend mitanzusehen. Wer ­allerdings eine pophistorische Aufarbeitung ihres Lebens und ihrer künstlerischen Arbeit erwartet, ist mit der 2015 veröffentlichten Autobiographie »I’ll Never Write My Memoirs« besser beraten. Nur buchstäblich am Rande geht es in der Dokumentation um »Island Life« von 1985, Jones’ neben »Nightclubbing« (1981) und »Warm Leatherette« (1980) wichtigste Veröffentlichung. Ein Fan hält ihr das berühmte Coverfoto, das die Künstlerin in anatomisch unmöglicher Arabesque zeigt, für ein Autogramm entgegen – und das war’s. Der Film erwähnt keinerlei Details zu Entstehung, Aufnahme oder Rezeption. Dafür – und das ist nicht minder aufschlussreich – macht Jones in einer selten anrührenden Szene ihrem damaligen Partner und »Island Life«-Coverdesigner Jean-Paul Goude eine so überschwäng­liche wie unterhaltsame Liebeserklärung.

Filmmomente wie dieser sind die Belohnung dafür, sich einzulassen auf nicht immer schlüssig oder gar chronologisch verknüpfte Einblicke in Jones’ Leben zwischen Musikbusiness und Alltag. In einer der einprägsamsten Szenen der Dokumentation begleitet die Kamera Jones zu einem Gottesdienst, bei dem ihre mittlerweile verstorbene Mutter Marjorie einen exzentrischen Gesangsauftritt hinlegt. Grace Jones beim Beobachten beobachten zu können, ist das Persönlichste, was man »Bloodlight and Bami« abringen kann. Die eigene Vergänglichkeit hingegen thematisiert Jones nur ihrer Rolle als unnahbare Kunstfigur gemäß, wenn sie sich kichernd wünscht, der Geist des die Legalisierung von LSD fordernden Psychologen Timothy Leary möge im Moment des Todes ihre Hand halten. Alles ist Inszenierung, alles ist Rausch – nach zwei Stunden Dokumentarfilm bleibt der Eindruck einer schwer zu erfassenden Künstlerpersönlichkeit, die als eine der letzten große Popdiven unbeirrt ihr Leben der Kunst verschreibt und nicht ans Aufhören denkt: »I’ve been around the block a few times. Around the globe is more like it – fuck the block.«

 

Grace Jones: Bloodlight and Bami. Irland/Großbritannien 2017. Der Film erscheint am 9. März 2018 auf DVD und Blu-ray