Kreativindustrien und Friseursalons sind die ökonomische Nische für Queers, kritisiert Terre Thaemlitz

»Kunst ist ein Ghetto«

Interview Von Steffen Greiner

Der Musiker, DJ und Theoretiker Terre Thaemlitz arbeitet mit viel Pessimismus an der Schaffung einer besseren Welt. Beim Berliner Festival Maerzmusik präsentierte er Deep House und 30 Stunden Klaviermusik.

Tanzen ist ein Aushandlungsprozess im Ungefestigten einer immer prekären Identität – und ist wie alles Ungefähre bedrohlich und darum ­Ordnungen unterworfen. Vom Ritualtanz über das Ballett zum Dance­floor: Immer gibt es strikte Regeln und beinahe selbstverständliche Regelüberschreitungen. Mit einem Schritt kann ein System umgestürzt und zum Tanzen gebracht werden. Tanz als Politik – damit befasst sich der US-amerikanische, in Japan lebende House-Produzent, DJ, Videokünstler, Autor und Musiktheoretiker Terre Thaemlitz, der auf dem Berliner Festival Maerzmusik zu den prägenden Acts gehörte.

»Nein, einfach nur tanzen ist kein politischer Akt. Aber im Kern gibt es doch eine Resonanz der sozialen Dynamiken auf die gesellschaftlich genehmigten und nichtgenehmigten Orte des Tanzens mit Identitäts­politik. Oft hat das mit Kontrolle von Sex zu tun. Das ist der Subtext des Dancefloors und seiner Funktion als Ort sexuellen Ausdrucks und des Aufreißens«, schreibt Thaemlitz in einer E-Mail. »Ist der Floor ein queerer Raum, der immer wieder aufs Neue von Nichtqueers angeeignet wird?« frage ich im Mail-Interview, das er mir aus Anlass des Festivals gibt. Die Antwort lautet: »Nein. Und queere Clubs können die bitchiesten Orte mit den grausamsten Reaktionen sein, sobald jemand mit neuen Moves aus der Reihe tanzt.«

Terre Thaemlitz, Jahrgang 1968, ist ein strenger Verteidiger des Pessimismus als einer Strategie, die Dissonanzen sichtbar zu machen, die den Diskursen sowohl des Dance­floors als auch der Identität eingeschrieben sind. Vor ­allem aber denkt er Musik weiter, bis in Grenzbe­reiche: sei es mit seinem Konzept einer politischen Ambientmusik, an der er in den Neunzigern arbei­tete, sei es mit Musik an der Schwelle zum reinem ­Konzept, wie mit seinem Album »Soulnessless« von 2012, das als »erstes Full-length-mp3-Album« gilt, weil es eine komplette 16GB-SD-Karte füllt.

Zentrales Stück: Ein bei­nahe 30stündiges Klavierwerk, das Zeit in der Musik neu denkt. Diese »Meditation on Wage Labor and the Death of the Album« wirkt konsequent bei einem Festival, das am Wochenende mit einem ebenso langen Konzertmarathon (»The Long Now«) endete. Es ist auch Teil seines Programms beim Festival Maerzmusik, wo Thaemlitz ebenfalls unter dem (weiblichen) Pseudonym DJ Sprinkles auftritt. DJ Sprinkles zählt zu den wichtigsten Deep-House-Musikerinnen der Gegenwart: Ihr Album »Midtown 120 Blues« von 2008 wurde von Resident Advisor, dem wichtigsten Magazin für elektronische Musik, zum Album des Jahres erklärt – dabei ist es voller bitterer Kommentare zur Entwicklung der House-Musik, Kommentare, die  nicht zuletzt Medien wie Resident Advisor kritisieren.

 

House-Musik war ursprünglich ein künstlerischer Ausdruck der schwulen schwarzen Commu­nity,  wurde aber schnell von einer ­heterosexuellen, weißen Musikszene adaptiert. Kann man einen Stil irgendwie zurückerobern?
Man darf nicht vergessen: Auch innerhalb dieser Stile gibt es Veränderungen und Entwicklungen, die innerhalb von Communities von Minderheiten stattfinden, ganz unabhängig vom Mainstream-Bullshit. Alles wird nur etwas tiefer in den Untergrund geschoben – zum Beispiel die neuen Formen des Vogueing. Andere Menschen in den Communities sind darüber hinweggekommen und weitergewandert zu anderen Szenen, oder haben sich einfach entschieden, nicht weiter teilzuhaben. Manchmal werden Dinge ruiniert, und dann ist es okay, sie aufzugeben, weil ihre kulturelle Bedeutung jenseits jeder Rettung verfälscht ist, und Energie woanders reinzustecken. Man muss das liberale Begehren innerhalb des weißen Mainstreams, die Wiedereroberung durch schwule oder Trans-Menschen of colour zu »unterstützen« oder »mitzuverfolgen«, kritisch als Scheinheiligkeit benennen – weil es sich immer darum dreht, dem Mainstream »authentische Andersartigkeit« zuzuspielen. Sobald etwas bis zu dem Punkt angeeignet wurde, an dem es jede Verbindung zu seiner Quelle verliert und das High, das man an dem anderen hatte, nachlässt, gibt es einen Schub im weißen Feuilleton, noch einmal die Authentizität der ursprünglichen Bewegung herzustellen und damit das High zurückzuerobern. Für mich ist House-Musik heute alt und erloschen wie die Musik von Sha Na Na. Der Dancefloor ist der Leichenschmaus für etwas Verlorenes. Es geht nicht mehr um eine Wieder­auferstehung, sondern um Erinnerungsarbeit – worin wiederum das Potential steckt, etwas zu lernen.

Gibt es so etwas wie »queere ­Musik«? Ich denke zum Beispiel an eine Theorie von Klaus Theweleit, der bemerkt, dass die Entwicklung der europäischen Musik von der Polyphonie zur Monodie, also von einer verwobenen, zeitlich quasi unendlich gedachten Raummusik zur wesentlich strukturierteren Melodie im 17. Jahrhundert, parallel verläuft zur Festigung des binären Systems der Geschlechter. Gibt es Klangelemente, die queer sind?
Als Antieessentialist halte ich eine solche mythologische Denkweise für wenig hilfreich. Queerness entsteht nur in Kontext und Zeit, sie ist eine dynamische kulturelle Position, die nur in Spannung zu bestehenden Mächten denkbar ist. Aus sich heraus ist sie nicht.

 

»Queerness ist eine dynamische kulturelle Position, die nur in Spannung zu bestehenden Mächten denkbar ist.«

 

Du bist Produzent und DJ unter verschiedensten Namen, bei ­Maerzmusik etwa als DJ Sprinkles, du bist aber auch Musiktheore­tiker. Welche Verbindungen zwischen deinen theoretischen und deinen prak­tischen Arbeiten als Musikschaffende gibt es?
Ich versuche, Wege der Produktion zu finden, die metaphorische Bezüge zu den Themen aufweisen, die mich beschäftigen. Sampling hat immer eine wichtige Rolle dabei gespielt, denn Samples sind nicht authentisch, nicht original, sondern immer bloß referentiell – ähnlich, wie ich meine Beziehung zu Gender und sexueller Identität beschreiben würde. Es gibt eine Verbindung von Sampling als Produktionsmethode und den anti­essentiellen Themen, die ich zu ­repräsentieren versuche.

Wie riskant war es für dich, offen über Heteronormativität und Transphobie auf den Floors zu reden – ökonomisch betrachtet, aber auch in Bezug auf die sozialen Konstellationen der Szene?
Überhaupt nicht, schließlich hatte ich nie so etwas wie ein Coming-out. Alle meine Projekte beschäftigen sich auf unterschiedliche Arten mit diesen Themen. Und ich habe nie auf einem kulturellen Level agiert, auf dem dies eine Bedrohung für meinen Lebensstil darstellte. Aber um ehrlich zu sein: Vor meinem Album »Midtown 120 Blues« wurden alle meine House-Produktionen außerhalb ­Japans ignoriert, und den Menschen in Japan waren meine Themen eher egal. Also habe ich die meiste Zeit meiner Karriere damit verbracht, mit mir selbst über so etwas zu reden und den ganzen Scheiß laut zu denken.

Maerzmusik ist ein Festival, das der Kunst und der Kulturtheorie näher steht als dem Rave. In den letzten Jahren wurden Arbeiten von dir unter anderem auf der Documenta gezeigt. Wie erlebst du diese Welt, wie offen sind diese Communities gegenüber nicht-binären, nichtstraighten Menschen? Ist Kunst der Safe Space, der der Floor nicht mehr ist?
Kunst ist ein Ghetto. Grundsätzlich sind Kreativindustrien – ganz wie ein Friseursalon – ein wirtschaftliches Ghetto für Queers. Alle zehn Jahre ungefähr gehen europäische Kulturinstitutionen durch eine liberale ­Krise der Gender-Inklusivität, und wenn die Themen in diese Richtung weisen, bekomme ich ganz sicher irgendwann eine Einladung, auch an solchen Orten zu spielen, die mir ansonsten keine Bühne geben würden. Ich bin lange genug dabei, um diese Schleife ein paar Mal durchlaufen zu haben. Und das ist etwas, was natürlich die größere gesellschaftliche Dynamik der Ausgrenzung und Inklusion reflektiert. Darum verweigere ich mich auch der Erwartung, mich erfreut zu zeigen, wenn ein anderer gerade seinen queeren Moment hat.