Proteste in Athen gegen das Flüchtklingsabkommen mit der EU und faschistische Angriffe

Freiheit in vielen Sprachen

Mit einem Aktionstag und einer Demonstration protestierten Squats für Flüchtlinge in Athen gegen die Abschottungspolitik der EU. Thema an diesem Tag waren auch die Räumung besetzter Häuser und Naziübergriffe.

Das Jubiläum war kein Grund zum Feiern. Zwei Jahre nach dem Abschluss des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens organisierten Squats für Geflüchtete am Samstag in Athen eine Aktionstag gegen die Abschottungspolitik der ­Europäischen Union und gegen Rassismus.

Initiiert hatte den Aktionstag wie bereits im Vorjahr das »City Plaza«, ein jahrelang leerstehendes Hotel in Athen, das besetzt wurde und in dem mittlerweile etwa 400 Geflüchtete und Unterstützer leben. Mindestens zehn solcher »Refugee Housing Squats« gibt es derzeit in Athen. Sie wurden von Menschen aus verschiedenen linken oder anarchistischen Gruppen als Noteinrichtungen eröffnet, als Tausende Geflüchtete in Parks und auf Plätzen ­campierten. »Wir bilden eine Bewegung jenseits der Frage unserer Herkunft«, sagt eine 21jährige Studentin, die sich seit eineinhalb Jahren in einem dieser Squats engagiert. »Das ist nicht einfach mit Menschen, die eigentlich weiter wollen, nach Deutschland, England oder Schweden. Seit über zwei Jahren werden fast 2 000 Menschen versorgt, ohne staatliche Unterstützung und NGOs. Die Situation ist schwierig, aber heute sind wir zusammen auf der Straße, wir wollen ein würdevolles Leben für alle.« Im gemeinsamen Demonstrationsaufruf mehrerer Squats wurde auch auf die dramatische Situation auf den Inseln und in den Lagern hingewiesen sowie die Unterbringung von Geflüchteten in leerstehenden Gebäuden und Wohnungen innerhalb der Stadt gefordert.

 

Mindestens zehn »Refugee Housing Squats« gibt es derzeit in Athen. Sie wurden als Noteinrichtungen eröffnet, als Tausende Geflüchtete in Parks und auf Plätzen campierten.

 

Vor zwei Jahren, als das Flüchtlingsabkommen abgeschlossen wurde, war die Situation in Griechenland eskaliert, weil einerseits seit Sommer 2015 etwa 1,5 Millionen Geflüchtete von der Türkei aus auf griechische Ägäis-Inseln übersetzten, andererseits die sogenannte Balkan-Route von den einzelnen EU-Staaten allmählich geschlossen wurde. Auf dieser Route waren die Menschen weiter Richtung Norden gezogen, vor allem nach Österreich, Deutschland und Skandinavien. Seither sitzen über 15 000 Menschen in den überfüllten »EU-Hotspots« auf den östlichen Ägäis-Inseln Lesbos, Samos, Chios, Kos und Leros fest. In ganz Griechenland, dem Auffanglager der europäischen Festung, sollen sich derzeit zwischen 60 000 und 100 000 geflüchtete Menschen befinden.

Das nun zwei Jahre alte Abkommen bedeutet, dass die Türkei die lebensgefährliche Flucht der Menschen auf die ägäischen Inseln verhindert und massenhafte Abschiebungen aus EU-Staaten, allen voran von griechischen Inseln, in die Türkei ermöglicht werden. Dafür soll diese im Gegenzug rund sechs Milliarden Euro von der EU erhalten, angeblich für die Versorgung der Geflüchteten; etwa 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge haben seit 2011 in der Türkei Zuflucht gesucht. Mitte voriger Woche hat die EU-Kommission die zweite Tranche von drei Milliarden Euro an die Türkei zur »wirtschaftlichen Unterstützung« der Geflüchteten genehmigt. In dem Aufruf zum internationalen Aktionstag werden auch Abkommen der EU mit Staaten wie Libyen, Marokko oder dem Sudan kritisiert.

Mehrere Tausend Menschen versammelten sich am Samstagnachmittag auf dem zentralen Omonia-Platz in Athen. Zum Abschluss der Auftaktkundgebung sagte ein Geflüchteter: »Ich bin ein Refugee aus Afghanistan, aber egal, ob ich aus Syrien, dem Sudan oder Bangladesh komme, wir sind alle in der gleichen Situation. Wir leben zusammen, wir kämpfen zusammen! Wir kämpfen nur für unsere Rechte, für Gleichheit. Bitte, wir wollen nur in Freiheit leben.« Huriya, Azadi, Eleftheria, Freedom – »Freiheit« in vielen Sprachen prägte auch die Gesänge im Block der Geflüchteten. »Öffnet die Grenzen« wurde gefordert, immer wieder waren auch Sprechchöre zur Solidarität mit Afrin zu hören. Ein 17jähriger syrischer dokumentenloser Flüchtling mit YPG-Flagge sagte wütend: »Es ist unglaublich, wir demonstrieren gegen den EU-Türkei-Deal, zur gleichen Zeit vernichtet Erdoğan Afrin und Europa unterstützt das mit seinem Schweigen.«

Die Route der Athener Demo führte zum Syntagma-Platz, am Parlaments­gebäude vorbei, bis zur Vertretung der Europäischen Union, wo es aus dem Lautsprecherwagen hieß: »Wir sind jetzt hier vor der EU, einer kriminellen ­Organisation, die Flüchtlinge tötet. Erst heute morgen haben wir in den Nachrichten gehört, dass mindestens 15 Menschen bei einem Bootsunglück im Mittelmeer ertrunken sind.« Inzwischen ist bekannt, dass an diesem Tag vor der griechischen Insel Agathonisi 16 Geflüchtete, die mit einem Holzboot aus der Türkei kamen, ums Leben kamen, darunter sechs Kinder.

Insgesamt blieb die Beteiligung an der Demonstration mit etwa 5 000 Menschen hinter den Erwartungen zurück. In den Tagen zuvor hatten anarchistisch-antiautoritäre Gruppen viele kleinere Aktionen, vor allem zur Solidarität mit politischen Gefangenen, organisiert. Zudem begann drei Stunden vor der Flüchtlingsdemonstration eine anarchistische Demonstration unter dem Motto »Solidarität mit allen Besetzungen« gegen die Räumungen und die faschistischen Angriffe auf diverse soziale Zentren und besetzte Häuser. Zu Beginn der Vorwoche waren die Squats Gare und Zaimi in Exarchia und ein weiteres Haus im nahegelegenen Stadtteil Koukaki geräumt worden; dabei wurden zwölf Personen festgenommen. Die Squats sind eher dem insurrektionalistischen Milieu zuzurechnen.

Nicht nur der Druck der Polizei auf die Hausbesetzer steigt, es häufen sich auch Attacken von Nazis. Am 25. Februar ereignete sich ein Angriff auf das antiautoritäre soziale Zentrum Favela in der Hafenstadt Piräus nahe Athen. Nach Berichten von Augenzeugen griffen Vermummte, die Parolen wie »Blut, Ehre, Goldene Morgenröte« riefen, die Anwesenden in der Favela an. Dabei wurden fünf Personen teils schwer verletzt, darunter Eleftheria Tobatzoglou, eine ­Anwältin der Familie von Pavlos Fyssas. Fyssas, auch bekannt als Killah P, war ein bekannter Antifaschist und Rapper, der am 18. September 2013 von Mitgliedern der neonazistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) ­ermordet worden war. Rund 70 Parteimitglieder, der Goldenen Morgenröte, der viertgrößten Partei im Parlament, unter ihnen auch Abgeordnete, sind wegen verschiedener Straftaten angeklagt, unter anderem wegen Angriffen auf Migranten und Linke. Die Favela war in den vergangenen Monaten des Öfteren ein Anschlagsziel von militanten rechtsextremen Gruppen.

Auch andere Neonazigruppen verbreiten Terror. Am 7. März nahmen griechische Antiterroreinheiten bei Durchsuchungen von zwölf Wohnungen in Athen und zwei Provinzstädten elf mutmaßliche Mitglieder der neonazistischen Gruppe Combat 18 Hellas fest; die Zahl 18 steht für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet, die ­Ini­tialen Adolf Hitlers. Neben Waffen, Molotow-Cocktails und Nazi-Propagandamaterial wurden bei den Durchsuchungen auch 50 Kilogramm ­Ammoniumnitrat gefunden, das zum Bombenbau verwendet werden kann. Nach Angaben der Polizei plante die Gruppe einen größeren Bomben­anschlag. Insgesamt werden dieser 2010 gegründeten Organisation 30 Übergriffe auf anarchistische Zentren, ­Unterkünfte für Geflüchtete und die Schändung des jüdischen Friedhofs im Athener Stadtteil Nikaia im Jahr 2015 vorgeworfen.

Ein akutes Problem ist, dass vor dem Hintergrund erstarkender nationalis­tischer Bewegungen Neofaschisten vermehrt alternative Strukturen und Menschen in Griechenland angreifen. Das Niederbrennen des Squats Libertatia in Thessaloniki im Januar und der Angriff auf das soziale Zentrum Favela in Piräus sind dabei nur die hervorstechendsten Beispiele. Auch die Squats der Geflüchteten befinden sich seit Wochen in erhöhter Alarmbereitschaft und müssen neben allen anderen Widrigkeiten auch noch den Selbstschutz verstärken.