Der Sammelband »Tehran – Life Within Walls« erzählt die Geschichte der Bebauung Teherans

Wohnen unter den Mullahs

Das öffentliche Leben im Iran ist stark eingeschränkt, umso mehr Menschen ziehen sich deswegen in ihre Wohnungen zurück. Der Sammelband »Tehran – Life Within Walls« versucht sich an einer archäologischen Untersuchung über die Umstände des Wohnens in der iranischen Hauptstadt. Herausgekommen ist allerdings eine Relativierung des islamistischen Regimes im Stil postkolonialer Kritik.

Wieder einmal ist ein Sammelband zum Iran erschienen. Auf Spielfilme, Kunstausstellungen und Reisefeatures aus einer beziehungsweise über eine der blutigsten Diktaturen des Nahen Ostens stößt man immer wieder. Der von Mullahs regierte Gottesstaat erfreut sich seit Jahren gerade in den progressiven, kulturaffinen Kreisen des Westens eines regen Interesses. Natürlich verurteilt man die mörderischen Machenschaften der Ayatollahs, Steinigungen sind nicht sonderlich beliebt und selbst den regelmäßig ausgelobten Wettbewerb der Holocaustkarrikaturen findet man möglicherweise nicht so gut. Aber auch die handgreiflichen, antiklerikalen Proteste des Jahreswechsels stießen hierzulande auf nur wenig Sympathie. Angesichts der großen Zurückhaltung gegenüber jenem ernstzunehmendem politischen Aufbruch könnte man meinen, in Deutschland würde nur eine bestimmte, nämlich harmlose, also meist kulturelle Form des iranischen Aufbruchs unterstützt.

Der bei Hatje Cantz erschienene Band »Life Within Walls« beschäftigt sich mit Formen des Wohnens in ­Teheran. Natürlich geht es dabei nicht einfach nur ums Wohnen, sondern auch um eine softe, kulturelle Form von Widerstand.

Das Buch erzählt mit sehr unterschiedlichen Beiträgen, kulturhistorischen Texten, einem Fotoessay, ­alten Bauskizzen und Stadtplänen die Geschichte der Teheraner Bebauung und ihrer Wohnhäuser. Behauptet wird ein sehr spezielles Verhältnis zwischen privatem und öffentlichem Raum, das in der persischen Geschichte begründet liegen soll. Das Leben innerhalb der privaten Räume, so heißt es in einem gemeinsamen Text der Herausgeber Hamed Khosravi, Amir Djalali und Francesco Marullo, befinde sich seit Jahrhunderten wenn nicht in direkter Opposition, so doch mindestens in Distanz zum Staat. Die öffentlichen Proteste gegen die Wahlfälschungen 2009 sowie die jüngsten Proteste gehören zu den seltenen öffentlichen Manifestationen oppositioneller Haltung.

Diese kritische Öffentlichkeit, so eine der grundlegenden Behauptungen des Bandes, kommt aus den privaten Räumen und flüchtet sich nach geschlagener Schlacht auch wieder dorthin zurück. All das also, was heute an öffentlichen Orten wie Straßen und Plätzen aufgrund der politisch-religiösen Kontrolle nicht möglich ist, wird an abgeschirmte, private Orte verlagert. In einem Land wie dem Iran muss es sich dabei nicht notwendigerweise um tatsächlich staatsgefährdende Aktivitäten handeln. Was aber staatsgefährdend ist, definiert selbstverständlich der jeweilige Staat für sich. In Teheran sind es Kunstgalerien, Lesezirkel, Schulen, Zeitungsredaktionen oder Verlagskollektive, aber auch Start­ups und Nachtclubs, die in Wohnhäusern untergebracht sind. Die Öffentlichkeit, die solche konspirativen Orte generieren kann, ist beschränkt. Für Umstürze jedenfalls müsste man schon mal die Wohnungen verlassen. Um Umstürze geht es bei solcherart Unternehmungen nun aber ohnehin nicht. Was in diesem Teheraner Wohnungsunderground in erster Linie entsteht, sind parallele ökono­mische Systeme, die wohl auch tatsächlich funktionieren.

 

 

Der Band ist reich an Skizzen von Grundrissen privater Gebäude aus sehr verschiedenen Epochen, vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Gemeinsam ist den dargestellten Bauten ein hierarchisches Verständnis.

 

Das Interesse der Herausgeber ist nur vordergründig politisch. Das Gegensatzpaar von öffentlichem und privatem Raum, auf das sie sich konzentrieren, besteht aus zwei weitestgehend leeren Begriffen, die inhaltlich stets erst noch gefüllt werden müssen. Sie befinden sich historisch im Wandel und lassen keine feste Etikettierung als fortschrittlich oder repressiv zu, auch wenn die Herausgeber dies suggerieren. Dies zeigt sich etwa im Beitrag des Architekturhistorikers Amir Djalali. Zu den privaten Räumen des Widerstands gegen den Staat zählt Djalali auch Moscheen und Gebetsräume – zumindest in den Jahren der Westorientierung des Landes, von 1925 bis zur islamischen Revolution 1979. Dem Staat gegenüber standen oft archaische Zusammenschlüsse, Nomadenstämme, ­Familienclans und religiöse Gruppen. Die Moschee wird jedoch in Mocha­mad Yusni Aziz’ Beitrag »The Common Hub« auch und gerade heute als utopischer Ort beschrieben, an dem die heimatlosen und einsamen Gestalten der modernen Gesellschaften Zuflucht finden könnten. Die Prinzipien der Gebetsräume werden in einer Modellkizze in einen modernen Bau implementiert und damit modernes Bauen mit einem archaischen Zweck verbunden. Der Gestus, in dem dieses Projekt entworfen wird, lässt einen an den der Stadtplanung der Situationistischen Internationale denken. Im Blickpunkt steht hier aber natürlich nicht die neue Erfahrung wie bei den Situationisten, sondern ihre Vermeidung.

Der Band ist reich an Skizzen von Grundrissen privater Gebäude aus sehr verschiedenen Epochen, vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Gemeinsam ist den dargestellten Bauten ein hierarchisches Verständnis. Stets gibt es die Ausrichtung auf einen großen, zentralen Raum, ganz gleich, ob das Gebäude im Ganzen nun rechteckig, quadratisch oder kreisförmig ist. Stets gibt es in diesen Räumen eine geschlossene Wand, an den Zentralraum reihen sich schließlich einige kleinere Zimmer. In den zentralen Räumen spielt sich der familiäre Alltag ab, sie eignen sich ­jedoch ebenso für halböffentliche Versammlungen. In beiden Fällen ­simulieren sie den tatsächlichen öffentlichen Raum auf ihre Weise im Kleinen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass sich die privaten Räume ihrer Form nach so auch in der Anlage der einzelnen Quartiere, aber auch in der Gesamtanlage der Stadt im Großen fortsetzen. Ins Auge fällt dabei der Hang zur Abschottung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde eine oktogonale Mauer um Teheran herum gebaut, die symbolisch war und keinerlei mili­tärischen Nutzen hatte. Überhaupt hat man beim Lesen den Eindruck, als seien Mauern und geschlossene Räume ästhetisch und ideell eine höchst erstrebenswerte Sache.

Ab den fünfziger Jahren verändert sich mit der Gesellschaft auch das Bauen und Wohnen. Mit dem Modernismus kommt auch eine Enthier­archisierung des Wohnraums, was der Architekturhistoriker Hamed Khosravi in seinem Beitrag als kolonialistisches Übel kritisiert. Khosravi bezieht sich hier aus einem Aufsatz von Michel Foucault, den dieser 1978 aus Anlass der religiös geprägten Aufstände für die Italienische Tageszeitung Corriere della Sera geschrieben hatte. Unter dem Titel »What Are the Iranians Dreaming About« schrieb er, die Revolution sei nicht in erster Linie religiös motiviert, sondern antimodern gewesen und dieser Kampf habe seine volle Berechtigung. Mit der neuen antimodernen Ordnung kehrte auch die antimoderne Bauweise zurück, konstatiert Khosravi zufrieden. Der Islam beinhalte Momente, die sich gegen die Herrschaft des religiösen Staats selbst anwenden ließen, generalisiert er unter Bezug auf Foucault: »In der Morgendämmerung der Geschichte erfand Persien den Staat und übertrug sein Modell auf den Islam. Seine Verwalter definierten auf diese Weise das Kalifat neu. Aber von demselben Islam leitete sich eine Religion ab, die das Volk mit unendlichen Ressourcen ausstattete, mit dem es dem Staat widerstehen konnte.« So beißt sich schließlich die Katze selbst in den Schwanz. Die postkoloniale Kritik, die hier zum Zuge kommt, legi­timiert einmal mehr das islamistische Regime unter pseudokritischem Vorzeichen.

 

Hamed Khosravi, Amir Djalali, Francesco Marullo (Hg): Tehran. Life Within Walls. A City, Its Territory, and Forms of Dwelling. Hatje Cantz, Berlin 2017, 220 Seiten, 35 Euro